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ICE-Neubaustrecke Nürnberg-Erfurt-Halle ICE-Neubaustrecke Nürnberg-Erfurt-Halle: Neue Strecke der Deutschen Bahn greift massiv in die Natur ein

Von Alexander Schierholz 03.06.2014, 20:02
Die Unstruttalbrücke bei Karsdorf (Burgenlandkreis) gehört zu den größten Bauwerken der ICE-Neubaustrecke Nürnberg-Erfurt-Halle.
Die Unstruttalbrücke bei Karsdorf (Burgenlandkreis) gehört zu den größten Bauwerken der ICE-Neubaustrecke Nürnberg-Erfurt-Halle. dpa Lizenz

Karsdorf/MZ - Es wäre ein prächtiges Bild für eine DB-Werbebroschüre: Roter Mohn und blaue Kornblumen blühen unter den Betonpfeilern der Unstrut-Talbrücke der ICE-Neubaustrecke Nürnberg-Erfurt-Halle. Natur und Technik miteinander versöhnt. So würden sie es gerne sehen bei der Deutschen Bahn, die bis 2020 ein ökologisches Vorzeigeunternehmen werden will - mit Ökostrom, Lärmschutzwänden und leisen Güterwaggons.

Und mit Streuobstwiesen, Feldhecken, Feuchtbiotopen und extensivem Grünland. Zum Beispiel rund um die Unstrut-Talbrücke im Burgenlandkreis, 2,7 Kilometer lang, 50 Meter hoch, über die ab Ende 2015 ICE-Züge mit Tempo 300 rasen werden.

Auf knapp 300 Hektar hat die Bahn hier Sträucher und Bäume gepflanzt, Obstwiesen und kleine Teiche angelegt, einen Altarm der Unstrut renaturiert. Große Ackerschläge wurden zugunsten von Grünland verkleinert, mit Gehölzen geteilt. Alles für den Artenschutz und die Artenvielfalt.

Sie machen das nicht bei der Bahn, weil sie gute Menschen wären. Sondern weil das Gesetz den Konzern dazu verpflichtet. Jeder Eingriff in die Landschaft durch ein Bauprojekt muss ausgeglichen werden. Und mit der ICE-Neubaustrecke hat die Bahn massiv eingegriffen in die Natur: drei Tunnel und sechs Brücken allein zwischen Erfurt und Halle - und das ist nur ein Teil der neuen Trasse, die, aus Franken kommend, den Thüringer Wald durchquert.

Erschwerte Bewirtschaftung

Der rund 100 Kilometer lange Abschnitt Erfurt-Halle/Leipzig der Neubaustrecke ist so gut wie fertig. Ende August will die Bahn die Oberleitung unter Spannung setzten, 15 000 Volt liegen dann an. Im September soll ein mit spezieller Mess-Elektronik ausgerüsteter ICE Testfahrten aufnehmen. Mit immer höherer Geschwindigkeit, bis zu Tempo 300, soll er die Gleise und die Oberleitung auf ihre korrekte Lage hin prüfen.

Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen, so heißen all die Neuanpflanzungen und Biotope im Planer-Jargon. Das Ergebnis gefällt nicht jedem. Roland Braune steht in der Nissau-Rinne, einem Naturschutzgebiet bei Karsdorf, gleich unterhalb der Unstrut-Talbrücke. Der Landwirt, 54, ist Herr über 2.100 Hektar Ackerflächen und Grünland, 1.000 Schafe, eine Puten- und eine Hähnchenmast. „Ich bin nicht zufrieden“, sagt der Geschäftsführer der Kahlwinkel Agrar KG. Auch auf den von seinem Betrieb bewirtschafteten Flächen stehen jetzt Gehölze, sind aufgeforstete Grünstreifen in Felder hineingeschnitten wie Tortenstücke. Wieviel Land dem Agrar-Unternehmen dadurch fehlt, sagt Braune nicht, aber: „Es erschwert die Arbeit. Um die Hecken müssen wir mit unseren schweren Maschinen herumfahren.“

Sich gegen die Eingriffe zu wehren, ist schwierig. Zum einen ist die Bahn dazu verpflichtet. Zum anderen, sagt Braune, seien die Pflanzungen während der ersten Planungen für die Strecke Anfang der 1990er Jahre „durchgeboxt“ worden - zu einer Zeit, als viele Eigentümer gar nicht in der Lage gewesen seien, sich mit der Bahn und dem Bauherrn Bund anzulegen. Der Landwirt, ein nüchterner Typ, zuckt mit den Schultern: „Es ist so. Wir müssen damit umgehen.“ Dennoch ist er überzeugt, dass man die Felder der Bauern gar nicht hätte antasten müssen, dass sich in und um das Unstruttal genügend andere Flächen für Ausgleichspflanzungen hätten finden lassen.

