Giebichenstein-Gymnasium in Halle Giebichenstein-Gymnasium in Halle: Erste Stunde als Klassenlehrer

Halle (Saale) - Der Neue der Klasse 9.4 trägt blaues Hemd und helle Stoffhosen. Seine Hände hat er zwar lässig in den Taschen versteckt, doch Benjamin Glatz ist nervös. Kein Wunder: Schließlich ist heute sein erster Schultag. „Wirklich gut geschlafen habe ich letzte Nacht nicht“, räumt er ein. Der 27-jährige Leipziger tritt seine erste Lehrerstelle am Giebichenstein-Gymnasium „Thomas Müntzer“ in Halle an und muss dort an diesem Donnerstag seine Feuerprobe bestehen: die erste Mathestunde mit seiner ersten Klasse.
Zahlenbereiche stehen auf der Tagesordnung, die er heute mit den 25 Jungen und Mädchen durchpauken muss. „Nicht unbedingt das Thema, mit dem man Schüler für Mathe begeistern kann“, fürchtet Glatz. Doch eine Wahl hat er nicht: Der Lehrplan schreibt eine kurze Wiederholung des Stoffes aus dem alten Schuljahr vor.
Gymnasium ist kein Neuland
Was die Sache leichter macht: das hallesche Gymnasium ist für ihn kein Neuland. Von September 2012 an hat er dort zwei Jahre lang sein Referendariat gemacht und bereits reichlich Erfahrungen gesammelt. Wie zum Beispiel die Arbeitsbelastung. In dieser Zeit hat er zwar nur zwölf Unterrichtsstunden pro Woche, für die Vorbereitung des Stoffes sitzt er jedoch schon damals täglich bis spät in den Abend am Schreibtisch. „Viele Lehramtsstudenten merken erst dann, was es in der Realität bedeutet, Pädagoge zu sein“, sagt Glatz.
Für knapp 237 000 Schüler in Sachsen-Anhalt hat am Donnerstag das neue Schuljahr begonnen. Vor den Klassen stehen landesweit rund 14 450 Lehrer. Trotz 150 zusätzlicher Stellen, die die Große Koalition zum neuen Schuljahr geschaffen hat, sehen Kritiker die Unterrichtsversorgung weiter gefährdet.
Vor allem die steigende Belastung der Lehrkräfte in Sachsen-Anhalt wird von der Bildungsgewerkschaft GEW scharf kritisiert. GEW-Landesvorsitzender Thomas Lippmann spricht dabei von der „schlechtesten Unterrichtsversorgung seit der Wende“.
Auch aus diesem Grund hat die Gewerkschaft zu Beginn des neuen Schuljahres ein „Sorgentelefon“ für Sachsen-Anhalt eingerichtet. Vor allem Lehrer, aber auch Schüler und Eltern könnten dort ihre Sorgen und Nöte rund um das Thema Schule loswerden, erklärte GEW-Sprecher Hans-Dieter Klein. Beraten lassen können sie sich am „Sorgentelefon“ von GEW-Funktionären und Personalratsmitgliedern.
Das Angebot des Sorgentelefons wurde nach GEW-Angaben gut angenommen. Bis zum Mittag gingen gestern bereits 40 Anrufe von Lehrern ein. Die meisten Pädagogen beklagten eine unzureichende Unterrichtsversorgung und die Nichtbesetzung freier Stellen. Das Sorgentelefon ist immer mittwochs von 16 bis 19 Uhr unter 0391/735 5455 zu erreichen.
Doch es geht nicht nur um die Arbeitszeit, es geht auch um das Verhältnis zu den Schülern. „Wenn man im Referendariat dauerhaft vor der Klasse steht, testen die Schüler ihre Grenzen aus.“ In dieser Zeit habe er gelernt, sich durchzusetzen, erzählt der Jungpädagoge. Tuscheln ist in seinem Unterricht nicht erlaubt. Wenn ihm ein Schüler zu frech wird, setzt er ihn kurzerhand vor die Tür. „Da muss man lernen, konsequent zu sein.“
Welche Aufgaben und Verantwortungen ihn als Klassenleiter erwarten und warum ihm das Unterrichten im Blut liegt, erfahren Sie auf Seite 2.
Neu ist aber für ihn nun die Verantwortung, die er als Klassenleiter übernehmen muss. Auf einmal müssen neben dem reinen Unterricht Klassenausflüge geplant, Elternabende organisiert und Belehrungen durchgeführt werden. Und auch das Pensum hat sich gegenüber dem Referendariat erhöht: Statt zwölf steht Benjamin Glatz nun 25 Stunden in der Woche im Klassenzimmer. Und sicher werden es manchmal noch mehr werden, etwa wenn Vertretungen für andere Kollegen anstehen.
Wie andere Schulen in Sachsen-Anhalt kämpft auch das Giebichenstein-Gymnasium mit Personalmangel. Knapp 1 000 Schüler hat das Gymnasium, 76 Lehrer stehen vor den Klassen. Doch nach Erfahrungen der Schulleitung sind im Schnitt fünf Pädagogen dauerhaft krank. Dennoch geht der 27-Jährige mit Elan seine neue Herausforderung an.
Der Stoff sitzt nicht mehr
Dabei verläuft der Start in der ersten Stunde durchaus etwas holprig. Das allerdings liegt nicht an dem neuen Lehrer. Vielmehr haben die Schüler nach sechs Wochen Sommerferien einiges des alten Mathe-Stoffes vergessen. Glatz lässt sich davon jedoch nicht aus der Ruhe bringen. Geduldig erklärt er den Neuntklässlern immer wieder, was es mit natürlichen, ganzen und rationalen Zahlen auf sich hat.
Dem Leipziger liegt das Unterrichten im Blut. Schon zu seiner Schulzeit gibt er schwächeren Schülern Nachhilfe. Und bereits als Student leitet er an der Universität in Leipzig Seminare und unterrichtet in den Semesterferien an seinem alten Gymnasium in Döbeln. Aus seiner Sicht kommt es vor allem darauf an, möglichst früh viel Praxiserfahrung zu sammeln. „Gute Noten im Studium sind noch längst keine Garantie dafür, dass man ein guter Lehrer wird.“ Nach der ersten Doppelstunde ist der 27-Jährige mit sich und seinen Schützlingen zufrieden „Alle haben gut mitgemacht. Ich glaube, wir werden miteinander klarkommen.“ (mz)