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Großtrappe in Sachsen-Anhalt Großtrappe in Sachsen-Anhalt: Artenschutz für einen schrägen Vogel

Von Hendrik Kranert-Rydzy 18.02.2015, 09:29
Großtrappen waren in Sachsen-Anhalt fast ausgestorben. Nun erholt sich ihr Bestand.
Großtrappen waren in Sachsen-Anhalt fast ausgestorben. Nun erholt sich ihr Bestand. dpa Lizenz

Tucheim - „Wo stecken die Säcke denn jetzt schon wieder?“ Henrik Watzke murmelt das mehr für sich. Halb belustigt, halb angespannt. Seit gut 20 Minuten kurvt er mit seinem Jeep über schlammige Feldwege. Immer ein Auge draußen im grau-braunen Einerlei, das andere blickt über die Motorhaube aufs schwierige Terrain. Wasser quillt im Fiener Bruch aus dem morastigen Boden. Erst recht jetzt zur Schneeschmelze.

Die backblechflache Landschaft im äußersten Nordosten Sachsen-Anhalts ist ein trockengelegtes Niedermoor, durchzogen von Entwässerungsgräben. Dazwischen liegen Felder, auf denen die erste grüne Saat sprießt. „Raps mögen sie“, sagt Watzke, während er den Wagen an einem Turm stoppt, der einem Hochsitz für Jäger gleicht. „Und offene, steppenartige Landschaften“, schiebt der 45-Jährige nach. Dann kraxelt er auf den Turm und lässt sein Fernglas kreisen. Nichts.

Dabei sind die Schützlinge des Biologen alles andere als klein: Bis zu einem Meter groß und 17 Kilogramm schwer können die Männchen werden. Und in der beginnenden Balz leuchten die Herren mit aufgestellten Federn wie weiße Riesenschneebälle in der Landschaft. Watzke kümmert sich um Großtrappen - die wohl seltsamsten Vögel, die Sachsen-Anhalt zu bieten hat. Wobei man sagen müsste: Wieder zu bieten hat. Denn innerhalb von nur 50 Jahre war der Vogel auf dem Gebiet Sachsen-Anhalts ausgestorben.

1930 noch ideale Bedingungen

900 Tiere wurden 1930 noch im Fiener Bruch gezählt. Damals war die Landwirtschaft kleinteilig, kaum technisiert und die Feldfrüchte wechselten regelmäßig. Ideale Bedingungen für einen Vogel, der sich gern von saftigem Grün ernährt. Sie lieben aber auch Insekten und verschmähen Mäuse nicht, wenn sie derer habhaft werden. Und die Aufzucht der Jungen funktioniert ohne Insekten gar nicht. Wer heute jedoch Dreifelder-Wirtschaft und große Blühstreifen zwischen den Äckern sucht, wird kaum fündig. „Die Großtrappe hat heute wenig Chancen, auf unseren Äckern ihre Jungen flügge zu bekommen“, erläutert Watzke.

Wer Großtrappen im Fiener Bruch oder im benachbarten Brandenburg im Havelländischen Luch oder den Belziger Landschaftswiesen in freier Wildbahn beobachten will, kann sich an den Förderverein „Großtrappenschutz“ wenden. In den drei Gebieten leben derzeit 165 Tiere (Stand Februar 2014) - das ist der Gesamtbestand in Deutschland. In Sachsen-Anhalt unterhält der Verein im Erlebnisbauernhof „Königsroder Hof“ bei Genthin eine Außenstelle und ein kleines Museum. Termine für Exkursionen sind auf der Internetseite des Vereins zu finden.

Um die Aufzucht der Küken zu finanzieren, sind auch Patenschaften möglich. Dabei wird jedes Tier individuell mit einem farbigen Ring markiert, so dass der Pate immer über den Förderverein informiert werden kann, was sein Patentier gerade in freier Wildbahn macht. Ein Teil der weiblichen Tiere wird zudem mit Sendern versehen, um ihren Aufenthaltsort zu bestimmen. Und zweimal wöchentlich schließlich ist Henrik Watzke mit Antenne und Fernglas im Fiener Bruch unterwegs, um nach den Großtrappen zu schauen. (hk)

Infos zum Vogel unter: www.grosstrappe.de

Wer dennoch über die Runden kommt, wird oft Opfer von Fuchs, Marderhund und Waschbär. Mitte der 1980er Jahre gab es so keine Großtrappen mehr im Fiener Bruch. Und auch der Bestand im Havelländischen Luch und den Belziger Landschaftswiesen in Brandenburg tendierte gegen Null.

Watzke steuert den Jeep wieder Richtung Tucheim, einem zu Genthin gehörenden Dörfchen. Je größer der Kirchturm in der Frontscheibe wird, desto kleiner die Hoffnung, noch eine Großtrappe zu Gesicht zu bekommen. Dann nimmt Watzke das Gas weg und lässt den Wagen ausrollen. „Da hinten stehen sie. Rechts die Hähne, und ein wenig abseits die Hennen.“ Es dauert eine Weile, bis sich aus dem Braun des Ackers und dem Grau des Frühdunstes Schemen herausschälen. Watzke zählt währenddessen schon. „23 Hähne und 35 Hennen. Das ist der gesamte Bestand in Sachsen-Anhalt.“

Wiederansiedlungserfolg

58 Großtrappen. Damit nähert sich die Zahl wieder der Größe von 60 bis 80 Tieren, die für den Erhalt der Art aus eigener Kraft nötig sind. In zehn Jahren hat sich die Zahl der Tiere wieder verzehnfacht, nachdem es 2004 nur vier bis fünf Hennen gab. Der Wiederansiedlungserfolg im sachsen-anhaltischen ist einem rührigen Verein drüben im brandenburgischen Großtrappen-Gebiet zu verdanken. Seit 1991 kümmert sich der Förderverein „Großtrappenschutz“ in Buckow bei Rathenow um den einzigartigen Vogel.

