Datenbank zur DDR-Baugeschichte Datenbank zur DDR-Baugeschichte: Konservierte Architektur

Halle/MZ - Drei Zimmer, Küche, Bad - den Plattenbau-Typen aus der Wohnungsbauserie 70 (WBS 70) kennt jeder ehemalige DDR-Bürger. Sie wurde hunderttausendfach in Halle, Gera, Neubrandenburg oder Leipzig gebaut. Doch wer hat sie entworfen? Das Leibnitz-Institut für Regionalentwicklung und Strukturplanung in Erkner erarbeitet derzeit eine Datenbank zur DDR-Architektur, die zur differenzierten Aufarbeitung der Baugeschichte beitragen soll und der Architektur die Gesichter und Namen ihrer Schöpfer zurück gibt.
1973 wurde der erste Wohnblock dieses Types in Neubrandenburg gebaut. Bereits elf Jahre später, 1984, wurde das Haus unter Denkmalschutz gestellt. Mehr als 1,5 Millionen Wohnungen sind bis zur Wende entstanden, in denen eine vierköpfige Familie für 109 DDR-Mark im Monat wohnen konnte. In Berlin-Hellersdorf finden Neugierige heute eine Museumswohnung mit original gemusterten Gardinen, Eierbechern und Besteck. Alle kennen „WBS 70“, doch niemand weiß, wer den Grundriss entworfen hat. „In der DDR gab es eine Architektur ohne Architekten“ sagt Dr. Harald Engler vom Leibnitz-Institut für Regional- und Strukturplanung in Erkner.
Individuelle Planungsleistungen von Architekten wurden damals kaum bekannt. Für größere Bauvorhaben gab es zuständige Entwicklungs- und Planungskollektive. Dadurch war es schwieriger, eine konkrete individuelle Handschrift herauszuarbeiten und auch die Bedeutung des Werkes zu erkennen. Dazu kursiere heute nach wie vor das Vorurteil, die DDR-Architektur habe nur Plattenbauten hervorgebracht, so Engler. „Mit unserer Datenbank wollen wir der DDR-Architektur, dem Städtebau und vor allem den Erbauern ein Gesicht und den Planern einen Teil ihrer Bedeutung zurückgeben, die ihnen zu DDR-Zeiten systematisch und nach der Wende durch Desinteresse entzogen wurde.“ Natürlich wolle man mit der Datenbank auch zeigen, dass es in der DDR auch sehr individuelle Architektur gab. „Die Datenbank der DDR-Architektur ist keine Nostalgie, sondern Teil unserer kulturellen Identität“, sagt der Historiker aus dem Schwarzwald.
Das Phänomen Plattenbau, das Bauverfahren in Großtafelbauweise, war eine weltweit verbreitete energie-, material- , raum- und zeitsparende Bauform. Mit den Entwicklungen der Bautechnik der 70er Jahre waren Modulbauweisen durchaus auch in der ehemaligen BRD, in Ost- und Westeuropa verbreitet. Während der Plattenbau in der DDR alle sozialen Schichten, vom Arbeiter am Fließband bis zum Hochschulprofessor, beherbergte, sind die Großsiedlungen nach der Wende oft zu sozialen Randvierteln und die Städte durch den Weggang vieler Menschen zu „schrumpfenden Städten“ geworden. Den neuen Plattenbautypen innen individueller einzurichten, das hat Anfang der Siebziger eine Gruppe von Innenarchitekten an der Burg Giebichenstein in Halle unter der Leitung von Wilfried Stallknecht untersucht. Die Gestalter wollten durchaus in Alternativen denken und entwarfen unterschiedlichste Möbel und variable Grundrisse“ erklärt Harald Engler. „Sessel, Liege und Ottomane, kurz „Selio“ hieß eines der Wandelmöbel aus der Werkstatt von Wilfried Stallknecht. Er war es auch, der den Umbau von Bernau vornahm und eine der ersten Plattenbauserien entwarf. Die Berliner Rathauspassagen am Alexanderplatz sind nach diesem Plattenbautyp P 2 gebaut worden. Doch bekannt ist Stallknecht in der Öffentlichkeit kaum.
Die Liste der DDR-Bauwerke, auch Denkmäler, die seit 1990 für die Abrissbirne freigegeben wurde, ist meterlang. Sie mussten weichen, weil sie vermeintlich den Sozialismus impliziert haben oder kommerziellem Bedarf weichen mussten: das Centrum-Warenhaus Suhl (Fassade: Fritz und Achim Kühn), die Gaststätte auf dem Heinrich-Heine-Felsen in Halle und das „Ahornblatt“ in Berlin (beide Ulrich Müther). Andere Bauwerke verwahrlosen, weil sie keiner mehr braucht oder will.
Die Großgaststätte „Ahornblatt“, die im Jahr 2000 trotz des Aufschreies namhafter Architekten und Kunsthistoriker einem gewöhnlichen Hotelbau weichen musste, ist so ein berühmtes Beispiel. Ulrich Müther, der diese wie auch 50 andere Betonschalen-Konstruktionen entwarf (Teepott Warnemünde), durfte seine Fertigkeiten auch im Ausland beweisen: er baute in Lybien, Jordanien, auf Cuba. Das Raumflug-Planetarium in Tripolis steht bis heute. Müther entwarf aber auch die Rennrodelbahn in Oberhof. Er war als Ingenieur ein populärer Vertreter der Konstruktionsgeschichte und hat mit seinen Schalen eine neue Formensprache entwickelt. Er ist einer der wenigen „Stars“ der DDR-Architekturszene. Der Architekt Wulf Brandstädter baute 1986 „Brunos Warte“ in Halle/Saale, eine postmoderne innerstädtische Plattenbauarchitektur, die auch in westdeutschen Feuilletons, wie der „Zeit“ 1988 für Furore sorgte. Doch was ist mit den anderen über 7 000 Planern und Architekten?
Dass es Frauen in der DDR möglich war, nicht nur zu gestalten, sondern im großen Maßstab zu entscheiden – das ist auch noch nicht in die Geschichtsschreibung eingegangen: Iris Grund war eine von zwei Stadtarchitektinnen der DDR, die die Entwicklung der Stadt Neubrandenburg 20 Jahre lang maßgeblich beeinflusst hat. Dass sich Architekten jahrzehntelang intensiv mit Bauprojekten beschäftigten, die am Ende ihr Lebenswerk waren. Was erinnert an sie?
Das aufwändige Digitalisierungsprojekt des Leibnitz-Institutes stellt nun diese Online-Datenbank aus historischen Unterlagen zusammen, die nach der Wende an das neue Institut übergeben wurden.
„Mit den Aufnahmeanträgen zum Bund deutscher Architekten der DDR verfügen wir über eine einzigartige Sammlung von Porträts“, sagt Projektleiter Harald Engler. Die Fotos werden mit Angaben zu Biographie, Arbeitsstätten und Bauwerken verknüpft. Neben individuellen Lebensläufen gewähren die Bilder, auf denen Politiker und Funktionäre zu sehen sind, auch Einblicke in die Zusammenhänge des Systems in der DDR.

