Neue Angebote in Fußgängerzonen Flüchtlinge als Barbiere: Die neuen Barbiere in Halle und Leipzig

Halle (Saale)/Leipzig - Gemütlich sitzen zwei junge Araber vor der Tür. Der eine trinkt Tee, der andere zaubert orientalische Klänge aus seinem Mobiltelefon. Doch als sich ein Kunde nähert, ist es mit der Entspannung schlagartig vorbei. Ihm gilt nun die ganze Aufmerksamkeit.
Ein Geschäft zu eröffnen verlangt immer Mut, auch hier im Norden von Halle. Und erst recht, wenn man aus einem anderen Land stammt und erst ein Jahr in der Stadt ist.
Dafür läuft das Stück, das hier zelebriert wird, aber ganz gut: Die neuen Barbiere von Heide-Nord. Jeder Besucher wird wie ein König in den Laden geleitet, mit vielen Worten und großer Geste auf dem Sessel platziert.
Die neuen Barbiere: Kommunikation ist alles
Wer dort einmal sitzt, merkt: Ab sofort dreht sich alles nur noch um Haare. Messer, Schere, Maschine und Kamm - kein Handgriff geschieht ohne Erklärung und Absprache. Kommunikation ist alles.
Auch beim Preis, acht Euro und die Kontur stimmt wieder. Trinkgeld lehnen die Barbiere dankend ab. Shewan und sein erster und einziger Mitarbeiter, nach eigener Aussage ein Meister aus Syrien, kennen es nicht anders.
Warum aber sucht der junge Mann aus Damaskus nun ausgerechnet in Halle sein Glück? Hauptsache Deutschland, sagt der Mitzwanziger. Das sei, was für ihn wirklich zähle.
Sicherheit und irgendwann vielleicht ein wenig Wohlstand
Damit gleicht sein Aufbruch aus der Heimat in eine für ihn neue Welt dem vieler Flüchtlinge. Bürgerkrieg und Unterdrückung will er hinter sich lassen, Sicherheit und irgendwann vielleicht ein wenig Wohlstand erreichen.
Die erste und größte Hürde dabei ist die Sprachbarriere. Ein Deutsch-Kurs vom Amt hilft inzwischen weiter, öffnet eventuell später den Weg zu deutschen Facharbeiter- und Meisterzeugnissen.
Schaffe eine Existenz, mache keine Schande!
Was den Syrer von anderen Neuankömmlingen wahrscheinlich unterscheidet, ist seine stark familiär geprägte Berufswahl. Sein Vater betreibt in der syrischen Hauptstadt ein kleines Imperium: acht Friseur-Läden.
Selbst auf eine Entfernung von gut 3 800 Kilometern nimmt der 65-jährige Patriarch den Sohn weiter in die Pflicht. Shewan, der das Handwerk von Kindheitsbeinen kennt, weiß um die Erwartung der Familie: Schaffe eine Existenz, mache keine Schande!
Das ist ein wichtiger Antrieb, weshalb der junge Barbier nicht einfach auf Hilfe wartet. „Ich will nicht zusehen. Ich will das tun, was ich gelernt habe.“
Also macht er sich schon bald nach seiner Ankunft auf eine Tour, die ihn durch viele Amtsstuben führt - am Ende: die Gewerbeerlaubnis.
An Konkurrenz herrscht in Halle kein Mangel
Den passenden Geschäftsraum findet er am Stadtrand, in einer kleinen Passage mit Geschäften. Auch das ist Teil der Kalkulation: Geringere Mieten als in der City, weniger Konkurrenz.
An Konkurrenz herrscht in Halle derweil kein Mangel. Haarkultur, auch das gehört zur Kulturhauptstadt des Landes. 100 Friseurgeschäfte halten ihre Türen offen. Barbiere sind dabei der neueste Trend. Ihre Neueröffnungen fallen vor allem deshalb auf, weil gleichzeitig andere, teils alteingesessene Geschäfte schließen.
Barbiere: Die neuen Friseure?
Unter anderem geben deren Inhaber auf, weil die Umsätze zurückgehen, sie die Ladenmieten nicht mehr stemmen können.
Diese Entwicklung wirft bei Passanten natürlich die Frage auf, wieso das gerade den Barbieren besser gelingen soll. Die Akteure - jeder dritte Geschäftsführer hat die deutsche Staatsangehörigkeit - selbst halten sich mit Antworten zurück.
