Mödlareuth war fast 50 Jahre lang zerschnitten Grenzgang in Klein-Berlin: Wie der Ort Mödlareuth fast 50 Jahre zerschnitten war

Mödlareuth - Nein, hinter der Mauer wolle er sich nicht fotografieren lassen, sagt Robert Lebegern. „Wir machen das hier“, sagt er und stapft durchs Gras zu einem alten Warnschild am Südufer des Tannbachs, die weiß angestrichene Mauer nun im Rücken. „Achtung! Bachmitte Grenze“ steht auf dem Schild, etwas kleiner darunter „Bundesgrenzschutz“.
Man muss eben auf der richtigen Uferseite der Geschichte stehen, wenn man wie der 55-jährige Historiker und Kulturwissenschaftler ein Museum leitet. Noch dazu eines, das an der einstigen Nahtstelle der beiden Militärblöcke Nato und Warschauer Pakt steht und die Geschichte der deutschen Teilung am Beispiel eines kleinen Dorfes dokumentiert.
"Little Berlin": Das Dorf Mödlareuth war fast 50 Jahre lang zerschnitten
Wir sind in Mödlareuth. Fast 50 Jahre lang war das Dorf regelrecht zerschnitten, weil der drei Handbreit schmale Tannbach seit Kriegsende nicht mehr nur Thüringen und Bayern trennte, sondern zwei tödlich verfeindete politische Systeme. „Little Berlin“ nannten die Amerikaner das Dorf, in dem eine 3,40 Meter hohe und 700 Meter lange Betonmauer quer durch den Ortskern lief. Dazu Minen, Wachtürme, Scheinwerfer – alles wie in „Big Berlin“.
„Die Verwaltungsgrenze, die seit dem 16. Jahrhundert Mödlareuth in einen bayerischen und einen thüringischen Teil trennte, war 1952 zur Systemgrenze geworden“, sagt Lebegern. „Mit all ihren brutalen Auswirkungen auf eine funktionierende soziale Gemeinschaft.“
Mödlareuth: Alles begann am 17. Juni 1990
Lebegern, ein freundlicher, gelassener Mann mit ruhiger Stimme, ist vor 27 Jahren aus seiner 100 Kilometer weiter südlich gelegenen Heimatstadt Weiden nach Mödlareuth gekommen. Ins deutsch-deutsche Museum, das damals – 1992 – eher noch eine kühne Idee war. Heute kommen pro Jahr zwischen 70.000 und 80.000 Besucher hierher. Eine Erfolgsgeschichte, die es ohne die Visionen und den Elan von Bürgern und Kommunalpolitikern nicht gegeben hätte.
Jetzt, 30 Jahre nach dem Fall der Mauer, wollen der Bund und der Freistaat Bayern das Museum weiter voranbringen: Mit je fünfeinhalb Millionen Euro finanzieren sie einen Neubau und die Umgestaltung des Freigeländes mit. Die Gesamtkosten für die Neugestaltung des Mödlareuther Museums werden mit 12,8 Millionen Euro veranschlagt. Fertig sein soll alles spätestens 2023.
Fotograf und Bürgermeister wollen ehemalige Teilung von Mödlareuth zeigen
Ein langer Weg sei es bis hierher gewesen, erzählt Lebegern. Alles habe am 17. Juni 1990 begonnen, als der Bürgermeister von Töpen, zu dem das bayerische Mödlareuth gehört, einen Bagger bestellte, um die ersten 300 Meter aus der immer noch stehenden Mauer im Dorf herauszubrechen. Bis dahin habe es nur einen Fußgängerübergang gegeben, der täglich von 8 bis 22 Uhr passierbar war.
„Am Abend dieses Tages saßen der Bürgermeister und Arndt Schaffer, ein Fotograf und Dokumentarfilmer, der seit Jahrzehnten die Grenze in dieser Gegend fotografiert hatte, beim Bier zusammen. Da kam ihnen die Idee, ein Museum in Mödlareuth aufzubauen, das die einzigartige Teilung des Dorfes dokumentieren sollte. Wenn man so will, war das die geistige Geburtsstunde unseres heutigen Museums.“
Museum steht heute im bayerischen Mödlareuth
Drei Monate später, Anfang September 1990, gründeten Mödlareuther Bürger einen Verein, der das Museum aufbauen und betreiben sollte. Aus beiden Teilen des Ortes kamen sie, auch wenn das Museum heute im bayerischen Mödlareuth steht. Immer mehr Menschen schlossen sich an, darunter Regionalpolitiker aus Bayern, Thüringen und dem nahen Sachsen, aber auch Bürger aus den Gemeinden ringsum. Am Ende hatte der Verein mehr als 150 Mitglieder.
Sie alle einte der Wille, die Teilungsgeschichte ihrer Region und Deutschlands in dem bayerisch-thüringischen Dorf zu dokumentieren.
