Gesundheit Gesundheit: Die rollende Arzthelferin
STOLBERG/MZ. - Ein strahlendes Gesicht, ein fester Händedruck, eine herzliche Umarmung - wenn Kathrin Schneider in der Harzregion unterwegs ist, ist sie ein gern gesehener Gast. Vielerorts wird die zierliche Frau mit dem frechen Kurzhaarschnitt und den wasserblauen Augen freudig erwartet. Der eine oder andere hält bereits nach dem signalroten Kleinwagen der 42-Jährigen Ausschau.
Schneider - vielen nur als Schwester Kathrin bekannt - ist mobile Praxisassistentin. Seit 2007 absolviert sie Hausbesuche für die Stolberger Hausarztpraxis und war damit eine der ersten, die - damals noch im Modellversuch - als mobile Assistentin eines Hausarztes im Einsatz war. Inzwischen hat sich vieles verändert. Nicht nur, dass der im Dezember 2007 gestartete Modellversuch längst zur gängigen Praxis geworden ist. Seit März 2009 wurde die mobile Praxisassistentin in die Regelleistung der Krankenkassen aufgenommen. Der Modellversuch war zunächst nur von der AOK gemeinsam mit der Landesregierung und der Kassenärztlichen Vereinigung gestartet worden. Das Projekt war damals unter dem Namen "Agnes" (Arztentlastende gemeindenahe e-Health-gestützte systematische Intervention) bekannt geworden. Er erinnerte an eine bekannte DDR-Fernsehserie, in der seinerzeit die Gemeindeschwester Agnes im Mittelpunkt stand.
Zwar ist das Aufgabengebiet für die mobilen Helferinnen seit dem Projektstart nahezu gleich geblieben. Dafür ist aber das Interesse an der mobilen Praxisassistentin stetig gestiegen, bestätigt Schneider. "Die Zahl der Patienten ist viel größer geworden." Damit ist auch ihr Einsatzgebiet gewachsen. Bis zu zehn Patienten sucht Schwester Kathrin heute täglich auf. Für manchen Hausbesuche legt sie Strecken von bis zu 35 Kilometern zurück. Bei den Patienten übernimmt die gelernte Krankenschwester delegierbare Aufgaben für den Arzt. Neben Routineaufgaben wie Blutdruckmessen, Medikamente und Zuckerwerte kontrollieren gehört dazu auch, für Fragen und Nöte ein offenes Ohr zu haben.
So auch bei dem Ehepaar in Stolberg. Die 87-jährige Rentnerin hat lernen müssen, ihren Mann wegen seiner Zuckerkrankheit Insulin zu spritzen. "Ich hatte so was noch nie gemacht", erzählt die rüstige Frau und offenbart, dass ihr das anfangs nicht ganz geheuer war. Den richtigen Umgang mit der Nadel hat sie unter den wachsamen Augen der Praxisassistentin gelernt. "Ich habe mein Kissen geimpft", erzählt sie lachend von ihren ersten Versuchen. Von den Ergebnissen am Patienten überzeugt sich Kathrin Schneider inzwischen regelmäßig.
Bei vielen Patienten, so Schwester Kathrin, geht es nicht allein darum, Krankheiten zu behandeln. Oft sind es auch Unsicherheiten und Nöte, die die 42-Jährige zu lindern hilft. "Ein alternder Körper verändert sich einfach", erklärt sie. "Viele sind besorgt, wenn Symptome auftreten, die vorher noch nicht da waren." In ausführlichen Gesprächen und mit viel Verständnis versucht sie all die Fragen zu beantworten. "Ich kann kein Gespräch unterbrechen, das dem Patienten wichtig ist", sagt sie.
Manchmal wird Schneider spontan zu Einsätzen gerufen - etwa vom örtlichen Pflegedienst. So wird sie hinzugezogen, wenn bei einem gemeinsamen Patienten die Wundverbände gewechselt werden. So kann sich die Praxisassistentin die Wunden ansehen und sie per Foto für den Arzt dokumentieren.
Auch für die Hausärzte hat sich das Modell der Praxisassistentin zum Erfolg entwickelt. Derzeit unterstützen 269 Frauen 248 Ärzte im Land - als sogenannte Versorgungsassistentinnen der Hausarztpraxis (Verha), wie deren Bezeichnung inzwischen lautet. Damit ist deren Zahl in der Vergangenheit stetig gestiegen. Auch in Zukunft wird mit wachsender Nachfrage zu rechnen sein, sagt Burkhard John von der Kassenärztlichen Vereinigung. "Perspektivisch wird es immer weniger Hausärztegeben", so John. Mit einer mobilen Assistentin können die bestehenden Praxen jedoch mehr Patienten betreuen. Auch Hausarzt Olf Czernohorsky sieht darin die Zukunft, gerade in ländlich geprägten Gebieten. Er betreibt die Praxis in Stolberg, für die Schwester Kathrin unterwegs ist. "Mittelfristig wird die Erledigung delegierbarer Aufgaben durch mobile Praxisassistentinnen weiter zunehmen", sagt er.
Dabei ist längst nicht jedes Bundesland mit der mobilen Praxisassistentin erfolgreich. Dass das Projekt im Land funktioniert, hänge vor allem mit der hierzulande praktizierten zusätzlichen Vergütung im Rahmen des Hausärzteprogramms zusammen, begründet John. In Brandenburg, wo derartige Zusatzverträge nicht existieren, steht die mobile Versorgungsassistenz indes auf der Kippe - inzwischen wird über Korrekturen an dem Konzept diskutiert.
In Sachsen-Anhalt ist es nicht nur für die Hausarztpraxen attraktiv, eine Assistentin anzustellen. Es sind ebenso die Patienten, die profitieren. Das betonen auch Hans und Anneliese Heintorf aus dem Harzort Breitenstein. Mit einer Umarmung wird Schwester Kathrin dort begrüßt, bevor sie sich nach dem Befinden von Anneliese Heintorf erkundigt.
Während Kathrin Schneider die Zuckerwerte überprüft, erzählt Hans Heintorf von der Hilfe, die beide durch die Praxisassistentin erfahren haben. So hat Schneider sich neben ihrer Arbeit erfolgreich dafür eingesetzt, dass der Rollstuhl der 80-Jährigen erneuert wird. Bald, so Anneliese Heintorf, hofft sie wieder Ausflüge ins Dorf machen zu können. Und auch ihr Mann ist erleichtert: "Da haben Sie wirklich was geschafft."