Giftalarm in Garagenkomplex Giftalarm in Garagenkomplex: Entwarnung in Blankenburg

Blankenburg/MZ - Die junge Frau ganz in Schwarz steht etwas abseits, aber sie lässt die vier Soldaten nicht aus den Augen. Niemand hier in Blankenburg interessiert sich mehr dafür, was die Spezialisten der Bundeswehr aus Sonthofen herausfinden werden - denn in dieser Garage ist vor wenigen Tagen ihr Vater gestorben. Und niemand weiß so recht, warum das geschah. Steht der Tod des 72-jährigen Mannes in Blankenburg in Verbindung mit giftigem Gas, das auf dem Gelände eines Garagenkomplexes austritt?
Kein hochgiftiger Stoff
Der Mann war dort am vergangenen Mittwoch leblos neben seinem Auto gefunden worden, Einsatzkräfte hatten auf dem Gelände einen beißenden Geruch festgestellt. Zunächst war unklar, um welche Substanz es sich handelt; die Stadt hat auf Empfehlung des Instituts der Feuerwehr Sachsen-Anhalt und in Abstimmung mit dem Umweltamt des Landkreises einen Sperrgürtel von 100 Metern eingerichtet. Noch weiß man zwar nicht genau, was es ist, aber eines ist laut Blankenburgs Bürgermeister Hanns-Michael Noll seit dem Abend sicher: „Es ist kein hochgiftiger Stoff, geschweige denn ein Kampfstoff.“
Stoff soll analysiert werden
Aber was war in der Garage, was auch die Feuerwehrexperten mit Sitz in Heyrothsberge nicht herausfanden? Noll: eine „übelriechende, aber ungefährliche Geschichte“. Was genau dort so stinkt, wollen die Soldaten noch in der Nacht herausfinden. „Das wird mit dem Computer analysiert“, sagt Noll. „Für mich ist jetzt aber vor allem wichtig, dass die Bevölkerung in Blankenburg wieder ruhig schlafen kann“, so der Bürgermeister. „Stellen Sie sich mal vor, wir hätten hier alle dreieinhalbtausend Menschen in Sicherheit bringen müssen!“
Todesursache noch unklar
Woran der Mann gestorben ist, bleibt nun zunächst unklar. Erst wenn eindeutig geklärt ist, was da aus dem Boden in der Karl-Zerbst-Straße herausströmt, wird sich auch die Todesursache des 72-jährigen Rentners offenbaren. Denn erst dann wird seine Leiche zur Obduktion freigegeben. Bislang war dies „viel zu gefährlich“, sagt Staatsanwalt Hauke Roggenbuck. „Es geht hier vorrangig um die Sicherheit der Mitarbeiter.“ Die Antwort auf die Frage, woran der Mann gestorben ist, lässt sich aber vielleicht schon im Laufe des Tages klären. Die Obduktion des Leichnams wird nach MZ-Informationen noch am Mittwoch angestrebt.
Um zu verstehen, wie erleichtert Noll nun ist, muss man sich den Ablauf vergegenwärtigen. Rückblick: Das Institut in Heyrothsberge konnte die Substanz nicht analysieren, die nach seinen Aussagen in Sachsen-Anhalt nicht bekannt ist. Die Stadt hat daher die ABC- und Selbstschutzschule des Heeres im bayerischen Sonthofen um Amtshilfe gebeten. „Das sind richtige Spezialisten mit hochwertiger Technik, die darauf vorbereitet sind“, sagt Noll. Experten wie sie gebe es auch bei der Bundeswehr nur zweimal: in Höxter und eben in Sonthofen.
Arbeit in Schutzkleidung
Dienstagnachmittag rückt der Spähtrupp in einem weißen Mercedes Sprinter mit Spezialgerät an. Vier Soldaten springen aus dem Auto, ziehen sich blaue Gummihandschuhe an und kleben die Ärmel ihrer Tarnuniform mit Klebeband ab. Dann setzen sie Schutzmasken auf und packen ihre Ausrüstung: ein Tornister mit einem Schlauch und mehrere Taschen sind zu erkennen. Da es langsam dunkel wird, setzen sich die Soldaten Stirnlampen auf. Sie öffnen das braune Garagentor, zwei gehen hinein, zwei bleiben draußen.
Aus der Ferne ist nicht zu erkennen, was sie dort genau machen - die Garage ist mit einem Zaun und Flatterband weiträumig abgesperrt. Der Spähtrupp, heißt es, hat tragbare Detektionsgeräte für Kampfstoffe und Industriechemikalien dabei, die anzeigten, um welche Stoffe es sich handelt.
Kaserne wurde 1947 gesprengt
Den Geruch in der Garage beschreiben Beobachter unterschiedlich, sprechen von Ähnlichkeiten mit Erdgas oder Knoblauch. „Bei Knoblauchgeruch wäre es eher in den Bereich der militärischen Kampfgase einzuordnen“, fürchtete Noll zuvor. Diese Ängste sind zunächst durchaus nicht grundlos: Auf dem Gelände stand Ende des Zweiten Weltkrieges eine Kaserne, die 1947 gesprengt wurde. Auf der Fläche wurde in den 60er Jahren ein Wohngebiet errichtet. „Es könnte sein, dass da etwas durchgerostet ist, was zugeschüttet worden war“, so Noll noch am Nachmittag.
Jürgen Thieme befeuerte diese Sorge: „Es gibt vier Kampfstoffe, die sich in Übungsmitteln aus dem Zweiten Weltkrieg wiederfinden“, sagt der Mann, der Ende der 1990er-Jahre für das Umweltbundesamt einen „Katalog der Übungs-, Nachweis- und Entgiftungsmittel“ zusammengestellt hat. Diese Übungsmittel - zum Beispiel Flaschen mit Gelbkreuzkampfstoffen - seien zum Ende des Kriegs einfach in Schützengräben entsorgt worden, sagte Thieme.
Zwei bis drei Fälle pro Jahr
Doch am Ende kann der ABC-Spähtrupp Entwarnung geben. Hätte auch dieser nichts gefunden, wären die Experten im Wehrwissenschaftlichen Institut für Schutztechnologien in Munster die letzte Hoffnung der Blankenburger auf eine Klärung gewesen. Das Institut in Niedersachsen hat selten mit Anfragen aus dem zivilen Bereich zu tun, pro Jahr gebe es durchschnittlich zwei bis drei Fälle, so ein Sprecher. Anders sah dies vor 13 Jahren aus, als eine Reihe von Anthrax-Anschlägen in den USA auch Deutschland in Angst versetzte. Damals wurden dem Institut rund 25 Proben zugesandt.
Entwarnung also für Blankenburg, aber noch keine Gewissheit für die Frau, die ihren Vater verloren hat.
