Gleitflieger auf Rekordjagd Gleitflieger auf Rekordjagd : Hobbypilot aus Naumburg will 1000 Kilometer nonstop fliegen

Naumburg - Wie jetzt? 1000 Kilometer nonstop in der Luft? Und das mit einem propellergetriebenen Gleitschirm? 1000 Kilometer von Deutschland bis zum Baltikum? Geht so etwas überhaupt? Steffen Pretzsch lacht und antwortet diplomatisch: „Was auf kurzen Strecken reibungslos funktioniert, das sollte eigentlich auch auf viel größeren Distanzen klappen.“ Und erwähnt ganz nebenbei, dass er im Falle eines Erfolges einen Weltrekord eingeflogen hätte. Da kommt der Zuhörer aus dem Staunen nicht mehr heraus.
Der passionierte Hobbypilot aus Naumburg (Burgenlandkreis) hat auch schon einen Plan, wie sein Vorhaben zum Erfolg werden soll. „Alles wird bis ins letzte Detail bedacht“, sagt der 48-Jährige. Flugroute und -höhe, Windverhältnisse - ja sogar das eigene Gewicht müssen stimmen, soll der Weltrekord tatsächlich eingeflogen werden.
Doch wie kommt man eigentlich auf so eine Idee? „Abends im Bett“, sagt Pretzsch lachend und erzählt von seiner Leidenschaft, dem Fliegen. Was für Außenstehende faszinierend klingt, ist für Pretzsch völlig normal. „Wie Motorradfahren für andere, ist das Fliegen für mich.“ Er gibt sich bescheiden und erzählt, wie sich andere Menschen mit Tränen in den Augen bei ihm bedanken, wenn er sie mit seinem Gleitschirmflieger zu einem kleinen Rundflug einlädt. Ehefrau Olga bringt es auf den Punkt: „Steffen macht mit seiner Leidenschaft andere glücklich.“ Da spiele der Weltrekordversuch eigentlich eine eher untergeordnete Rolle.
Der XCitor ist ein propellergetriebener, zweisitziger Gleitschirmflieger, der dank einer integrierten Anhängerkupplung mit einem Auto zur Abflugstelle gefahren werden kann.
An der die zwei Sitze überspannenden Rahmenkonstruktion ist der Schirm befestigt. Angetrieben wird der Propeller des 170 Kilogramm schweren Fliegers mit Benzin, das aus einem Tank kommt.
Für seinen Weltrekordversuch hat Steffen Pretzsch bewusst den Flug über Polen nach Litauen ausgewählt, weil Westwind im Rücken stabiler als Ostwind ist.
Unterstützung für seinen Versuch erhält Steffen Pretzsch vom Flugsportzentrum Leipzig. Dessen Mitglieder organisierten die Erlaubnis, vom Internationalen Flughafen Leipzig/Halle starten zu können.
Ziel der 1000 Kilometer langen Flugstrecke ist der Luftsportklub „Kauno skraidunu Klubas“. Läuft alles nach Plan, will Pretzsch dort nach 16 Stunden landen.
Doch ganz so nebensächlich gestaltet sich das Unterfangen dann doch nicht. Wöchentlich - und das schon seit einem Jahr - stellt Pretzsch Berechnungen an, fertigt Skizzen und studiert technische Details seines Fluggerätes. „Das lässt mir einfach keine Ruhe“, betont der Naumburger. Stolz zeigt er sein Gefährt - ein hochmoderner, propellergetriebener Gleitschirmflieger vom Typ XCitor. „Es gibt nichts besseres und sicheres“, beschreibt Pretzsch die Vorzüge des XCitors. Und erklärt die vielen Schalter und Hebel an den unterschiedlichsten Stellen vor und neben seinem Flugsitz.
Begeisterung schon als Kind
Die Begeisterung für das Fliegen hat Steffen Pretzsch schon als Kind gepackt. Während andere Jungs im Kindergarten Ritterburgen bauten oder Cowboy und Indianer spielten, wollte er schon immer fliegen. „Ich kann mir das bis heute nicht erklären, warum mich gerade diese Leidenschaft gepackt hat“, erzählt er. „Es war einfach da - und lässt mich bis heute nicht los.“
Zu DDR-Zeiten allerdings blieb sein Traum ein Traum, denn: Fliegen durfte man nur, wenn man eine militärische Ausbildung hatte. Und die war für den damals 18-Jährigen tabu. Doch mit der Wende eröffneten sich plötzlich völlig neue Perspektiven.
Das Abheben in die Luft schien auf einmal in greifbare Nähe gerückt, wenngleich die deutschen Gesetze für Fluglaien die Begleitung eines ausgebildeten Fluglehrers zwingend vorschreiben. Und man muss eine entsprechende Ausbildung absolvieren. Die machte Pretzsch an der Flugschule im thüringischen Eisenberg. Dort erwarb er das sogenannte „L-Papier“, den Gleitschirm-Pilotenschein.