Spekulationen dagegen kursieren viele. Vermutungen reichen von Selbstausbeutung bis zu Geldwäsche.
Beim Barbier werden auch Augenbrauen gezupft und Nasenhaare entfernt
Fest steht, die Offerte der Meister des Messers ist anders als das Angebot vieler angestammter Friseure. Männliche Kunden erhalten nicht nur eine Rasur. Es werden auch Augenbrauen gezupft, Nasen- und Ohrenhaare entfernt. Das ist gängige Praxis, dafür braucht man keinen Meisterbrief.
Anders sieht das bei Locken drehen, Dauerwellen und Färben aus. Das darf ein Barbier nicht. Damenhaarschnitte darf nur ein ausgebildeter Friseurmeister anbieten. Ohne Zertifikat droht Ärger.
Die Handwerkskammer achtet penibel auf die Einhaltung der Auflagen. Die verbriefte Meisterpflicht gilt ihr als unverzichtbares Qualitätssiegel.
Saftige Bußgelder
Aber sie reagiert auch auf den Wandel. In diesem Jahr bietet die Kammer erstmals einen Kurs für Barbiere an, die später einen Meisterkurs besuchen und in Deutschland als regulärer Friseur anerkannt werden möchten. Sachsen-Anhalt gehört mit dieser Initiative bundesweit zu den Vorreitern.
Kammersprecher Jens Schumann, auch zuständig für Handwerkspolitik, sieht die aktuelle Situation dennoch durchaus kritisch. Wer ein Handwerk ausübe, benötige eine Eintragung in die Handwerksrolle. „Kurz gesagt: Sonst ist er ein Schwarzarbeiter.“ Demnach müsse sich ein Barbier ohne Meisterbrief auf Rasur und Haarentfernung beschränken.
Barbiere in Halle werden kontrolliert
Tobias Teschner, Leiter des Fachbereichs Sicherheit in der Stadtverwaltung Halle, macht kein Geheimnis daraus, dass das gute Dutzend der in Halle registrierten Barbiere kontrolliert werde.
Doch nur in wenigen Einzelfällen habe man bisher eine Tätigkeit „im Grenzbereich“ zum Friseurhandwerk feststellen können. Nicht zulässige Arbeiten würden untersagt, Bußgeld verhängt - bis zu 10 000 Euro.
Werden Friseure in Sachsen-Anhalt von Barbieren verdrängt?
Für eine klare Ansage steht auch der CDU-Landtagsabgeordnete Daniel Sturm aus Naumburg, von Haus aus selbst Friseur. Ihn treibt die Sorge: Werden Friseurgeschäfte in Sachsen-Anhalt von Barbieren verdrängt?
Die Antwort der Landesregierung auf eine parlamentarische Anfrage bestätigt das nicht. Etwa 35 Läden hätten seit 2012 geöffnet. Gleichzeitig böten fast 2 000 klassische Friseurgeschäfte ihre Leistungen an. Verstöße gebe es nur wenige.
Sturm bleibt skeptisch. So zweifelt er, ob alle Barbiere den Mindestlohn zahlen.
Soran Akram ist Halles bekanntester Barbier
Dass es durchaus schwarze Schafe gibt, will selbst Halles bekanntester Barbier nicht ausschließen. Seit 2008 am Markt, führt Soran Akram mittlerweile drei Salons, teils in bester Lage - und ist nicht ohne Grund für verschärfte Kontrollen.
Wer wie er aber Friseurmeister beschäftige und auch selbst diesen Titel anstrebe, könne sich auf der sicheren Seite fühlen, sagt er. Keine Frage, dass auch bei „Soran“ die Qualität ihren Preis hat. Trotzdem ist es bei ihm meistens voll. Die Kunden haben das letzte Wort.
Aysel und Ugur Tarlak: Die neuen Stars aus Leipzig
Wenn aber in punkto Haare und Geschäft alles stimmt, gibt es nicht nur preislich nach oben kaum eine Grenze. Ein Beleg dafür ist die Erfolgsgeschichte von Aysel und Ugur Tarlak, neue Stars in Leipzig.
Das frisierende Ehepaar mit türkischen Wurzeln genießt in der Branche beinahe Kultstatus. Seine Haar-Kreationen erlangen deutschlandweite Aufmerksamkeit. 2017 könnte es sogar mit dem German Hairdressing Award klappen, einer Art internationaler Meistertitel.
Davon können Halles neue Barbiere erst einmal nur träumen. (mz)