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Gewalt Gewalt: Neue Dimension heißt «Hooltras»

26.10.2009, 14:01

Brandis/Leipzig/dpa. - Fallen, Hinterhalte, Straßenschlachten:Die Polizei sieht sich einer neuen Gewalt gegenüber. DieSchreckensbilder vom detailliert vorbereiteten Angriff auf diePolizisten anlässlich des Spiels in der Fußball-Regionalliga zwischendem Halleschen FC und dem 1. FC Magdeburg Ende September sindalarmierend. Der jüngste Angriff von Neonazis am Samstag beimachtklassigen Fußball-Spiel FSV Brandis gegen Roter Stern Leipzigzunächst auf Fans und später auf Polizisten reiht sich ein. Die

Politik sucht an Runden Tischen ebenso händeringend wie hilflosLösungen. Dabei schwankt sie zwischen dem Einsatz Kamera bewehrterMini-Hubschrauber - sogenannter Drohnen - und Gummigeschossen.Letzteres lehnt die Polizei ab. Doch woher kommt die fast grenzenloseGewalt, bei der mitunter ein Menschenleben nur einen Fußtritt wertist?

«Diese Dimension nimmt immer mehr zu. Jugendliche ab 14 Jahrenaufwärts suchen das Abenteuer, das man mit keiner Frau oder Drogeerleben kann», sagt Professor Gunter A. Pilz von der UniversitätHannover. Das überwiegende Motiv sei die Selbstdurchsetzung. Es seidie Lust am Kick, die Suche nach Spannung und die Befriedigung, sichselbst zu behaupten. «Menschen mit einem ganz normalen Beruf prügelnsich am Wochenende», erklärt Polizeidirektor Uwe Kilz aus Dresden.Darunter sind auch viele Akademiker, wie Rechtsanwälte oderIngenieure.

Eine neue Gruppierung - genannt Hooltras - will sich selbstbehaupten und vor allem Machtgefühl spüren. Häufig sind das Vertreteraus der unteren sozialen Schicht, die sich erst in der Gruppe starkfühlen. Auch der gesellschaftliche Frust spielt eine große Rolle.«Gerade die Weltwirtschaftskrise hat Alkohol, Arbeitslosigkeit undPerspektivlosigkeit zur Folge», sagt Kilz. Oft sind diese Personenauch bei Demonstrationen des rechten oder linken Lagers mit dabei.«Die Personen wollen wahrgenommen und beachtet werden», erklärt derDresdner Polizeidirektor.

Dabei haben sowohl der Gewaltforscher Pilz als auch derPolizeidirektor ein Phänomen entdeckt: Eine neue Vereinigung vonGewalttätern, die die Aktionen planen. In Halle hatten etwa 50 Rowdysbereits im Vorfeld Mülltonnen mit Pflastersteinen und Zaunlattenvorbereitet und nach dem Spiel durch eine angetäuschteAuseinandersetzung rivalisierender Fangruppen die Polizei in eineFalle gelockt. 16 Polizisten wurden dabei verletzt. «Strategienwerden genauestens geplant, um dem Feindbild Polizei zu schaden.Dabei wird mit viel Intelligenz vorgegangen. Diese Personen setzensich intensivst mit der Polizeitaktik auseinander und schmieden ihrePläne», berichtet Kilz.

In Sachsen-Anhalt gibt es nach Aussagen des Innenministeriums rund620 Problem-Fans, davon werden 90 Personen der Kategorie C, also dengewalttätigen Fans zugeordnet. In Sachsen sind es nach Angabe von UweKilz etwa 1300 gewaltgeneigte Ultras, dazu kommen rund 390 Personender Kategorie C. Im Freistaat Sachsen sind knapp 1400 Gewalttäter imSport bekannt.

Die längst bekannten Ultras sind fanatische Anhänger einesVereins, unterstützen diesen durch Choreographien und Fan-Gesänge undlehnen eine Kommerzialisierung des Sports ab. «Von denbreitgefächerten Ultras stellt sich eine kleine Gruppierung vonmaximal fünf Prozent für die Polizei zunehmend als ein Problem heraus- die sogenannten Hooltras», erklärt Gunter A. Pilz, der diesenBegriff in einer Studie über Fußballfans 2006 eingeführt hatte. «Vomnormalen Kutten-Fan, der die Vereinsfarben trägt, zum Hooligan undzum Ultra haben sich dann die Hooltras entwickelt», meint der 64-jährige Professor.

Mit den Verhaltensweisen der Ultras kommt die hoheGewaltbereitschaft der Hooligans hinzu. Besonders gefährlich ist es,wenn sie weitere «Fans» anstacheln, sozusagen mitreißen. Hooltrasverprügeln sich nicht nur in verabredeten Gruppen und lassen nicht von amBoden Liegenden ab, sondern greifen auch die Polizei an und nehmenschwere Verletzungen in Kauf.

Für Professor Pilz ist diese Entwicklung kein Fußball-, sondernein Gesellschaftsproblem. «Jugendliche tun sich zusammen und legen esdarauf an, den Staat mit Gewaltfantasien zu pieksen». Das seien dannkeine Hooltras mehr, denn, so Pilz: «Diese Personen haben keinerleiFußball-Bezug. Das Sportereignis wird zum reinen Gewalt-Event.»