Wie lukrativ das Geschäft mit der Deutschen Bahn für Landwirte ist, lesen Sie auf Seite 2.

Der Rotmilan freut sich

Die Bahn bestreitet das. „Schauen Sie sich doch um“, Iven Jede weist ins weite Unstruttal, „hier gibt es doch fast nur Ackerflächen.“ Vor den Neuanpflanzungen sei das hier „eine Agrarsteppe“ gewesen, sagt der Umweltingenieur des Konzerns. Dem Artenschutz hätten die Ausgleichsmaßnahmen gut getan.

Wie zur Bestätigung zieht ein Rotmilan am Himmel seine Kreise. Dank Gehölzen und Grünland finde der in seinem Bestand bedrohte Greifvogel im Unstruttal nun wieder mehr Nahrung, zum Beispiel Mäuse, sagt Jede. Auch die Feldlerche sei häufiger anzutreffen. „Die Vögel brauchen Wiesen zum Brüten. Viele Möglichkeiten hatten sie hier bisher nicht.“

Doch nicht nur Feldlerche, Rotmilan und Co profitieren. Sondern am Ende auch Landwirt Braune. Der schickt seine Schafe auf die wertvollen Trockenwiesenhänge unweit von Karsdorf. Zum Mähen dort, wo Maschinen nur schwer hinkommen. Auf rund 30 Hektar bahneigenem Land betreiben die Tiere Landschaftspflege auf die sanfte Tour, verdichten den Boden.

Zusätzliche Erwerbsquelle für Schäfer

„Wir sind mit den Schafen sowieso auf unseren Pachtflächen in der Nähe, da hat sich das angeboten“, sagt Braune. Für sein Agrarunternehmen sei das Geschäft mit der Deutschen Bahn lukrativ. Braune räumt aber ein: „Allein davon könnten wir nicht leben, das funktioniert nur in einem größeren Unternehmen.“ Dennoch sieht der Landesschafzuchtverband Sachsen-Anhalt Pflegeverträge mit der Bahn als mögliche zusätzliche Erwerbsquelle für Schäfer an. „Wenn der Schäfer ordentliche Pflegesätze aushandelt, ist das auch für ihn attraktiv“, sagt Geschäftsführer Hans-Jörg Rösler. Vereinbarungen mit dem Bahnkonzern seien Neuland, doch mit Pflegeverträgen an Autobahnen hätten Schäfer schon gute Erfahrungen gemacht. „Das zeigt, dass es sich lohnen kann.“

Schafe als Landschaftspfleger an der ICE-Trasse - vor 20 Jahren hätte daran wohl noch niemand gedacht. Ganz im Gegenteil: Es war in den 1990er Jahren, als Naturschützer das Großprojekt noch zu Fall bringen wollten, mit einer Klage gegen den Bau der gigantischen Saale-Elster-Talbrücke südlich von Halle. Sie konnten die Arbeiten am Ende nicht aufhalten, wohl aber Familie Biber. Zumindest für einige Wochen. Als eine Biberfamilie am Fuße eines Brückenpfeilers entdeckt wurde, verhängten die Behörden einen vorübergehenden Baustopp. Erst als die Jungen groß genug waren, konnten die Maschinen wieder anrücken.

Der Osterbergtunnel bei Kalzendorf führt unter der Querfurter Platte bis in das Unstruttal. Auch für diesen Eingriff in die Natur gibt es einen Ausgleich.
Der Osterbergtunnel bei Kalzendorf führt unter der Querfurter Platte bis in das Unstruttal. Auch für diesen Eingriff in die Natur gibt es einen Ausgleich.
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