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Das Land Anhalt Das Land Anhalt: Vom Harz bis zum Fläming

Von Christian Eger 02.02.2012, 14:59

Halle (Saale)/MZ. - Rot, Grün, Weiß: Das sind die Farben Anhalts. Rot wie der Adler Brandenburgs, das der Askanier Albrecht der Bär 1157 als Markgrafschaft begründete. Grün wie der Rautenkranz Sachsens, das Albrechts Sohn Bernhard 1180 als Herzogtum zufiel. Weiß wie der weiß-schwarz geschachtelte Schild der Askanier, dem Adelsgeschecht, dem die Familie Anhalt entstammt. Drei uralte Farben für ein neues Land, das vor 800 Jahren als ein eigenständiger Territorialstaat in der Mitte Europas sichtbar wurde.

Und dessen buchstäbliche Vorreiter weit über die im Ostharz gelegenen Stammlande hinauswirkten. Tatsächlich ist die Mark Brandenburg ohne den Einsatz Albrechts nicht zu denken. Wäre 1320 nicht die brandenburgische Linie der Askanier ausgestorben, würde man heute von diesem Adelsgeschlecht vielleicht genauso viel reden wie von den Hohenzollern, die Brandenburg als Kernland des Königreiches Preußen erschlossen. Eine Königswürde wäre ja auch für die Anhaltiner denkbar gewesen, hätten diese von Anfang an ihre Ländereien besser zusammengehalten - und dynastisch geschickter geheiratet. Und die Sachsen? Die wird Anhalt nicht los: Nunmehr vorm Bindestrich im Namen des heutigen Bundeslandes.

Rot, Grün, Weiß: Während der Sommersaison flattert die anhaltische Trikolore auf dem Dach des Schlosses Wörlitz - ein Vorzeigebau des Dessau-Wörlitzer Gartenreiches, das heute Unesco-Welterbe ist. Anhalt ist und bleibt ja erlebbar, auch wenn es als Staat von der Landkarte verschwunden ist. Was einmal herrschaftliches Land war, wurde Landschaft. Was Staat war, wurde Kulturregion - zwischen Unterharz und Fläming gelegen, von Elbe, Mulde und Saale durchzogen.

Ein vielgliedriges Land sehr verschiedener Landschaften: Im Westen die Wälder und Berge um Harzgerode und Ballenstedt, im Norden die märkische Kiefernschönheit Zerbsts, in der Mitte Bernburg mit den romantischen Steilhängen der Saale, Köthen mit seinem dreitürmigen Schloss, im Osten die Elbauen um Dessau, die Anlagen des Gartenreiches, von Eichen bestandene Flusswiesen. Über weite Partien fruchtbares, von schwarzer Erde bedecktes Gelände, das Teil der mitteldeutschen Tiefebene ist.

Burg über dem Selketal

Ein Land, dessen Name auf eine Harzer Burg zurückgeht: die über dem Selketal zwischen Meisdorf und Mägdesprung gelegene Burg Anhalt. Der Name der heutigen Ruine soll auf ein ohne Holz ("ohne holt") errichtetes Bauwerk verweisen; tatsächlich war die bis um 1300 bewohnte Anlage aus Natur- und Ziegelsteinen errichtet worden. Auch das ist im Gespräch: Dass der Name Anhalt auf einen Standort "an der Halde" verweist. Vom heutigen Ballenstedter Schlossberg und der Burg Anhalt aus herrschten die Askanier im zwölften Jahrhundert weit in den mitteldeutschen Raum hinein. Die Askanier: eine schwäbisch-fränkische, in den Ostharz übersiedelte Adels-Sippe, deren Name auf eine lateinische Variante von Aschersleben (Ascharia) zurückgeht.

Von der kleinen Grafschaft Aschersleben aus begann der Aufstieg der künftigen Anhaltiner. Es war Albrecht der Bär (um 1100-1170), der die an der Elblinie siedelnden Slawen unterwarf. Seine Herrschaft reichte von Havel und Spree bis zur Aller, von Mecklenburg bis Thüringen. Der Bär im Berliner Wappen soll auf Albrecht zurückgehen. Er war es auch, der sich erstmals nach der Harz-Burg "Marchio Anehaldensis" nannte: einen Markgrafen aus Anhalt.

1170 teilte sich das Land unter Albrechts Söhnen: Während der Ältere, Otto, die brandenburgische Linie der Askanier begründete, gingen die anhaltischen Kernlande an Bernhard (1140-1212), der von 1180 an mit dem Herzogtum Sachsen belehnt war. 1197 / 1198 stand er als Kandidat für den Königsthron zur Diskussion. Nicht von ungefähr: Die Askanier waren eine der vornehmsten Familien der Zeit. Und die ersten, die ein Fürstentum nördlich der Alpen begründeten.