1994 wurde das Museum eröffnet und in den Folgejahren um zusätzliche Depots und Filmräume erweitert. Als der Verein in finanzielle Schwierigkeiten geriet, übernahm 2006 ein Zweckverband das Museum. Ihm gehörten die drei umliegenden Landkreise und die Gemeinden Töpen in Bayern und Gefell in Thüringen an. Der vor einigen Jahren verstorbene Museumsmitbegründer Schaffer sagte einmal: „Wir sind ein nichtstaatliches Museum mit einer gesamtstaatlichen Bedeutung.“
Dorf zwischen Bayern und Thüringen - bis heute geteilt
Das mitten auf der bayerisch-thüringischen Grenze liegende Mödlareuth mit seinen heute 40 Einwohnern ist seit einem halben Jahrtausend faktisch ein geteiltes Dorf. Der Tannbach markiert seit dem 16. Jahrhundert die Grenze zwischen den heutigen Freistaaten Bayern und Thüringen. Mödlareuth hat deshalb zwei verschiedene Postleitzahlen, zwei unterschiedliche Telefonvorwahlnummern, zwei Feuerlöschteiche, zwei Bürgermeister. Und zwei Wahllokale, wenn Bundestags- oder Europawahlen anstehen.
Und doch verstanden sich die Dörfler immer als eine Gemeinschaft. Wirtshaus und Schule befanden sich im thüringischen Teil des Ortes, zum Gottesdienst ging man gemeinsam ins benachbarte bayerische Töpen. Dorffeste wurden zusammen gefeiert, und die Mödlareuther Männer zogen Seit’ an Seit’ in die Kriege – und fielen dort auch gemeinsam, woran das Denkmal für die Weltkriegsopfer am Tannbach im Dorfkern erinnert.
„Es war eine feste Dorfgemeinschaft, die auch die deutsche Teilung überstanden hat“, sagt Lebegern. „Vor allem bei den alteingesessenen Mödlareuthern war nach 1990 zu sehen, dass es zwischen ihnen trotz Mauer und Stacheldraht keinen großen Entfremdungsprozess gegeben hat.“
Mödlareuth: 1952 begann man mit dem Bau eines Bretterzauns
In den ersten Nachkriegsjahren ließ sich der Tannbach für die Dörfler zwar mit Passierschein, aber doch weitgehend problemlos weiter überqueren. Die Bauern konnten ihre Felder bestellen, auch wenn diese im anderen Teil Mödlareuths lagen. Das änderte sich erst am 26. Mai 1952, als der DDR-Ministerrat eine „Verordnung über Maßnahmen an der Demarkationslinie zwischen der DDR und den westlichen Besatzungszonen Deutschlands“ erließ.
Entlang der innerdeutschen Demarkationslinie wurde von heute auf morgen ein zehn Meter breiter Kontrollstreifen angelegt. Wurde er betreten, konnte von der Schusswaffe Gebrauch gemacht werden. Erste Grenzsperranlagen wurden nun auf DDR-Seite errichtet, die in den folgenden Jahrzehnten immer weiter ausgebaut und undurchlässiger wurden.
Vier Familien über Nacht zwangsumgesiedelt
In Mödlareuth begann man bereits im Juni 1952 mit dem Bau eines übermannshohen Bretterzauns. Vier Familien auf Thüringer Seite wurden über Nacht zwangsumgesiedelt, ihre nahe am Tannbach gelegenen Häuser abgerissen. Nachdem der Holzzaun morsch geworden und bei einem Sturm teilweise umgefallen war, ließen die Behörden Ende der 1950er Jahre einen sogenannten Flandernzaun errichten, eine Konstruktion aus Holzpfählen und Stacheldrahtgeflecht.
1961, als in Berlin die Mauer gebaut wurde, entstand ein Stacheldrahtzaun mit Betonsäulen, der drei Jahre später durch eine Plattenwand aus Beton- und Holzelementen mit Stahlabweisern abgelöst wurde. Zwischen April und Juni 1966 schließlich folgte der Bau der 700 Meter langen Betonsperrmauer nach Berliner Vorbild quer durch den Dorfkern – Mödlareuth war endgültig zu „Little Berlin“ geworden.
Nicht nur der Weg zwischen den beiden Teilen des Dorfes war abgesperrt, sondern auch der Blickkontakt zu den Nachbarn, Freunden und Verwandten. Welche Auswirkungen das hatte, wird mit vielen Fotos und kleinen Geschichten in der Dauerausstellung des Museums erzählt. „Das soll auch im neuen Museumsbau so sein“, sagt Lebegern.
Mödlareuth: Schon am Ortseingang sieht man einen alten Grenzzaun
„Unser Schwerpunkt bleibt die Teilungserfahrung der Menschen hier in Mödlareuth, der Mikrokosmos eines geteilten Dorfes, den wir sowohl in der Ausstellung als auch im Freigelände erzählen und nacherlebbar machen wollen.“ Zu diesem Zweck werde auch das Freigelände umgestaltet, wo nur noch die Grenzanlagen stehenbleiben beziehungsweise nachgebaut werden, die auch tatsächlich in Mödlareuth vorhanden waren.
