Diesel-Panscher verursachen riesigen Schaden Diesel-Panscher verursachen riesigen Schaden: Zentrale einer internationalen Bande mitten in Sachsen-Anhalt

Burg - Sackgasse, am Ende ein abgesperrtes Betriebsgelände. Schwere Tore und hohe Zäune schützen ein massives Fabrikgebäude und eine Vielzahl von Tankanlagen. Explosionsgefahr, steht auf einem Schild. Am Briefkasten sind die Firmennamen abgekratzt.
Trostlos und verlassen, dieses Bild gab gestern Sachsen-Anhalts mutmaßlich größter Umschlagplatz für gepanschten Diesel in Burg (Jerichower Land) ab. Hier lief ein kriminelles Geschäft nach einer simplen Masche ab: Aus Diesel wurde auf dem Papier steuerbefreiter Biodiesel oder auch Schmieröl für die Bauwirtschaft. Sonst fällige Steuern entfielen so - und Extragewinne konnten eingestrichen werden.
Durch solch kriminelles Treiben sollen dem Staat, so belegen es inzwischen Dutzende Kisten mit Beweismaterial bei der Staatsanwaltschaft Magdeburg, enorme Verluste entstanden sein: Seit 2010 mehr als 100 Millionen Euro. Dabei nutzten die Täter den Umstand aus, dass in Deutschland - anders als zum Beispiel in Polen - Dieselhersteller und -händler nur stichprobenartig durch den Zoll kontrolliert werden. Den letzten großen Schub an belastenden Dokumenten und Daten, so bestätigte das federführende Zollfahndungsamt Hannover am Dienstag der MZ, sicherten die Ermittler kürzlich in drei durchsuchten Unternehmen und sechs Wohnungen in Sachsen-Anhalt und in Berlin.
Trotz dieses Fahndungserfolges sind die Aussichten, die hinterzogenen Steuermillionen jemals wieder zu bekommen, offenbar nicht sehr groß. Der Grund: Die Firmen der Dieselpanscher befinden sich teils in Auflösung, teils sind sie nicht zahlungsfähig. Und neben dem Fiskus soll es auch noch eine ganze Anzahl weiterer Gläubiger geben.
Die derzeitige Ruhe auf dem Diesel-Umschlagplatz, einem 5.000 Quadratmeter großen Betriebsgelände in Burg, täuscht. Das auf gut 700 000 Euro geschätzte Gelände soll nach wie vor ein Objekt großer Begehrlichkeiten sein. Dubiose Geschäftsleute, heißt es dazu in Ermittlerkreisen, liegen wegen der Immobilie seit längerem miteinander im Clinch. Denselben Quellen zufolge soll es sich um rivalisierende Clans mit engen Verbindungen nach Polen, ins Baltikum und in die Türkei handeln.
Anfänglich, wird von verschiedenen Seiten behauptet, verfolgten die Hintermänner über Gewährsleute in Berlin ihre Pläne gemeinsam. Der Deal lief unter internationalem Mineralölhandel, so wie es noch ein Schriftzug am Firmengebäude verrät. Christian Wenk vom Zollfahndungsamt Hannover beschreibt die Reichweite: „Die Beschuldigten bedienten sich eines nur schwer durchschaubaren Geflechts von über 100 Firmen.“
Alles in allem sollen die Täter viele Millionen Liter an Mineralölen verkauft haben, ohne ihre Steuerschuld von mehr als 100 Millionen Euro zu bezahlen. Ein Beispiel: Allein am 18. November 2011, so heißt es in einer ersten Anklage, habe eine Firma 104.000 Liter abgesetzt und nach ihrem „Geschäftsmodell“ einen Extra-Gewinn von über 47.000 Euro eingestrichen.
Die Lieferungen, die die Staatsanwaltschaft in einem derzeitig bereits laufenden Prozess am Landgericht Magdeburg auflistet, schwankten zwischen 20.000 und 200.000 Liter pro Tag. Als Richtschnur für die Bewertung dient nun ein Urteil des Bundesgerichtshofes. Danach muss derjenige, der Steuern in Höhe von mehr als einer Million Euro hinterzieht, ins Gefängnis. Eine Bewährungsstrafe komme nur bei besonderen Milderungsgründen infrage. Selbst ein Geständnis helfe nicht.
Längst sollen sich die Akteure von damals entzweit haben. Über Jahre beschäftigen sie Rechtsanwälte und zogen sogar bis vor den Bundesgerichtshof - angeblich alles wegen des Grundstücks in Burg. In Wirklichkeit, so Kenner der Szene, ging es um einen Machtkampf in der Schattenwirtschaft. Allein die Verfahrenskosten, die sich auf mehrere hunderttausend Euro belaufen dürften, illustrieren die Verbissenheit der Auseinandersetzungen.
