Eleganz in DDR-Beton Eleganz in DDR-Beton: Platz für Müther in Baugeschichte gesucht
Wismar/dpa - Ein Ufo scheint auf Rügen über dem Strand zu schweben. Weiß strahlt es vor der blauen Ostsee, die Ecken rund, die Fenster wie riesige Glasaugen. Über eine Treppe klettern Brautpaare nach oben, um sich trauen zu lassen. Errichtet hat den futuristischen Bau in Binz der DDR-Bauingenieur Ulrich Müther (1934-2007) als Ausguck für Rettungsschwimmer. Das war Anfang der 80er Jahre.
Nicht vielen der rund 50 Müther-Bauten geht es so gut, bedauert der Architekturprofessor Matthias Ludwig. Er hütet an der Hochschule Wismar das Archiv des eigenwilligen Baumeisters, der bis auf seinen bevorzugten Baustoff Beton so wenig ins Bild des oft tristen DDR-Bauwesens passt.
Müther bestimmte das Weltniveau
Einige Gebäude, wie die Großgaststätte „Ahornblatt“ in Berlin-Mitte, fielen in der jüngeren Vergangenheit trotz Denkmalschutz-Status der Abrissbirne zum Opfer. Andere, wie die 1969 gebaute „Hyparschale“ in Magdeburg, rotten vor sich hin. Ohne eine einzige Stütze überspannt deren Dach eine 48 mal 48 Meter große Hallenfläche.
Das Geheimnis der schwungvollen Leichtigkeit von Müthers Bauten ist die Konstruktionsart: Der Rügener baute gern mit gebogenen, nur wenige Zentimeter dünnen Betonschalen - eine handwerklich aufwendige und damit teure Sache. Sie verlieh vor allem den Dächern Eleganz und ermöglichte es, große Flächen ohne Stützen zu überspannen. Baustellenfotos im Müther-Archiv zeigen riesige Gerüste für den Bau der Negativformen aus Holz. Dann wurden Stahl-Armierungen in ganz bestimmter Anordnung ausgelegt, um die Kräfte aufzunehmen. Erst danach konnte in mehreren Schritten der Beton gegossen werden. Dabei kam Müthers ganzer Stolz zum Einsatz: eine Betonpumpe aus dem Westen auf einem Mercedes-Lkw.
Matthias Ludwig, der aus Westdeutschland stammt, will Ulrich Müther den Platz in der Architekturgeschichte sichern, der ihm seiner Ansicht nach gebührt. „Müther bestimmte das Weltniveau bei Schalenkonstruktionen mit. Er gehört zu den Großen der Nachkriegsmoderne“, sagt der Professor. Bislang hat Müther diesen Platz noch nicht bekommen, das meinen auch andere Experten. Im Westen kennt man ihn wenig, weil er hinter dem „Eisernen Vorhang“ wirkte. In Ostdeutschland, wo die meisten seiner Bauten stehen, werde ihr Wert oft nicht erkannt, sagt Ludwig.
Kisten mit Architektur-Modellen
In diesem Jahr könnte Ulrich Müther seinen 80. Geburtstag feiern, wenn er noch lebte. Ein willkommener Anlass für Matthias Ludwig und seine Mitstreiter beim Archiv, den Baumeister ins Licht zu rücken. Gerade erinnert eine Ausstellung des Archivs in Stuttgart an den Individualisten von Rügen. Auch in Mecklenburg-Vorpommern plant Ludwig eine Schau. Wo und wann, ist noch offen.
Das Archiv will in diesem Jahr zudem die Digitalisierung von Müthers Bauplänen abschließen. Sie sollen ins Internet gestellt werden. Allerdings kommen die Arbeiten mühsam voran: Zwei Promovenden und Ludwig kümmern sich um das Archiv, wann immer sie können. Einen festen Mitarbeiter gibt es nicht. Und so stapeln sich in einem langen Flur unterm Dach der Hochschule Kisten mit Architektur-Modellen, die Müther selbst sorgsam von seinen Bauten angefertigt hat, Kartons mit aufgerollten Zeichnungen und Umzugskisten mit Aktenordnern, die auf ihre Sichtung warten. Manches Geheimnis kann noch gelüftet werden, etwa, wie es Müther in der DDR bis zum Schluss gelang, seine Autonomie zu wahren.
Ulrich Müther lebte und arbeitete auf Rügen. In Mecklenburg-Vorpommern stehen die meisten seiner repräsentativen Betonschalen-Bauten: der „Teepott“ in Warnemünde, die Schwimmhalle des Cliff-Hotels in Sellin, die neue Christus-Kirche in Rostock, die Stadthalle in Neubrandenburg. Müther baute aber auch weltweit, errichtete mit „seiner“ Firma VEB Spezialbetonbau Binz Planetarien in Wolfsburg und Libyen sowie eine Moschee in Jordanien. Selbst Bob-Bahnen baute Ulrich Müther.