Theater Naumburg Theater Naumburg: Der Puppenvater

Naumburg/Essen - Sie hat als Kind jede Aufführung gesehen. Auf einer Fotografie in Schwarz-Weiß sitzt sie in der ersten Reihe. Auch sie schaut ganz gebannt in Richtung Bühne - wie all die anderen Mädchen und Jungen, die auf Holzbänken Platz genommen haben. „Die Inszenierungen wurden immer mit ganz viel Leidenschaft gemacht. Die Bühnenbilder waren toll. Mein Großvater war mit Leib und Seele dabei. Und ich kannte jeden Text auswendig“, erinnert sich Veronika Pipal ganz genau. Die 75-Jährige ist die Enkelin von keinem Geringeren als Carl Naumann, dem Begründer des ersten Dorfmarionettentheaters in Deutschland, in dem, 1933 in Rehehausen gegründet, die Wurzeln des Theaters Naumburg liegen.
In Wandervogel-Bewegung
Dieses Kapitel der Geschichte steht im Mittelpunkt einer Sonderausstellung mit dem Titel „Holzköppe und Strippenzieher“, die ab 18. August in der Naumburger Marien-Magdalenen-Kirche zu sehen ist (siehe Beitrag „Vernissage...“).
Naumann, 1872 geboren als Sohn eines Webermeisters aus dem sächsischen Meerane, studierte mit einem königlichen Stipendium Malerei, Grafik, Lithographie und Porzellan-Malerei an der Kunstgewerbeschule in Dresden. Er schloss sich der Wandervogel-Bewegung an. Ende der 1920er-Jahre führten ihn seine Wege schließlich nach Rehehausen. „Dort kaufte mein Großvater zwei Gebäude, in einem eröffnete er eine Jugendherberge, in dem anderen das Puppentheater“, erzählt Veronika Pipal, die seit einigen Jahren in Essen lebt, weiter. Auf dem Spielplan standen vor allem Märchen und Geschichten für Kinder, wie „Aladin“, „Frau Holle“, „Schneewittchen“ oder „Die verlorene Zeit“. Oft wirkten auch Dorfbewohner mit. „Mein Großvater war sehr bekannt. Ich denke, dass es heute im Dorf noch einige Leute gibt, die sich an ihn erinnern können“, ist sich Veronika Pipal sicher.
Sowohl die Texte als auch die Puppen selbst entstanden in Eigenregie. Die ganze Familie wurde bei den Aufführungen eingespannt: Naumanns Töchter Gertrud und Ilse sowie Rudolf Hahlbohm, der spätere Mann von Gertrud und Vater von Veronika Pipal, hatten an den Inszenierungen maßgeblichen Anteil. Hahlbohm wirkte später in den 1950er-Jahren in der Berliner Wuhlheide, wurde 1960 zum Präsidenten des „Nationalen Zentrums Puppentheater der DDR“ ernannt. Gertrud Hahlbohm schrieb die Texte, zeichnete für die Dramaturgie verantwortlich, spielte auch mit verstellter Stimme die eine oder andere Hexe.
Familie und Theater zogen Ende der 1950er-Jahre schließlich nach Naumburg. Bereits 1949 war Carl Naumann verstorben. Veronika Pipal hat die Domstadt als „schönes Städtchen“ in besonderer Erinnerung: „Mein Herz gehört nach Naumburg.“
Die künstlerische Ader zweier Generationen hat sie geerbt. Schon als Kind malte und zeichnete sie gern. Ein Jahr nachdem die Stadt das Familientheater übernommen hatte, begann sie 1959 mit der Ausbildung zur Schaufenstergestalterin. Sie arbeitete auf Messen und Ausstellungen. Später zählte sie zu den Studenten der Abendakademie Fachklasse Illustration der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig. In zahlreichen Ausstellungen waren ihre Arbeiten zu sehen. Vor allem Porträts von Mensch und Tier sowie Aktzeichnungen sind ihr Metier.
Post nach Naumburg
Als sie vor einiger Zeit in ihrem Zuhause aufräumte, fiel ihr die Geschichte ihres Großvaters und seines Puppentheaters förmlich entgegen; in Form von Fotografien und Zeitungsartikeln. „Das konnte ich natürlich unmöglich wegwerfen“, betont Veronika Pipal, die in den 1960er-Jahren mehrere Jahre in der tschechischen Hauptstadt Prag gelebt und 1977 die DDR verlassen hatte. Mit jenen Zeitzeugnissen füllte sie einen großen Umschlag, der an das Naumburger Theater adressiert war. Intendant Stefan Neugebauer meldete sich wenig später bei der Enkelin des Puppenvaters, womit auch Geschichte und Gegenwart des Theaters zueinander gefunden haben.


