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Drohender Irak-Krieg Drohender Irak-Krieg: Mitteldeutscher Aufstand gegen Gang der Dinge

Von Steffen Könau 03.02.2003, 19:36

Bernburg/Leipzig/MZ. - In der Schule ist der Krieg kein Thema. "Allenfalls in Sozialkunde", sagt Michael Gerlach, "rutsch das mal rein." Gerlach, 16 Jahre alt und bemüht, sich mit einem Fischerhütchen vor dem Wind zu schützen, der um das Häuflein der Mahnwachenden auf dem Bernburger Karlsplatz pfeift, zuckt die Achseln: "Aber man muss auch sagen, dass es die meisten Jugendlichen echt nicht interessiert."

Der Irak ist noch weit weg, der drohende Krieg bisher nur ein Fall für Menschen wie Erik Nagel oder Johanna Denner, Der 22-jährige Student mit dem roten Stern auf dem T-Shirt ist nach Bernburg gekommen, um den Friedenskämpfern hier "ein bisschen den Rücken zu stärken". Die 83-jährige Rentnerin dagegen steht auf dem halleschen Markt, "weil unsere ganze Gruppe hier ist, um ein Zeichen zu setzen".

Ein Zeichen, das von Berlin und Washington aus auch vier Wochen nach Beginn der deutschlandweiten Friedensdemos nur schwer zu sehen ist. In Halle sind es ein paar hundert, die Zusammenstehen gegen den Krieg, in Leipzig binden nur wenige wieder weiße Protest-Bänder an Autoantennen wie einst in der DDR. In Naumburg, Weißenfels und Zeitz laufen Friedensgebete, in Dessau schlägt die aus Kampfgruppen-Waffen gegossene Friedensglocke. Doch der Aufstand gegen den Gang der Dinge ist nicht mächtig, sondern ohnmächtig. "Ich will mich nicht abfinden damit, dass man nichts machen kann", sagt Michael Gerlach, der in Bernburg gemeinsam mit den anderen Mitgliedern der PDS-nahen Jugendorganisation "Solid" auf Bongos trommelt, um "das Kaff" wie er es nennt, aufzurütteln.

In Halle fährt ein Lautsprecherwagen durch den Winterabend und fordert die Schnäppchenjäger auf, sich einzureihen. Doch wer hier mitläuft, tut das aus Überzeugung, nicht wegen der Gelegenheit. Auf Plakaten steht "Kein Blut für Öl" und "Nicht in meinem Namen", manche haben Spruchbänder von 1991 ausgegraben, andere halten Kerzen in den Händen. "Letztenendes", sagt Michael Gerlach desillusioniert, "ist man froh, wenn die Leute unsere Flugblätter nicht gleich wegschmeißen."

Zum Frieden ist es ein langer, beschwerlicher Weg, da ist der Gymnasiast sicher. "Wir dürfen nicht aufgeben, irgendwann wachen die anderen hoffentlich auch auf." Der Unterschied zu damals, als im ersten Irak-Krieg Bomben auf Bagdad fielen, könnte nicht größer sein. Wo einst ganze Klassenverbände gegen das amerikanische Bombardementmobil machten, sind es heute kirchliche Friedenskreise, Anti-Imperialismus-Streiter von DKP, Globalisierungskritiker und PDS-Ortsgruppen, die das Thema auf die Straßen tragen.

"Ich fühle mich nicht wohl, hinter einer Kommunistenfahne zu marschieren", sagt Ralf Elbrich, der auf dem Heimweg bei der Mahnwache auf dem halleschen Markt stehengeblieben ist. Aber deshalb weiterzugehen, sei falsch: "Wenn es um Krieg und Frieden geht, müssen alle zusammenhalten." Selbst dann ist es ja noch schwierig genug, "ein Sandkorn in der Kriegsmaschine" zu sein, wie es die Köthener PDS-Stadträtin Marina Hinze bei der Demo auf dem Marktplatz der Kreisstadt fordert.

"Viele Leute lassen sich doch von der Friedensrhetorik der Regierung einlullen", findet Erik Nagel im Bernburger Schneeregen, "die sehen gar nicht den Widerspruch, dass man nicht für den Frieden sein und an der Seite der Amerikaner marschieren kann." Am 15. Februar 2003 findet in allen europäischen Hauptstädten ein Aktionstag gegen den Krieg statt. Die deutsche Demonstration beginnt um 12 Uhr auf dem Berliner Alex.