Empfang Empfang: Majestät, Majestät!
Oranienbaum/MZ. - Gespannt sehen die Zuschauer, wie die Monarchin aussteigt - souverän in jeder Bewegung. Das ist mehr als filmreif, erfüllt alle Erwartungen. Beifall brandet auf.
Majestät, Majestät! Dieser Ruf aus der Menge ändert plötzlich das sorgsam ausgetüftelte Protokoll. Eigentlich soll es Richtung Ehrenhof gehen. Beatrix will es anders. Personenschützer sind irritiert, doch sie nimmt sich die Zeit. Die 74-Jährige geht zuerst an die Absperrung. Rund 2 000 Menschen erwarten sie. Bundespräsident Joachim Gauck eilt an ihre Seite. Dann passiert etwas, das Heike Pijck nie wieder vergisst. "Erst in der letzten Nacht habe ich davon geträumt, jetzt ist es wahr." Die Frau aus Aschersleben im Salzlandkreis drückt der Königin nicht nur die Hand. Beatrix hört zu, was sie sagt und dankt mit einem Lächeln für den Strauß orangefarbener Tulpen. "Es ist einfach herrlich", lacht und weint Pijck zugleich.
Ein verlorener Schnappschuss
Was des einen Glück, ist des anderen Leid. Als der Tross sich zum Schloss entfernt, sieht Renate Püschel auf dem Display ihre soeben gemachten Fotos - immer und immer wieder. "Nichts, nichts, ich bin so unglücklich", sagt die Dessauerin danach. "Das Einzige, was ich von Beatrix sehe, ist ihr Hut mit der breiten Krempe." Eine bittere Erfahrung, auf die die Rentnerin gerne verzichtet hätte. Schließlich sei sie schon drei Stunden vor der königlichen Visite da gewesen - als erster Zaungast und dann das: Eine kurzfristige Umgruppierung des Publikums bringt sie um den Platz für das schönste Foto. Und noch eine Erklärung findet sie für den verlorenen Schnappschuss: "Die Königin ist kleiner als im Wachsfigurenkabinett."
Auch wenn es nur Momente sind, die Beatrix bei ihren Oranienbaumern verweilt, räumt das Erlebnis mit märchenhaften Vorstellungen auf. Erzieherin Silvia Gellert beispielsweise ist mit Mädchen und Jungen aus dem Kindergarten "Sonnenblume" im benachbarten Kakau hierher gewandert. Immerhin drei Kilometer hin, drei Kilometer zurück. "Krone, Goldkleid und Kutsche, so stellten sich die Kleinen eine Königin vor." Nun wissen sie, wie es wirklich ist. Zwölf schwere Limousinen, eine davon mit Fahnen auf der Kühlerhaube, so reist ein Staatsoberhaupt heutzutage durch die Lande. Kamerateams und Fotografen erfassen jeden ihrer Schritte, nehmen aber auch Episoden am Wegesrand mit auf. Mit ihren Orange-Luftballons geben die Kakauer ein tolles Motiv ab. "Das bleibt eine einmalige Kindheitserinnerung", glaubt Gellert.
André Augustin und Ingo Preuß aus Halle fühlen sich angesichts des niederländischen Flairs, das Oranienbaum atmet, erinnert an schöne Urlaubstage in Amsterdam. Die beiden jungen Hallenser, die extra einen Tag für den königlichen Ausflug frei nehmen, beneiden die Holländer ein wenig. "Um "die gewisse Leichtigkeit des Seins", erklärt André, als die Königin ihm gerade aus drei Metern Entfernung zuwinkt. Ingo sieht das - und bleibt erst einmal sprachlos. Wenig später stellt er ziemlich ergriffen fest: "Beatrix, die ist wirklich toll."
So jemanden, eine Königin oder einen Kaiser, könnten die Deutschen auch ganz gut gebrauchen, für den Zusammenhalt. So sieht es zumindest das Oranienbaumer Urgestein, der Heilerziehungspfleger und Stadtchronist Uwe Wölbing. Dem 100-Kilogramm-Mann ist es leicht gefallen, seinen Platz in der ersten Reihe zu behaupten. "Ihr Parfümduft ist bis zu mir geweht, sehr, sehr schön", sagt der Mitautor eines Büchleins über die Geschichte Oranienbaums. "Lebe jetzt!", das sei sein Lebensmotto. Und deshalb gehe es ihm darum, den hohen Besuch von der ersten bis zur letzten Minute mit zu erleben.
"Da Hochspannung, dort Hochstimmung" - zwei Seiten einer schönen Medaille, so empfindet Schulleiterin Monika Paul die Visite. Alle 135 Schüler bringt sie mit, um Beatrix zu empfangen. Birkenzweige und die niederländische Trikolore, Kostümen samt Holzschuhen, Kronen aus vergoldeter Pappe - das gefällt nicht nur der Königin. Die Schüler erhalten Applaus auf offener Szene. "Nach 2004 ist das schon das zweite Mal, eine prima Sache." Hoffentlich, sagt die Lehrerin, bleibe die Königin gesund. Dann könne man sich vielleicht auf einen weiteren Besuch freuen. Bis dahin werde die Schule einen Namen haben - Henriette Catharina, nach der ersten Schlossherrin.
Wetter wie im Bilderbuch
Mit dem Wetter jedenfalls kann Beatrix zufrieden sein. Anders als vor acht Jahren bei ihrem ersten Besuch regnet es nicht. Die Sonne scheint. Und das ist die Bedingung dafür, dass sich auch eine ihrer treuesten Fans einfinden kann: Monika Bock aus Sandersdorf bei Bitterfeld steht ganz vorn. Die Leute haben ihr Platz gemacht. Eine schwere Krankheit zwingt die Frau in den Rollstuhl - und macht sie zudem stark wetterfühlig. "Heute aber ist alles in Ordnung", bestätigt ihr Mann Frieder, der seine Frau betreut. "Die Königin ist für uns beide ein Erlebnis, das Kraft gibt."
Wie im Flug vergehen für die Menschen draußen die knapp zwei Stunden, in denen die Königin das Schloss und die Sommerschau "Dutch Design" besichtigt. Dann erscheint zunächst der Bundespräsident mit Lebensgefährtin, steigt ins Auto, winkt und braust von einer Eskorte begleitet davon. Ihm folgt Sachsen-Anhalts erster Mann, Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU), an seiner Seite Gattin Gabriele. "Frühaufsteher", ruft ihm Sirko Sobiechowski, ein Udo-Lindenberg-Double aus Kemberg, zu. Der Ministerpräsident reagiert: "Schön, dass ihr alle da seid." Die Königin freilich drängt nichts und niemand. 14 Minuten über der Zeit reist sie ab - zum Essen nach Wörlitz.