Das Freigelände des Museums ist das erste, was einem ins Auge fällt, wenn man vom Nachbarort Juchhö die geschwungene Straße nach Mödlareuth hinunterfährt. Schon am Ortseingang sieht man rechter Hand einen alten Grenzzaun mit Kolonnenweg, der sich außerhalb des Ortes an die Mauer anschloss und noch auf einer Länge von 1,5 Kilometern in seinem Originalzustand erhalten ist. Im Dorfzentrum selbst führt die Straße an einer weiß getünchten Mauer samt Kontrollstreifen, Sicherungszaun und Lichttrasse vorbei – es ist der letzte vollständig erhaltene Teil der alten Sperranlage in Mödlareuth. Dazu gehört auch ein Beobachtungsturm, der gut hundert Meter entfernt auf Thüringer Seite emporragt.
Ort sammelt Sperranlagen der innerdeutschen Grenze
Neben diesen Originalteilen ist auf dem Freigelände aber auch ein ganzes Sammelsurium an Sperranlagen aufgebaut, die überwiegend aus anderen Grenzabschnitten stammen. „Wir haben seit 1990 faktisch alles gesammelt, was wir an Grenz- und Sperranlagen sowie Ausrüstungsgegenständen der Grenztruppen in die Hände bekamen“, sagt Lebegern. „Getreu der vier Säulen der Museumsarbeit: Sammeln, Bewahren, Forschen und Vermitteln. Ausgestellt ist jedoch nur ein geringer Teil der Exponate, unsere Depots sind voll. Doch vieles von dem, was wir dort untergestellt haben, bekommt man heute nur noch für teures Geld oder als Leihgabe.“
Lebegern schließt eines dieser Depots auf. Drinnen stehen Regale dicht an dicht, die bis an die Decke vollgepackt sind mit Signal- und Kommunikationstechnik der DDR-Grenztruppen, mit Suchscheinwerfern, Rufsäulen, Schaltschränken für den Signalzaun, Postensignalgeräten, entschärften Personenminen und Stahlrollen, auf die endlos lange Telefonkabel aufgerollt sind.
In einem Fach liegen sogar ein Dutzend originale Hundenäpfe, die zwischen den Sperrzäunen aufgestellt waren, wo Wachhunde Jagd auf Flüchtlinge machen sollten. „Die hier lagernden Exponate geben wir häufig als Leihgaben heraus an Gedenkstätten und andere Museen, etwa für Ausstellungen über das Grenzregime“, erläutert Lebegern.
Mödlareuth: Mikrokosmos mit Blick nach außen
Insgesamt verfügt das Mödlareuther Museum über 20.000 Exponate. Daneben befinden sich im Bestand des Hauses ein 70.000 Objekte umfassendes Film- und Fotoarchiv, ein Aktenarchiv mit einem Umfang von 20.000 Seiten sowie eine Bibliothek mit 4 000 Buchtiteln. In dem einzigen öffentlich zugänglichen Depot stehen schließlich noch mehr als zwei Dutzend Fahrzeuge der DDR-Grenztruppen und des Bundesgrenzschutzes (BGS). Dazu gehört auch ein Hubschrauber, den der BGS bei Flügen entlang der innerdeutschen Grenze eingesetzt hatte.
Braucht man all das wirklich, um den „Mikrokosmos“ Mödlareuth zu dokumentieren? Lebegern nickt heftig. Das Museum will in seinen Ausstellungen diesen Mikrokosmos auch aufbrechen, „den Blick weiten auf die Gesamtsituation, weil man das Große und Ganze nicht aus den Augen verlieren darf“, sagt er.
Mödlareuth im Sperrgebiet: nur ein Fluchtversuch dokumentiert
„50 Kilometer von hier entfernt ist der Ballon mit der Flüchtlingsfamilie über die Grenze Richtung Westen geschwebt, ein spektakulärer Fall, der jetzt sogar verfilmt wurde. Das können wir doch nicht unter den Tisch fallen lassen. Oder auch die Toten an der Grenze, die Fluchten und gescheiterten Versuche.
In Mödlareuth, das ja absolutes Sperrgebiet war, gab es lediglich einen dokumentierten Fluchtversuch, das war 1973, und er ist geglückt. Aber die anderen Fluchten und Versuche müssen eben auch ein Thema sein. Genau wie die differenzierte Darstellung der Grenz- und Sperranlagen entlang der gesamten Grenze. Nur im Vergleich dazu erschließt sich doch die spezifische Situation in Mödlareuth.“
Wenn man Robert Lebegern lauscht, spürt man, wie sehr er sich auf die neue Zukunft seines Museums freut. Wenn alles glatt geht, könnte schon im Herbst nächsten Jahres der erste Spatenstich für den Neubau erfolgen. „Ich kann es kaum erwarten“, sagt er.