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Der Verein hat geeignete Flächen für die Tiere gesichert, Überzeugungsarbeit bei Landwirten geleistet und Geld organisiert. 250 000 bis 300 000 Euro pro Jahr stehen zur Verfügung. Sachsen-Anhalt hat das Projekt in den vergangenen Jahren mit rund einer halben Million Euro aus EU-Fördermitteln finanziert, teilte das Landesverwaltungsamt auf Anfrage mit. Als im Vorjahr der Fördermittelfluss aus Brüssel vorerst ins Stocken geriet, sprang das Umweltministerium in die Bresche. „Alles andere wäre für die Großtrappe in Sachsen-Anhalt eine Katastrophe gewesen“, so Watzke.

Mit dem Geld werden Schutzmaßnahmen finanziert - etwa das Einzäunen einer 18 Hektar großen Fläche im Fiener Bruch zum Schutz vor Fuchs und Co. Vor allem aber bezahlt der Verein damit neben zwei fest angestellten Mitarbeitern die aufwändige Handaufzucht der Großtrappen-Küken. Weil die Zahl des auf natürlichem Wege überlebenden Nachwuchses für den Bestandserhalt oder gar einen Aufwuchs viel zu gering ist, geht es derzeit noch nicht ohne Aufzucht in Obhut des Menschen.

Großer Unterschied der Geschlechter

Ein schwieriges Unterfangen, denn die Tiere dürfen sich nicht an jene Hand gewöhnen, die sie füttert. „Wir hatten anfangs das Problem, dass die Nachzuchten ohne Scheu in die Dörfer marschiert sind“, erinnert sich Watzke, der Geschäftsführer des Fördervereins ist. Mit spezieller Tarnkleidung wurde das Problem gelöst.

Denn als Watzke den Motor abstellt, starten die Hennen in 400 Meter Entfernung durch. Die im Vergleich zu ihren männlichen Artgenossen kleinen und unscheinbaren Tiere - sie sind nur ein Drittel so groß und schwer - heben zu einer Platzrunde ab. Noch so eine Besonderheit - ein solch’ großer Unterschied der Geschlechter ist bei Vögeln selten. Die Hähne hingegen bleiben cool und beobachten nur aufmerksam ihrerseits die Beobachter am Feldrain.

Wer Großtrappen im Fiener Bruch oder im benachbarten Brandenburg im Havelländischen Luch oder den Belziger Landschaftswiesen in freier Wildbahn beobachten will, kann sich an den Förderverein „Großtrappenschutz“ wenden. In den drei Gebieten leben derzeit 165 Tiere (Stand Februar 2014) - das ist der Gesamtbestand in Deutschland. In Sachsen-Anhalt unterhält der Verein im Erlebnisbauernhof „Königsroder Hof“ bei Genthin eine Außenstelle und ein kleines Museum. Termine für Exkursionen sind auf der Internetseite des Vereins zu finden.

Um die Aufzucht der Küken zu finanzieren, sind auch Patenschaften möglich. Dabei wird jedes Tier individuell mit einem farbigen Ring markiert, so dass der Pate immer über den Förderverein informiert werden kann, was sein Patentier gerade in freier Wildbahn macht. Ein Teil der weiblichen Tiere wird zudem mit Sendern versehen, um ihren Aufenthaltsort zu bestimmen. Und zweimal wöchentlich schließlich ist Henrik Watzke mit Antenne und Fernglas im Fiener Bruch unterwegs, um nach den Großtrappen zu schauen. (hk)

Infos zum Vogel unter: www.grosstrappe.de

Trotz ihres beachtlichen Gewichts sind auch die männlichen Tiere alles andere als schwerfällig, sagt Watzke: „Die können aus dem Stand zwei Meter hoch springen und losfliegen.“ Natürlich ist Gegenwind von Vorteil, es geht aber auch so. Den Begriff vom „märkischen Strauß“ für die Großtrappe mag Watzke daher gar nicht gerne hören.

Halssack als Resonanzkörper

Die hohe Fluchtdistanz hat für den - in der Regel zufälligen Beobachter - allerdings einen gravierenden Nachteil, man kann die Vögel nicht hören. Das würde sich aber lohnen. Denn Großtrappe-Hähne stülpen in der Balz nicht nur ihr Federkleid nach außen - sie blähen auch ihren Halssack gewaltig auf. Der wirkt dann wie der Resonanzkörper einer Gitarre, so dass die sagte und schreibe 900 Herzschläge der Tiere pro Minute bis zu 20 Meter weit zu hören sind. Und: Großtrappen-Hähne werben um die Weibchen mit ihrem Gesäß. Genauer: Mit auffällige Blub-Geräuschen aus ihrer Kloake. (mz)

Biologe Henrik Watzke geht per Funk auf Suche nach Großtrappen, die Sender tragen.
Biologe Henrik Watzke geht per Funk auf Suche nach Großtrappen, die Sender tragen.
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