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Germanwings-Opfer aus Halle Germanwings-Opfer aus Halle: Vater spricht über das Leben nach dem Absturz

Von Felix Knothe 18.05.2015, 11:34
Die verstorbene Künstlerin Juliane Noack bei ihrer Arbeit.
Die verstorbene Künstlerin Juliane Noack bei ihrer Arbeit. Joerg Lipskoch Lizenz

Fienstedt - Die aus Halle stammende Schmuckkünstlerin Juliane Noack, die zuletzt in Leipzig lebte und arbeitete, ist beim Germanwings-Flugzeugabsturz im März ums Leben gekommen. Für ihre Eltern ist seitdem nichts mehr wie vorher. Ihr Vater Frank Noack, Bauunternehmer aus Fienstedt (Saalekreis), erzählt zum ersten Mal von der schweren Zeit für die Familie und die Pläne, das Andenken an die Künstlerin auf besondere Weise zu bewahren. Das Gespräch führte Felix Knothe.

Herr Noack, wie geht es Ihnen und Ihrer Frau?

Noack: Unterschiedlich. Es gibt Tage, da klappt es ganz gut. Und dann gibt es Tage, da heulen wir den ganzen Tag.

Wie haben Sie vom Tod Ihrer Tochter an Bord jenes Fliegers erfahren?

Noack: Ich hatte gehört, dass ein Flugzeug abgestürzt war. Ich wusste zwar, dass unsere Tochter in Spanien ist und zurückkommen wollte, habe es aber nicht in Verbindung gebracht. Sie war in Valencia und nicht in Barcelona. Dann hat mich meine Frau angerufen und mir gesagt, ich solle nach Hause fahren, da wusste ich, dass etwas passiert war. Als ich zu Hause den Fernseher angemacht habe und die Flugroute gesehen habe, wusste ich, dass unsere Tochter tot ist. Trotzdem hatten wir immer noch Hoffnung. Wir haben die Hotline angerufen und sind kurz danach nach Düsseldorf geflogen. Aber erst als uns Lufthansa-Chef Carsten Spohr nach 24 Stunden persönlich gesagt hat, dass die Passagierliste bestätigt ist, war der letzte Funken Hoffnung weg.

Sie sind sofort, wie alle Angehörigen, umfassend betreut und auch abgeschirmt worden. Wie haben Sie diese Zeit erlebt?

Noack: Germanwings und Lufthansa haben sofort alles in die Hand genommen. Es war und ist rund um die Uhr jemand für uns zuständig. Wir sind nie mit jemand anderem in Kontakt gekommen, außer mit den anderen Angehörigen. Auch rund um die Trauerfeier im Kölner Dom wurden wir stark abgeschottet. Das hat uns sehr geholfen.

Welche Gefühle hegen Sie gegenüber dem Co-Piloten, der das Unglück absichtlich verursacht haben soll?

Noack: Es bleibt Unverständnis. Für uns ist das kein Selbstmörder im klassischen Sinne. Ein Selbstmörder bringt in der Regel nur sich selbst um. Für uns ist er ein Mörder. Trotzdem stellen wir uns nicht die Frage nach Schuld oder nach dem Warum. Letztlich ist es Schicksal. Und wir haben auch Mitleid mit seiner Familie. Auch seine Eltern haben ein Kind verloren.

Wie haben Sie die öffentliche Anteilnahme wahrgenommen?

Noack: Wegen der Abschottung nicht in vollem Maße. In Köln war Ministerpräsidentin Hannelore Kraft bei uns Angehörigen und hat uns persönlich erklärt, warum und wie die Kameras und Journalisten anwesend sein werden. So haben wir uns sicher gefühlt. Durch Freunde und Verwandte waren wir aber trotzdem sehr gut informiert darüber, wie die Menschen Anteil genommen haben, aber auch über das Ausmaß der Berichterstattung.

Daran gab es viel Kritik. Was denken Sie darüber?

Noack: Wir selbst haben versucht, das nicht an uns heranzulassen. Doch wenn man zum Bäcker geht, kann man die Schlagzeilen dann doch nicht vollends übersehen. „Video zeigt letzte Sekunden“ oder so ähnlich hieß eine Schlagzeile der Bild-Zeitung. Da frage ich mich: Wie pervers muss man sein, so etwas groß anzukündigen und auszuschlachten? Und wer hat Interesse, sich sowas anzuschauen?

Warum die Familie jetzt an die Öffentlichkeit geht, lesen Sie auf der nächsten Seite.

Sie und Julianes Freunde haben in den ersten Wochen die Medien bewusst auf Abstand gehalten. Warum gehen Sie jetzt an die Öffentlichkeit?

