Flughafen Leipzig / Halle Flughafen Leipzig / Halle: Am DHL-Frachtkreuz wird die Nacht zum Tag
Schkeuditz/MZ. - In dicken Kutten sitzen die Frauen und Männer dicht gedrängt beieinander. Auf dem Tisch in der kleinen Schutzwarte liegen Karten. Es wird gespielt. Skat? Poker? "Nein, Mau-Mau", sagt Marcel Wutschel lachend. Es ist kurz nach 23 Uhr. Der 29-Jährige hat einen Becher mit heißem Tee in der Hand. Gleich beginnt der Arbeitstag - oder besser die Arbeitsnacht. Dann kommt der Anruf. Eine DHL-Boeing 757 aus dem schwedischen Göteborg ist gelandet und rollt in ihre Parkposition auf dem Vorfeld. Teamleiter Wutschel tritt vor die Tür. Ein eisiger Wind weht ihm entgegen. "Arbeit ist die wärmste Jacke", sagt er noch und ist weg.
20 Minuten Zeit
Sobald die Triebwerke schweigen, umkreisen Schlepper das Flugzeug. Ein sogenannter Highloader rückt zum Entladen der Container an. 15 Stück mit je zwei bis drei Tonnen Fracht müssen Wutschel und sein siebenköpfiges Team diesmal entladen. Auf einer großen Anzeigetafel am Rande des Vorfeldes mahnt eine Uhr. Der Countdown läuft rückwärts. 20 Minuten haben sie Zeit. "Kein Problem", sagt Wutschel. "Wir sind eingespielt." Die Uhr allerdings ist neu, ein Test.
Das DHL-Drehkreuz am Flughafen Leipzig / Halle ist eines der größten Umschlagzentren für Luftfracht auf der Welt. Schon zu normalen Zeiten ist dort viel los, in den Wochen vor Weihnachten nimmt der Betrieb noch einmal zu. In der Zeit zwischen 23 und 5 Uhr landen und starten hier knapp 60 Großraumflugzeuge aus Europa und Übersee. "Jede Nacht werden 260 000 bis 270 000 Pakete sortiert", sagt Robert Viegers, Chef der DHL Leipzig Hub GmbH. "Im Vorweihnachtsgeschäft sind es bis zu 300 000."
Per Express-Sendung schicken zumeist Unternehmen Geschäftspost aber auch neue Computer, Smartphones oder Arzneimittel in die ganze Welt. Das Frachtaufkommen in Leipzig / Halle ist in den vergangenen Monaten deutlich gestiegen: von 1 500 auf 1 600 Tonnen pro Nacht. Zum Vergleich: Das entspricht dem Gewicht von 1 600 Kleinwagen. Das bringt auch jede Menge neue Jobs. In diesem Jahr stellte DHL an dem erst 2008 eröffneten Drehkreuz den 3 500. Mitarbeiter ein. Zum Weihnachtsgeschäft sind nochmal 250 befristete Jobs hinzu gekommen. "Rund 100 Mitarbeiter übernehmen wir davon langfristig", verspricht Viegers.
Die auf Flughäfen üblichen Dollies transportieren die Container nach dem Entladen zum 400 Meter langen und 100 Meter breiten Umschlagzentrum. Hier warten bereits Christiane Dorn und ihre Kollegen auf die Päckchen. Sie laden diese auf das Förderband der Sortiermaschine. Bis zu 31,5 Kilogramm wiegt ein Paket. Zu schwer für die eher zierliche Frau? Diese schüttelt den Kopf. "Ich habe zuvor als Hotelzimmer-Mädchen gearbeitet", sagt sie. "Dies war schwerer." Bei DHL steht sie von 23 bis 3.30 Uhr am Band - insgesamt 22 Stunden die Woche. Sie würde gerne länger arbeiten, mehr Geld verdienen. Doch als neue Mitarbeiterin ist dies nicht so einfach. Ein DHL-Sprecher sagt: "Nach einer Einarbeitung sind viele schnell mehr als 30 Stunden tätig". Der Einstiegslohn liege bei neun Euro pro Stunde und werde nach einem halben Jahr bereits erhöht.
"Die Arbeit im DHL Hub wird von den Mitarbeitern ganz unterschiedlich bewertet", sagt Annett Flachshaar, Gewerkschaftssekretärin bei Verdi. Einige, die lange arbeitslos waren, seien froh, wieder gebraucht zu werden. Viele würden gerne länger arbeiten. "Die Arbeitsorganisation, die den Umschlag in wenigen Stunden in der Nacht vorsieht, lässt Vollzeitstellen aber nur begrenzt zu", sagt Flachshaar. Gut findet sie das nicht. Denn die Folge ist: Viele DHL-Mitarbeiter seien trotz Arbeit auf staatliche Unterstützung angewiesen. Doch ändern kann sie das auch nicht. Flachshaar konzentriert sich darauf, Verbesserungen im System zu erreichen. Mitte 2013 stehen Tarifgespräche über die Löhne an.
"Zeit ist Geld", der Satz vom amerikanischen Geschäftsmann und Wissenschaftler Benjamin Franklin trifft auf das DHL-Drehkreuz im besonderen Maße zu. Sind die Pakete erst einmal auf der 70 Millionen Euro teuren Sortieranlage - das Herzstück der Logistik - läuft vieles wie von Geisterhand. Mit 2,5 Metern pro Sekunde flitzen die Sendungen über das Band. Scanner leuchten rot auf und navigieren die Päckchen und Postsäcke über Barcodes auf der Anlage. In Sekunden werden die Daten verarbeitet. Die Reise eines Päckchens endet auf dem sechs Kilometer langen Band bereits nach sieben Minuten. Über große gelbe Rutschen gelangen sie wieder in Container.
Hub-Chef Viegers verfolgt das "Null-Fehler-Prinzip." Das heißt, jedes Päckchen soll in den richtigen Flieger. Zeit, um Fehler in der Sortierung zu beheben, bleibt wenig. Jedes Stück soll nur 90 Minuten am Boden sein. Von DHL-Mitarbeitern heißt es, Viegers wolle das Hub zum effizientesten Frachtdrehkreuz der Welt machen.
Fünf bis acht Maschinen pro Schicht
Sind die Päckchen sortiert, werden sie wieder in die Flugcontainer verladen. Marcel Wutschel und die Kollegen auf dem Vorfeld warten bereits. "Fünf bis acht Maschinen fertigt unser Team pro Schicht ab." Er schaut auf seinen Flugplan. Die Boeing 757 aus Göteborg wird um 4.15 Uhr nach Warschau starten. "Nach jeder Nacht weiß man, was man getan hat", sagt der Teamleiter, der seit fünf Jahren dabei ist. "Ein manchmal harter, aber ordentlicher Job".