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Dokumentarfilm Dokumentarfilm: Was zwei Männer aus Bitterfeld in Kenia machen

Von Alexander Schierholz 15.02.2013, 20:10
Peter Junge bei seinem Besuch 2009 in Kenia
Peter Junge bei seinem Besuch 2009 in Kenia DE FACTO MEDIENAGENTUR Lizenz

Bitterfeld/MZ - Es ist nicht viel, was Paul Muigai Thuo sich wünscht: „Ein kleines Haus mit einem Stück Land, auf dem wir etwas anbauen können, ein paar Tiere dazu, damit ich meine Familie ernähren kann, das wäre schön.“ Momentan lebt der Sportler aus Kenia von Preisgeldern, die er sich bei Marathonläufen verdient. Der 30-Jährige sitzt in Bitterfeld bei Peter Junge auf dem Sofa und malt sich seine Zukunft aus.

Für ihn und seinen Freund Isaak Kiplagat Sang ist der Besuch in Sachsen-Anhalt eine Rückkehr. 2007 sind die beiden Läufer aus Kenia zum ersten Mal in Bitterfeld gewesen, beim Goitzsche-Marathon holen sie die ersten beiden Plätze. Es ist der Beginn einer wunderbaren Freundschaft zwischen den jungen Kenianern und Peter Junge, 69, dem Vorsitzenden des Bitterfelder Sportvereins 2000.

Die Geschichte dahinter erzählt nun ein Film. Die Dokumentation „Sportsfreunde“ des Leipziger Regisseurs Knud Vetten hatte gestern in Leipzig Premiere. Heute Abend wird der Film in Bitterfeld gezeigt, am kommenden Dienstag in Halle. Immer dabei: Paul Muigai Thuo und Isaak Kiplagat Sang. Auf die beiden Lauftalente und ihre Verbindung in die ostdeutsche Provinz wird Vetten erstmals vor fünf Jahren aufmerksam. Nach der Präsidentenwahl in Kenia im Dezember 2007 erschüttern blutige Unruhen verfeindeter ethnischer Gruppen das ostafrikanische Land. Paul besitzt seinerzeit eine kleine Farm, marodierende Banden brennen sie nieder. Der damals 25-Jährige steht vor den Trümmern seiner Existenz. Er, seine Mutter, seine fünf Schwestern und zwei Brüder können das nackte Leben retten. Auch Thuos Laufschuhe verbrennen, aber wenigstens sein Pass nicht.

Angesichts der Nachrichten aus Kenia setzt Peter Junge Anfang 2008 alle Hebel in Bewegung, Thuo und Sang nach Bitterfeld zu holen, mit Hilfe des damaligen katholischen Bitterfelder Pfarrers Matthias Weise. Das Duo besorgt die notwendigen Papiere, sammelt Spenden. Anfang Februar fahren die beiden Kenianer an der Goitzsche vor, die Wiedersehensfreude auf beiden Seiten ist groß. Ein Jahr später beschließen Junge und Weise, sich selbst ein Bild von der Lage im Heimatland der beiden Lauftalente zu machen. Anfang 2009 steigen sie ins Flugzeug, kurz entschlossen begleitet von Knud Vetten und seinem Filmteam.

Bungalow gegen Hotel getauscht

Vettens Grundidee: „Ich wollte dokumentieren, was zwei Männer aus Bitterfeld in Kenia machen.“ Es ging ihm um die Verbindung zu den Läufern, um den sportlichen Aspekt. Doch nach einem Besuch in Paul Muigai Thuos Heimatdorf in der Region Eldoret wird ihm schnell klar, dass das so nicht funktionieren wird. An den blutigen Konflikten im Land kommen die Leipziger Filmemacher nicht vorbei. Sie befragen etliche Dorfbewohner zu den Unruhen. „Da haben wir gemerkt, welche Brisanz da drinsteckt“, sagt Vetten. Er trifft auf Leute, die vorgeben, gar nicht dagewesen zu sein, als im Dorf Häuser in Brand gesteckt werden. Auf andere, die das zutiefst bedauern. Und auf solche, die offen zugeben, zu den Tätern gehört zu haben. Und sagen, sie würden es jederzeit wieder tun. Das ist der Moment, in dem es auch Knud Vetten und seinem Team unheimlich wird. Noch am selben Abend tauschen sie ihren Bungalow in der Nähe des Dorfes gegen ein sicheres Hotel.

Peter Junge ist heute noch schockiert von dem, was er in Kenia zu sehen bekam: Paul Muigai Thuos ehemalige Farm, von der nur noch rußgeschwärzte Trümmer übrig sind. Ein Gedenkstein, der an einen Pfarrer erinnert, der in seinem Auto mit Benzin übergossen und angezündet worden war. „Da haut es einem die Beine weg“, sagt Junge. „Das ist so schrecklich, das kann man gar nicht beschreiben.“

Indem er die blutigen ethnischen Konflikte zum Thema macht, erzählt Knud Vettens Film eine Geschichte in der Geschichte. Er und sein Team drehen so viel Material, das es für einen zweiten Film reichen würde. Während sie, zurück in Leipzig, an „Sportsfreunde“ arbeiten, organisiert Peter Junge eine weitere Hilfsaktion für Kenia, noch ganz unter dem Eindruck seiner Reise. „Von Luther zum Papst“ heißt 2010 ein Benefizlauf von Wittenberg nach Rom, bei dem 10 000 Euro an Spenden zusammenkommen. Junge überredet den Bischof von Eldoret, sich um die Verteilung der Gelder zu kümmern, die unter anderem in den Neubau einer Schule fließen.

Solarmodule nach Afrika

Das nächste Hilfsprojekt unter Regie des unermüdlichen Bitterfelder Sportvereinschefs ist derweil schon angelaufen. Unter dem Motto „Strom für Afrika“ sollen kenianische Läufer in Bitterfeld trainieren und sich in der Montage und Wartung von Solaranlagen schulen lassen. Junges Zusammenarbeit mit einem Solar-Fachbetrieb aus dem Bitterfelder Nachbarort Sandersdorf macht es möglich. „Von Preisgeldern oder Spenden könnten die Afrikaner dann Solarmodule kaufen und in ihrer Heimat montieren, zum Beispiel auf Schulhäusern“, sagt Junge.

Vielleicht kann sich auch Paul Muigai Thuo bald das ersehnte kleine Haus leisten - und eine Solaranlage auf dem Dach. Zunächst warten er und sein Freund Isaak Kiplagat Sang gespannt auf den 4. März. Dann wird in Kenia ein neuer Präsident gewählt, wieder einmal. Niemand weiß, was danach passieren wird, ob die Unruhen wieder aufflackern werden. „Im Moment ist es ruhig“, sagt Thuo.

Auch er und Sang gehören verschiedenen Volksgruppen an. Aber, das hat der 30-Jährige schon 2008 in Bitterfeld betont: „Wir sind schon immer wie Brüder gewesen.“ Nun wollen die beiden für Frieden in ihrer Heimat beten. Am 10. März fliegen sie zurück.

Sang (links) und Thuo beim Goitzsche-Marathon 2007
Sang (links) und Thuo beim Goitzsche-Marathon 2007
Archiv/Frank Aleithe Lizenz