Heinrich, der Sänger

Diese Tat fiel Bernhards ältestem Sohn Heinrich (um 1170-1252) zu. Dem wurde von dem am 9. Februar 1212 - also vor 800 Jahren! - gestorbenen Vater die Grafschaft Anhalt zugesprochen und dem jüngeren Sohn Albrecht das Herzogtum Sachsen. Auf einer Urkunde vom 21. Februar 1215 nannte sich Heinrich "comes Ascharie et princeps in Anahalt" (Graf von Aschersleben und Fürst in Anhalt).

Kein Fürst wie mancher andere, sondern ein Mann der Kultur: Als Minnesänger wurde Heinrich I. in die "Manessische Liederhandschrift" aufgenommen, sein berühmtester Bediensteter war Eike von Repgow, der Verfasser des "Sachsenspiegels", eines der ältesten deutschen Rechtsbücher. Mit Heinrich begann die eigentliche Geschichte Anhalts. Dessen äußere Gestalt änderte sich oft: 1307 kam die rechtselbische Herrschaft Zerbst hinzu, 1423 die Grafschaft Plötzkau und 1315 ging mit der Grafschaft Aschersleben die historische Kernregion verloren. Bis heute verdeutlicht die Lage der Baudenkmale den Grenzlandcharakter des Landes, worauf der Anhaltische Landeskonservator Ludwig Grote (1893-1974) verwies: Alle romanischen Bauten von größerer Bedeutung stehen im Westen - in Gernrode, Frose, Nienburg, Ballenstedt und Hecklingen. Mit der Vertreibung der Slawen verschob sich der kulturelle Schwerpunkt Anhalts nach Osten, dort entstanden im Kolonisationsgebiet die Städte Zerbst, Dessau, Köthen und Bernburg. Residenzstädte allesamt.

Sinnfälliger Ausdruck der Familienpolitik des Hauses Anhalt, das mit Heinrichs Tod im Jahr 1252 erstmals die Herrschaft unter allen Fürstensöhnen teilte. So sollte es Brauch bleiben, mit allen Nebenwirkungen: Die Anhaltiner sanken zu über Kleinstgebiete herrschenden Fürsten herab. Erst 1570 gelang es dem Dessauer Fürsten Joachim Ernst (1536-1586), die Länder zu vereinigen. Nur kurzzeitig: 1603 folgte eine Landesteilung unter seinen fünf Söhnen - nun in die Anhalt-Linien Dessau, Bernburg, Köthen, Zerbst, Plötzkau. Zwergstaaten, deren innere Modernisierung durch die Reformation vorangetrieben wurde, die vom benachbarten Wittenberg ausging.

Der Glaubenswechsel begann 1522: Luther predigte in Zerbst. Drei Jahre darauf führte der Köthener Fürst Wolfgang (1492-1566), "der Bekenner", die lutherische Konfession in Anhalt-Köthen, 1526 in Anhalt-Bernburg ein. Der Dessauer Fürst Johann Georg III. (1507-1553), "der Gottselige", war als Geistlicher selbst ein Akteur der Reformation, die aber erst 1530 - nach dem Tod seiner streng katholischen Mutter - in Anhalt-Dessau zum Zuge kommen konnte. Doch bereits im letzten Drittel des 16. Jahrhunderts wandten sich die Fürsten von der reinen Lehre Luthers ab und dem reformierten Bekenntnis der Calvinisten zu.

Eine Entscheidung, die den Anhaltinern den Anschluss an die brandenburgischen Hohenzollern und später an die Niederlande ermöglichte - und somit den anhaltischen Kleinststaaten im außenpolitischen Machtgefüge zu überleben half. 1659 heiratete der Dessauer Fürst Johann Georg II. (1627-1693) die niederländische Oranierprinzessin Henriette Katharina, die zudem die Schwester der Ehefrau des brandenburgischen Kurfürsten war. Eine Heirat, die ihr Zeugnis in dem bei Dessau in holländischer Manier errichteten Barockschloss Oranienbaum findet. Immer hatte Anhalt Teil an den kulturellen Strömungen der Zeit. So war es der Köthener Fürst Ludwig I. (1579-1650), der die der Pflege der deutschen Sprache und Literatur verpflichtete "Fruchtbringende Gesellschaft" 1617 mitgründete und an seinen Hof zog. Eine Gesellschaft, die über die Frontbildungen des Dreißigjährigen Krieges hinweg ein überkonfessionelles Gespräch ermöglichte. Diesem Krieg, in dem Ludwigs Bruder Fürst Christian I. von Anhalt-Bernburg (1568-1630) als anti-habsburgischer Feldherr zum Zuge kam, folgte nach Jahrzehnten des Wiederaufbaus mit dem 18. Jahrhundert Anhalts "Goldenes Zeitalter".

