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Gastronomie Gastronomie: Lange Durststrecke in Warmsdorf

Von Ralf Böhme 11.01.2012, 20:17

WarmSdorf/MZ. - Sie steht gerne am Herd und kocht, wenn nötig, für das halbe Dorf. "Schön wäre es mal wieder", sagt die Rentnerin, die am liebsten gleich in ihren Hausschuhen in das Gastzimmer kommt.

130 Jahre Familientradition

Ihre Realität sieht freilich anders aus: Der Landgasthof erlebt, wie viele in Sachsen-Anhalt, schwierige Zeiten. So gibt es längst nicht mehr so viele Stammgäste. Und im Saal gehen schon seit Jahren immer weniger Vereins- und Familienfeiern über die Bühne. Die Leidenschaft der rüstigen Köchin ist indes ungebrochen: Kartoffeln schälen, Gemüse putzen, Rouladen wickeln: 130 Jahre Familientradition verpflichten - auch und gerade wenn die Konjunktur lahmt. Zwei Töchter stehen der Hausherrin zur Seite. Heike kocht mit, Silke serviert. In einer Sache ist sich das Trio einig: Man muss sich immer wieder etwas einfallen lassen. Und wenn es ein bayerischer Abend ist.

Für Stephan Möslein, Sprecher der Industrie- und Handelskammer (IHK) Halle-Dessau ist das der springende Punkt. "Ohne neue Ideen ist das Überleben in der Gastronomie nicht möglich." Ein Dorf, ein Gasthaus, das stimme längst nicht mehr. Die Zahlen der IHK sprechen für sich: 1 373 Anmeldungen stehen im Gastgewerbe 1 490 Abmeldungen gegenüber. Damit ist Sachsen-Anhalt 2010 um 117 gastliche Stätten ärmer geworden. Das trifft auch zahlreiche Landgasthöfe, vor allem abseits der Touristenpfade.

Besonders betroffen sind neben dem Salzland auch die Kreise Mansfeld-Südharz und Anhalt-Bitterfeld. Ein Grund sei laut IHK die dort immer noch geringe Kaufkraft, die deutlich unter dem Landes- und erst recht unter dem Bundesdurchschnitt liegt. Ganz hinten rangiert Bernburg, wo statistisch gesehen jeder Einwohner maximal 15 460 Euro im Jahr ausgeben kann. Das sind 4 000 Euro weniger als im Bundesdurchschnitt. Aber selbst in stadtnahen Regionen wie im Saalekreis rund um Halle und Merseburg fällt es den Gastronomen zunehmend schwerer, sich zu behaupten.

Gut beraten ist, wer wie Peter Czok in Kleinkugel neben der Gaststätte noch eine Pension betreibt. Jammern ist seine Sache nicht. Aber die goldenen Zeiten sind vorbei. Läuft die Zeit gegen die Dorfgasthöfe? Tatsache ist: 1925 gab es allein im halleschen Umland 102 Schänken, 1965 waren es 71, nach der Wende 1991 noch 49, heute sind es weniger als drei Dutzend. In immer mehr Dörfern des Umlandes bleibt der Zapfhahn trocken, ist der alte Gasthof wie in Brachwitz oder in Neutz-Lettewitz seit langem geschlossen. "Mitunter vergehen Jahre, dann erst kommen Haus und Land unter den Hammer", sagt IHK-Sprecher Möslein. Gerade sei das in Nienburg und Bad Suderode der Fall. Doch nur selten finde sich, so die Erfahrung, überhaupt ein zahlungsfähiger Interessent.

Bei Kalnassys in Warmsdorf, nur einen Katzensprung vom Wipper-Radwanderweg entfernt, setzt man vorsorglich auf ein zweites Standbein. Die Familie betreibt nebenbei einen Tante-Emma-Laden. Ein Allheilmittel ist das aber auch nicht. Silke von Kalnassy drückt es drastisch aus: "Wenn ein Kunde stirbt, merkt man das sofort am sinkenden Umsatz."

Um den Gasthof erhalten zu können, werden immer wieder neue Angebote gemacht: Ob die alpenländische Folklore noch lockt, ist ungewiss. Als eine sichere Bank erweisen sich hingegen die Skat-Turniere. So sind wenigstens jeden ersten Samstag im Monat die zehn Tische besetzt. Demnächst will der Gasthof die Dorfjugend einladen: Eine Fußballmannschaft soll ins Leben gerufen werden.

Elsa von Kalnassy würde das Geschäft gerne bald an ihre Töchter übergeben. Noch aber schrecken sie der bürokratische Aufwand und die hohen Kosten. Gebühren sind fällig schon bei der Gewerbeanmeldung, dann beim Antrag auf Gestattung des Gaststättenbetriebes, schließlich bei Bescheinigungen vom polizeilichen Führungszeugnis über die Auskunft des Gewerbezentralregisters und den Nachweis einer lebensmittelrechtlichen Unterweisung bis hin zur Unbedenklichkeitserklärung des Finanzamtes und Bescheinigungen des Gesundheitsamtes. "Wer soll das bezahlen?"

Hilfe will der Deutsche Hotel- und Gaststättenverband (Dehoga) leisten. "Daran darf eine Geschäftsübergabe einfach nicht mehr scheitern", sagt Wolfgang Schildhauer, Dehoga-Hauptgeschäftsführer in Sachsen-Anhalt. 3 000 bis 10 000 Euro müssten für Gebühren und Formalitäten aufgebracht werden. Das sei entschieden zu viel. "Daher verhandeln wir mit dem Land über Erleichterungen und hoffen auf einen greifbaren Erfolg noch in diesem Jahr." Ansonsten könnte sich der Abwärtstrend bei den Landgasthöfen noch beschleunigen.

"Ohne Ausbildung wird es schwer"

Wer als Wirt seine Chance nutzen wolle, müsse sich in jedem Fall auf viel Arbeit und lange Durststrecken einstellen. Branchen-Erfahrungen seien zwar nicht vorgeschrieben. "Ohne eine Ausbildung in der Gastronomie", so Schildhauer, "wird es aber ganz schwer". Man müsse Besseres bieten als der Ausschank im Vereinsheim oder im Feuerwehr-Gerätehaus.

Diesem Anspruch stellt sich auch Peter Staate - ein Seiteneinsteiger aus der Braunkohle. Seit 1990 führt der heute 57-Jährige den Landgasthof "Drei Linden" in Reuden, verkehrsgünstig an der B 2 im Burgenlandkreis gelegen. Sechs, sieben Jahre will er noch durchhalten - bis zur Rente, keinen Tag länger. "Es wird immer schwerer, auch wegen der Landflucht und der gestiegenen Energiekosten." Manchmal kommen nur drei oder vier Gäste. Mittwochs ist ohnehin Ruhetag. Gegen Wochenende nimmt der Betrieb meistens zu - eine abwechslungsreiche Speisekarte lockt. Staate: "Die Geschmäcker sind halt sehr verschieden. Darauf habe ich mich eingestellt." Ein Balance-Akt bleibe es, Monat für Monat.