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Gasexplosion Gasexplosion: Urteil sprengt die Traumwelt

Von Steffen Könau 06.12.2005, 20:11

Halle/MZ. - Er zieht die Jacke gar nicht erst aus. Norbert W. schaut aus blauen Augen gelassen in die Kameras, beide Arme breit aufgestützt auf die Stuhllehne. Der Mann, der sich seit November 2004 vor dem Landgericht in Halle verantworten muss, weil die Staatsanwaltschaft ihm vorwirft, ein ihm gehörendes Haus in der halleschen Stephanusstraße absichtlich in die Luft gesprengt zu haben, ahnt, wie sein Urteil aussehen wird. Kein Grund mehr, wie zu Prozessbeginn das Gesicht zu verstecken.

Höher als Staatsanwalt

Minuten später gibt Richter Klaus Braun ihm Recht. 15 Jahre Haft wegen versuchten Mordes, Herbeiführung einer Sprengstoffexplosion und Betruges. Damit geht die Strafkammer weit über die Forderung des Staatsanwalts hinaus - doch Norbert W., ein gesetzt wirkender Mann in schwarzem Hemd und grauem Binder, verzieht keine Miene. Ruhig schaut er zum Richtertisch. Ein Prozessbesucher knurrt empört "noch viel zu wenig".

Zu unvorstellbar ist die Tat, hinter der nach Ansicht des Gerichtes nur der arbeitslose Versicherungsmakler Norbert W. stecken kann. Erste Indizien wiesen schon wenige Tage nach den tragischen Stunden auf den 41-Jährigen, der seinerzeit nach einer Reihe von missglückten Geschäften bis zum Hals in Vollstreckungsanträgen steckte. W., einst als Chef eines Finanzvertriebes nach Halle gekommen, lebte nach Ansicht von Klaus Braun auch nach dem Verlust seines Jobs in einer Traumwelt. Er habe "eine rosarote Schleife vor den Augen", gehabt, sagt Braun, die habe ihn gehindert, die Realität zu sehen.

Fast zwangsläufig musste Norbert W. dort landen, wo er heute sitzt. Immer wieder hat er versucht, das ganz große Rad zu drehen. Und immer wieder ist er damit auf die Nase gefallen. So wollte er eine millionenschwere Kühlanlage nach Russland verkaufen, allein es mangelte an Geld, den Kaufpreis zu zahlen. W., damals längst abgerutscht in ein Milieu aus Kleindealern und windigen Finanzjongleuren, schließt eine Versicherung ab. Und lässt die Anlage gleich am nächsten Tag stehlen.

Allerdings hat der Mann, der sich so smart dünkt, übersehen, dass die Versicherung bei Diebstahl nicht zahlen muss. Der Befreiungsschlag verschärft nun alle seine Probleme. Kredite für die beiden Häuser, die er in besseren Tagen erworben hat, müssen bedient werden - und ein versicherungstechnisch lukrativer Brand in einem der Gebäude, dessen Hintergründe bis heute nicht aufgeklärt werden konnten, hilft nur kurze Zeit.

Ziel "heiße Sanierung"

Wenig später schon, nach Überzeugung des Gerichts bereits im Frühjahr 2002, muss W. zum ersten Mal an eine "heiße Sanierung" seiner Finanzen gedacht haben. Bei einem Kumpel erkundigt er sich nach dem für eine Explosion idealen Mischungsverhältnis von Gas und Luft. Einen anderen fragt er, ob der wisse, wie man ein Haus "entsorgen" könne. Im August 2002 schließlich schließt W., der zu dieser Zeit schon die Bezahlung der meisten Rechnungen schuldig bleibt, eine neue Versicherung für die Stephanusstraße 3 ab.

Norbert W. hat kein Geständnis abgelegt. Doch die Indizienkette, gestrickt aus Aussagen von 152 Zeugen und sechs Gutachtern, scheint ein Jahr und 19 Tage nach Prozesseröffnung schlüssig. "Nur er hatte Zugang zum Gaszähler, nur er hatte ein Motiv", beschreibt Klaus Braun. Und direkt zum Angeklagten gewandt: "Sie haben Glück gehabt, dass niemand gestorben ist." Sonst wäre eine Verurteilung wegen Mordes möglich gewesen - "mit anschließender Sicherungsverwahrung". Norbert W. hat den Kopf mittlerweile in eine Hand gestützt, die andere macht eifrig Notizen. Man werde die Urteilsbegründung nun gründlich prüfen, sagt sein Verteidiger Augenblicke später. "Aber ich denke, dass wir in Revision gehen werden."