Noack: Es ging uns nie darum, etwas zu verschweigen. Die Leute haben ein gewisses Recht auf Information, zumal unsere Tochter als Künstlerin ja schon oft in der Öffentlichkeit gestanden hatte. Am Anfang hatten wir aber große Angst, dass das von uns nicht gesteuert werden kann und dass uns Berichte verletzen könnten. Darum wollten wir erstmal keine Fotos von Juliane zeigen und das, was im Netz stand, herausnehmen. Jetzt ist eine gewisse Zeit vergangen, wir konnten ungestört an der Trauerfeier im Kölner Dom teilnehmen. Das hat uns viel gegeben. Mittlerweile sind in verschiedenen Medien, auch in der MZ, Berichte über unsere Tochter erschienen, die wir für angemessen und gut halten. Jetzt ist es in Ordnung.

Welches Bild soll von Ihrer Tochter nachwirken?

Noack: Erst nach Ihrem Tod haben wir gemerkt, welchen großen Wirkungskreis sie hatte. Sie war eine Macherin, eine Künstlerin mit großem Potenzial. Dass sie Künstlerin werden würde, war schon von Kindesbeinen an klar. Und vieles wird von ihr bleiben, ob es das Wandbild am Zoo in Halle ist, das sie noch als Schülerin gestaltet hat, der Kunstkiosk Herr Fleischer in Halle oder ihre Schmuckkunst. Mittlerweile gibt es Anfragen weltweit, obwohl sie erst am Anfang ihrer Karriere gestanden hatte. Daher haben ihre Freunde und wir uns überlegt, was man machen könnte, damit etwas von ihr bleibt.

Was ist Ihre Idee?

Noack: Wir wollen ein Stipendium für junge Schmuckkünstler ins Leben rufen, wie unsere Tochter eine war. Es soll ihnen helfen, nach dem Studium Fuß zu fassen. Das ist für Künstler sehr schwer. Wir werden selbst Geld dazu geben, auch die Entschädigung, die wir möglicherweise bekommen werden. Und wir wollen andere Stiftungen und Institutionen einladen, sich zu beteiligen. Auf welche Art das am besten geht, steht noch nicht fest. Freunde Julianes haben dazu einen Brief an viele Institutionen geschrieben.

Gab es Reaktionen?

Noack: Das ist so eine Sache. Es gab von einigen öffentlichen Personen Reaktionen auf Julianes Tod. Hannelore Kraft hatte ich erwähnt. Sie hat uns starke Anteilnahme und Rückhalt vermittelt. Einige andere haben uns kondoliert, wie unsere Bürgermeisterin, der Rektor der Hochschule, später der Landrat. Nichts kam allerdings von den Ministerpräsidenten Stanislaw Tillich und Reiner Haseloff. Wir haben es zunächst auch nicht erwartet, aber Tillich soll sich - das haben uns Freunde erzählt - im Fernsehen hingestellt haben und uns als Familie Unterstützung zugesagt haben. Haseloff soll auf Twitter kondoliert haben. Aber bei uns ist davon nichts angekommen. Das hat uns entsetzt. Das war reine Show. Das hat uns traurig und nachdenklich gestimmt.

Gab es denn wenigstens Reaktionen auf ihren Vorstoß, nach dem Tod ihrer Tochter ein Stipendium für junge Künstler einzurichten?

Noack: Der Brief ist an viele Stellen in Sachsen-Anhalt und Sachsen gegangen. Als Herr Haseloff den Brief bekommen hat, hat er immerhin reagiert und gesagt, er reicht das an die Kunststiftung weiter. Mal sehen, was daraus wird. Kultusminister Stephan Dorgerloh hat die Annahme des Schreibens sogar verweigert. Andere Stellen, etwa in Sachsen, haben gar nicht reagiert. Auch die Oberbürgermeister von Leipzig und Halle haben uns nicht geschrieben, weder zum Tod Julianes, noch als Reaktion auf unsere Initiative. Die Lufthansa wiederum findet die Idee sehr gut, sie brauchen aber Zeit. Was wir verstehen.

Wie geht es bei Ihnen weiter?

Noack: Wir denken Schritt für Schritt. Etwas anderes geht gerade nicht. Wann wir unsere Tochter beerdigen können, steht nicht fest. Erst in diesen Tagen soll es die offizielle Bestätigung geben, dass sie tot ist. Wahrscheinlich hat man sie per DNA-Abgleich identifiziert. Im Juni sollen wir dann eine Sterbeurkunde bekommen. Erst dann können wir uns um die ganzen profanen Sachen wie Konto, Krankenversicherung und dergleichen kümmern, sie abschließen. Mit dem Tod des eigenen Kindes aber können Sie nicht abschließen. (mz)

Frank Noack spricht über das Leben nach der Katastrophe.
Frank Noack spricht über das Leben nach der Katastrophe.
Lutz Winkler Lizenz