Im Sommer 1990 war es dann soweit. Steffen Pretzsch setzt zu seinem ersten Flug mit einem Gleitschirm an - damals noch ohne Propeller. Dazu kraxelt er auf eine Anhöhe entlang der Weinberge im Saale-Unstrut-Tal. „Da stand ich nun, den Gleitschirm auf meinem Rücken und bin einfach losgerannt.“ Innehalten war jetzt nicht mehr und kurz vor dem Abgrund - etwa 200 Meter Höhenunterschied - der alles entscheidende Sprung. „Plötzlich war ich in der Luft.“ Zwar etwas unbeholfen und nicht gerade mit Bestnoten, aber voller Glücksgefühle. „Diesen Moment werde ich nie vergessen.“ Minuten später plumpst er dann etwas holprig auf einen Acker. „Die paar Schrammen taten meinem Erlebnis aber keinen Abbruch.“
Wo Pretzsch seinen ersten 2.000-Meter-Sprung machte und welcher sein erster Weltrekord war, lesen Sie auf Seite 2.
Und wie das nun mal im Leben eines begeisterten Hobby-Piloten so ist - man will immer weiter, immer höher hinaus. „Irgendwann wurden mir die Hügel in meiner Gegend zu klein und ich fuhr in die Berge.“ Für seinen ersten 2.000-Meter-Sprung sucht sich Pretzsch das Zillertal in Österreich aus.
„Da hatte ich zum ersten Mal richtig Dampf in der Hose“, sagt der Naumburger und fügt hinzu, dass er sich doch schon gefragt habe, was er hier eigentlich mache. „Ich hatte wahnsinnigen Respekt vor der Höhe. Angst darf man da nicht haben.“ Aber auch dieser Sprung hat geklappt, „sonst säße ich heute ja nicht hier“.
Kurze Zeit später der erste große Erfolg: Zusammen mit einem Freund knackt er 1997 beim „Yahoi“-Mountain-Festival im österreichischen Mayrhofen den Weltrekord im „Massenfliegen“. 211 tollkühne Flieger flogen gleichzeitig über dem Ort im Zillertal und landeten punktgenau im Ziel. „Das war schon atemberaubend.“
Doch auch solche Erlebnisse bringen eines Tages nicht mehr den gewünschten Kick. Und so kauft sich der damals 30-Jährige schließlich die nächste Stufe eines Gleitschirmes: einen kleinen Propellermotor, der - auf den Rücken geschnallt und in Verbindung mit dem daran befestigten Gleitschirm - das Abheben in die Luft ermöglicht.
Damit alles den gesetzlichen Bestimmungen entspricht, muss Pretzsch seine Flugkünste in regelmäßigen Prüfungen unter Beweis stellen. Und auch das Gebiet, in dem er mit seinem Flieger umherschwirren darf, ist festgelegt. Die Deutsche Flugsicherung hat eigens dafür den Luftraum strukturiert.
Eine kompliziert anmutende Karte legt fest, in welchen Höhen sich Hobbypiloten mit ihren Fliegern bewegen dürfen. Und last but not least muss vor größeren Flügen das Okay der Deutschen Flugsicherung eingeholt werden. „Ohne geht nichts“, erläutert Pretzsch und spricht den Satz mit seiner Flugkennung, der per Funk an die Leitstelle in Leipzig abgesetzt werden muss: „Delta Mike Charlie Echo India abflugbereit.“
Jetzt konzentriert Steffen Pretzsch sein ganzes Handeln auf seinen Weltrekordversuch. Dieser soll aller Voraussicht nach Ende Juni in Angriff genommen werden. „Ich brauche so lange wie möglich helles Licht.“ Und dafür kommen nur die Tage um den 21. Juni in Betracht. Und auch das Wetter - und vor allem der Wind - müssen mitspielen.
„Westwind ist Voraussetzung“, sagt Pretzsch, denn dieser soll ihm den nötigen Schub geben, um die 1 000 Kilometer zu knacken. Aus eigener Kraft ist die Distanz sonst nicht zu schaffen. Da hilft auch die kleine, mit dem Hersteller des XCitors abgestimmte Modifizierung des Benzintankes nicht.
Ernährung umgestellt
Schon jetzt stellt Pretzsch schrittweise seine Ernährung um, damit er während des Fluges keine Probleme bekommt. Denn „auf Toilette gehen ist nicht“, sagt Pretzsch. Für das kleine Bedürfnis trägt er eine spezielle Vorrichtung am Körper. Die muss reichen.
Begleitet wird der tollkühne Flieger bei seinem Rekordversuch von einem mehrköpfigen Team, das parallel am Boden die Strecke mit einem Kleinbus abfährt. Darunter befinden sich ein Arzt, ein Navigator, seine Frau Olga - und die Mitteldeutsche Zeitung. Pretzsch möchte den Flug live im Internet dokumentieren.
Dazu ist er per Funk mit seinem Bodenteam verbunden. Die entsprechende Technik hat er bereits an seinem Flieger getestet.
Zusätzlich zu seinem Weltrekordversuch wartet Pretzsch noch mit einer besonderen Idee auf. Für jeden erreichten Kilometer will er einen Euro für eine gemeinnützige Einrichtung in Naumburg spenden. „Das ist es mir wert.“ (mz)