Hugo-Junkers-Preis Hugo-Junkers-Preis: Verbrecherjagd in Farbe

Magdeburg/MZ - Krimis und Actionfilme sieht Thomas Leich heute mit völlig anderen Augen. „Ganz oft muss ich sogar herzhaft lachen“, sagt der Magdeburger Informatiker. Selbst über den Thriller-Klassiker „Stirb langsam“: Mit Tinte und einem Blatt Papier wird der Handabdruck einer Leiche genommen, per Fax - „garantiert in schlechter Auflösung!“ - verschickt und nach ein paar Minuten ist die Leiche identifiziert. Schön wär’s!
In der Realität, das weiß der junge Wissenschaftler inzwischen nur zu gut, hat die Kriminalistik trotz aller Fortschritte noch an ganz anderen Problemen zu knabbern. Seit fünf Jahren haben er und seine Kollegen von der Magdeburger Metop GmbH - einem An-Institut der Otto-von-Guericke-Universität - sich mit einem Klassiker bei der Verbrecherjagd beschäftigt: dem Fingerabdruck. Herausgekommen ist ein computergestütztes System, das die Überführung von Tätern erleichtern soll. Am Montag wurde es mit dem Hugo-Junkers-Preis für Innovation ausgezeichnet. Mit dem Preis werden Forschungen und Innovation aus Sachsen-Anhalt gewürdigt.
Alle fassen an die gleiche Stelle
Am Anfang steht ein Bild, wie man es aus jedem Krimi kennt. Ein Tatort, die Spurensicherung mit Pinsel und Ruß auf der Suche nach Fingerabdrücken, die sich dann schwarz von der Oberfläche abheben. Was der Krimi nicht vermittelt: Ein großer Teil dieser Fingerabdrücke bringt nichts. 19000 hat allein das Landeskriminalamt (LKA) Sachsen-Anhalt 2012 bearbeitet. Rund die Hälfte davon war ungeeignet, den Verursacher zu identifizieren. Weil die Fett- und Schweißpartikel des Fingers nicht für eine klare Spur reichten, der Abdruck verwischt war - oder mehrere Fingerabdrücke überlagert.
An der Stelle kommen Metop-Chef Thomas Leich und seine Kollegen ins Spiel. „Gerade an den Stellen, wo häufig nach Abdrücken gesucht wird, überlagern sich die Spuren“, sagt der Informatiker. Logisch: Markante Punkte wie Tür- und Fenstergriffe hat ein Einbrecher im Zweifel mehrfach berührt und der Hauseigentümer zuvor mit hoher Wahrscheinlichkeit auch - im dümmsten Fall eben an genau der gleichen Stelle. Heraus kommt dann ein oft nicht verwertbares optisches Durcheinander von Papillarleisten, wie die charakteristischen Linien auf der Haut heißen.
Systeme, diese Spuren wieder zu separieren, gibt es bereits. Chemische Verfahren wie die Massenspektrographie aber sind zu teuer. Dabei, erklärt Leich, müssen die Spurenträger im Labor mit Gold behandelt werden. „Dagegen wirkt selbst eine aufwändige DNA-Analyse wie ein Aldi-Artikel. Für einen Laubeneinbruch wird man das sicher nicht nutzen.“ Auch bisherige optische Verfahren zur Separierung der Abdrücke seien nur bedingt geeignet. Was fehlte, war ein System, das in den per Bildbearbeitung wieder getrennten Abdrücken „schlechte Stellen“ markiert - also die Punkte, an denen die Separierung nicht zweifelsfrei gelungen ist. Vor Gericht schließlich muss ein Gutachter anhand mehrerer spezifischer Merkmale felsenfest davon überzeugt sein, dass ein Abdruck zum Täter gehört.
Wie eine Ampel
„Aber woher weiß der Computer, was schlecht und was gut ist“, fragt Leich. Drei Jahre nach Beginn einer offiziellen Förderung des Forschungsprojekts über den Bund haben er und seine Informatik-Kollegen Marco Filax und Andy Kenner die Antwort. Der Algorithmus, den sie entwickelt haben, hat etliche schlaflose Nächte gekostet, ist aber im Ergebnis verblüffend leicht zu erfassen. Auf dem Bildschirm des PC erscheinen die per Rechentechnik getrennten Fingerabdrücke nun in klassischen Ampelfarben. Rot sollte der Gutachter besser außen vor lassen, bei Gelb bestehen Zweifel, der Rest ist der sprichwörtliche grüne Bereich.
Überprüft wurde das Verfahren unter anderem in Zusammenarbeit mit den Landeskriminalämtern Sachsen-Anhalt und Niedersachsen. „Sie waren begeistert“, sagt Leich. Sowohl von Beamten wie auch von Firmenmitarbeitern waren für das Projekt rund 1000 Fingerabdrücke genommen worden - überlagerte, aber natürlich auch klare zum Überprüfen der Ergebnisse. Geklärt werden müsse nun noch, wie viele Gutachter die Qualität des Verfahrens überprüfen müssen, damit es auch von Gerichten akzeptiert wird. „Unser Traum ist, dass 2015 der erste Täter mit Hilfe unserer Technik verurteilt wird“, so Leich.
System kann per Smartphone direkt am Tatort angewendet werden
Apropos Traum. Das System ließe sich freilich noch weiterentwickeln. Bei normalen Fotos von überlagerten Fingerabdrücken dauert das Trennen und Einfärben heute am PC 20 bis 30 Sekunden, bei hochauflösenden Fotos, die selbst feinste Schweißporen erkennen lassen, 15 Minuten. Die Informatiker können sich gut vorstellen, dass die Kripo das System künftig sogar per Smartphone direkt am Tatort anwendet. Schnell ein Handy-Foto und eine App verrät sofort, ob sich die Sicherung eines Fingerabdrucks lohnt oder nicht.
Zukunftsfähig scheint das Projekt auf jeden Fall. Auch wenn spektakuläre Ermittlungserfolge mit DNA-Technik anderes vermuten lassen: Der Fingerabdruck ist alles andere als ein Auslaufmodell - gerade bei der Alltagskriminalität, die das Sicherheitsgefühl vieler erheblich beeinflusst. „DNA-Auswertung und die Daktyloskopie stehen gleichrangig nebeneinander. Sie ergänzen einander einfach gut“, so LKA-Sprecher Martin Zink. In bundesweiten Datenbanken sind heute rund eine Million DNA-Spuren gespeichert - dem gegenüber stehen 2,8 Millionen Fingerabdruck- und 1,9 Millionen Handabdruckspuren.