Zerbster Bitterbier aus Jever

Bis heute viel gerühmte Karrieren nahmen ihren Lauf. Die Zerbster Prinzessin Sophie Auguste Friederike (1729-1796) stieg zur Zarin Katharina II. auf. Leopold I. von Anhalt-Dessau (1676-1747), "Der Alte Dessauer", begründete den Absolutismus in Anhalt, in dem er den Einfluss des Adels bremste. Dessen Enkel, Leopold III. Friedrich Franz (1740-1817), bescherte mit den pädagogischen, baulichen und gartenkünstlerischen Höchstleistungen der Dessauer Aufklärung Anhalt seine klassische Epoche. Neue Herrschaften kamen hinzu: Norkitten in Ostpreußen, Pleß in Schlesien, Jever im Oldenburgischen - das berühmte "Jever"-Pils ist ein Zerbster Bitterbier.

In den von Napoleon entfesselten Kriegen manövrierten die Fürsten mit viel Geschick: 1807 retteten sie ihre Staaten, indem sie dem Rheinbund beitraten, der mit der Niederlage des Franzosen 1813 zusammenbrach. Inzwischen zu Herzögen erhoben, setzten die Landesherren auf Restauration statt Reform, doch die Entwicklung zu Verfassungsstaaten war auch in Anhalt nicht aufzuhalten. Die am meisten demokratische Verfassung brachte man in Anhalt-Köthen auf den Weg. Als diese 1848 in Kraft trat, war die Köthener Herrscher-Linie bereits ausgestorben. 1863 konnten alle Teile Anhalts unter der Führung des Dessauer Herzogs wiedervereinigt werden. Ein Land im Aufschwung: Das späte 19. Jahrhundert bescherte Anhalt einen bislang so ungekannten wirtschaftlichen Modernisierungsschub. Industrie-Unternehmen siedelten sich an: in Dessau die Deutsche Continental-Gas-Gesellschaft, Zucker-Raffinerie und Berlin-Anhaltische Maschinenbau AG, in Bernburg die Solvay-Werke, in Roßlau die Maschinenfabrik und Schiffswerft der Gebrüder Sachsenberg.

1895 wurde in Dessau die Firma Junkers gegründet: zunächst als Badeofen-Fabrik, in den 1920er Jahren kamen der Motorenbau und das Flugzeugwerk hinzu. Bald ein Unternehmen mit Weltruf, das die im November 1918 abgedankte Askanier-Herrschaft überdauerte, nicht aber die in Anhalt bereits im Mai 1932 zur Macht gelangten Nationalsozialisten. Faktisch enteigneten diese 1933 Hugo Junkers, um dessen Unternehmen als Rüstungsbetrieb weiterzuführen.

Vieles ging zu Ende in diesen Jahren: 1932 wurde das 1925 nach Dessau geholte Bauhaus nach Berlin vertrieben. 1934 schließlich verschwand der 1918 gegründete Freistaat Anhalt, um im NS-Gau Magdeburg-Anhalt aufzugehen. Anhalt wurde ausgelöscht, unwiederbringlich. Joachim Ernst, der letzte Herzog der Askanier, starb 1947 im Alter von 46 Jahren im sowjetischen Straflager Buchenwald, dem vormaligen Konzentrationslager. Als Verhaftungsgrund nennt die Akte: "Gutsbesitzer".

Neuland im Osten

Was Anhalt war? Ein Staat in der Herzregion Deutschlands, dessen Geschichte so vital und vielgestaltig war wie die äußere Gestalt seines Territoriums. Eine Herrschaft, die buchstäblich Neuland erschloss und die in ihrem Osten zum Reformgeist gezwungen war: von der Gründung der Residenzstädte über die Dessauer Aufklärung bis hin zur mitteldeutschen Moderne der 20er Jahre lassen sich Linien ziehen. Und immer war hier das staatliche auch ein kulturelles Engagement. "Die Beziehungen der Monarchie zu Kunst und Kultur waren ehrwürdig", sagte dieser Tage der Schriftsteller Rolf Hochhuth ("Der Stellvertreter") in einem Interview.

Was Land war, wurde Landschaft. Was Staat war, wurde Kulturregion. Auch gegen Widerstände. Die DDR konnte mit Anhalt wenig anfangen. 1948 und 1958 wurde das kriegszerstörte Dessauer Residenzschloss bis auf den Westflügel abgeräumt; die alte Mitte der letzten Hauptstadt Anhalts blieb gestaltlos bis heute. 750 Jahre Anhalt wurden 1962 nicht gefeiert. Der 1990er Anlauf, Dessau zur Hauptstadt Sachsen-Anhalts zu machen, lief ins Leere; allein die Berufung des Landtages wurde 1990 in Dessau vollzogen. Wer heute das alte im neuen Anhalt sucht, findet es in der Evangelischen Landeskirche Anhalt: Deren Grenze bildet die äußere Gestalt des Freistaates Anhalt nahezu identisch ab.