Wer am Ende die Oberhand behielt oder besser behält, ist bislang unklar. Fest steht nur, dass die internen Streitigkeiten wohl mit dazu beitrugen, dass die Zöllner den kriminellen Netzwerken auf die Spur kamen. Wer aktuell tatsächlich über das Betriebsgelände in Burg verfügt, ist dagegen immer noch nicht ganz sicher. Eigentümer auf dem Papier soll eine polnische Gesellschaft sein, die allerdings für deutsche Behörden momentan wohl nicht erreichbar ist. Der verantwortliche Manager hält sich nach Informationen von entfernten Familienangehörigen zu einer ausgedehnten Safari in Afrika auf - bis auf weiteres. Bis auf weiteres - hinter vorgehaltener Hand bedeutet das: Der Mann ist auf der Flucht. Es heißt, auch polnische Strafverfolgungsbehörden würden sich gern einmal mit ihm unterhalten wollen.
Wie alles anfing und warum es auf dem Firmengelände in Burg bizarre Feste gab, lesen Sie auf Seite 2.
So richtig ins Laufen kam die Dieselpanscherei offensichtlich 2011. Damals hatten die „Investoren“ auch noch Grund zum Feiern. So diente das Betriebsgelände in Burg mehrfach als Schauplatz bizarrer Feste. Ein ehemaliger Angestellter erinnert sich an ein Wochenende, als Clan-Mitglieder mit teuren Sport- und Geländewagen immer wieder um die Fabrikhalle rasten. Die Motorhaube eines Ferrari habe dann als Showbühne für erotische Tanzdarbietungen gedient. Im ansonsten wenig aufregenden Städtchen Burg kursierten danach die wildesten Gerüchte. So hieß es, dass die Künstlerinnen aus dem Magdeburger Rotlicht-Milieu kamen. Geld jedenfalls schien für die Gastgeber und ihre Geschäftsfreunde, so der Augenzeuge, keine Rolle zu spielen.
Eindrücke davon, wie einträglich so ein Mineralölhandel ablaufen kann, vermittelt gerade ein erster Prozess in Magdeburg gegen mutmaßliche polnische Wirtschaftskriminelle. Fünf Beschuldigte, die ihre Beteiligung in Teilen schon zugegeben haben, müssen sich bis Ende April in einem Verfahren vor dem Landgericht verantworten. Die Anklage legt den zwei Frauen und drei Männern, die aber nicht als Drahtzieher gelten, Dieselpanscherei mit einem Gesamtschaden von sieben Millionen Euro zur Last. Es ist das größte derartige Verfahren in Sachsen-Anhalt seit 20 Jahren, bestätigte Staatsanwaltschaft Bernd Blaszyk.
Weiterer Prozess wartet schon
Aber der nächste, vermutlich noch weitaus größere Prozess folgt möglicherweise bald. Die Anklagebehörde rechnet noch in diesem Jahr damit. Wieder geht es laut Staatsanwaltschaft Magdeburg darum, ob und wie man Diesel falsch als Biodiesel umdeklarierte mit dem Ziel der Steuerhinterziehung. Mit diesem einfachen Trick lassen sich, wenn die Kontrolle fehlt, je nach Größe des Lastzuges und nach Marktlage zwischen 20 000 und 30 000 Euro Extragewinn erzielen. Viele Zahlungen liefen zudem nicht über Konten, erfolgten aus dem Geldkoffer in Scheinen. Zwei Männer - 54 und 52 Jahre alt - sitzen nun wegen dringenden Tatverdachts und drohender Fluchtgefahr bereits in Untersuchungshaft. Sie besitzen laut Zoll die polnische beziehungsweise die deutsche und polnische Staatsbürgerschaft.
Unterschiedliche Netzwerke, ein Geschäftsmodell, auf ein und demselben Grundstück - in jedem Fall wurden dazu in Burg extra eigenständige Firmen, Gesellschaften mit beschränkter Haftung, angemeldet. Eines der Unternehmen ist ein Ableger einer polnischen Muttergesellschaft. Über das andere liegen bislang keine näheren Angaben vor. Beide Betriebe verfügten jeweils über zehn bis 15 Angestellte. Dazu gehörten Labors, die die Ware prüften und die erforderlichen, notfalls gefälschten Schmieröl-Zertifikate ausstellten. Nachdem 2011 der Zoll das erste Netzwerk aushob, folgte wenig später das zweite. Und das am gleichen Tatort in Burg - so viel Dreistigkeit brachte selbst die mit allen Wassern gewaschenen Fahnder aus der Fassung.
Mitarbeiter umliegender Firmen, darunter ein Sanitätshaus und eine Metallbaufirma, erinnern sich noch gut an die rege Betriebsamkeit beim benachbarten Mineralölhandel. Hunderte Tanklastzüge brachten den Zollfahndern zufolge ihre Ladung zur Weiterverarbeitung nach Burg. Im Wechsel dazu wurden andere Lastzüge später mit nur leicht veränderten Gemischen gefüllt, rollten zu Treibstoffverkäufern in Polen, nach Litauen, in die Slowakei und nach Südeuropa, sogar bis nach Zypern. Auch einige private Tankstellen in Deutschland, darunter im Ruhrgebiet, könnten zu den Abnehmern des in Burg gepanschten Diesels gehört haben. Vor diesem Hintergrund bekommt der beliebte Autobahn-Schilderspruch „Sachsen-Anhalt wünscht gute Fahrt“ einen etwas seltsamen Klang. (mz)