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Naumburger Bürgergarten Naumburger Bürgergarten: Schmuckkästchen

Von Mandy-Christin Berthold 06.06.2016, 09:46
Die Wegzweigung Bürgergartenstraße/Hochstraße mit der historischen „Villa Alexander“ - eines der größten Häuser im Viertel - im Hintergrund.
Die Wegzweigung Bürgergartenstraße/Hochstraße mit der historischen „Villa Alexander“ - eines der größten Häuser im Viertel - im Hintergrund. MCB

Mit fast 80 Jahren ist man sicherlich schon einige Kilometer gelaufen. Kein Wunder also, dass die Beine langsam schwer werden. Der nachmittägliche Verdauungsspaziergang kann da schon leicht zu einer kleinen Herausforderung werden. Um sich in diesem Alter trotzdem noch aus dem gemütlichen Schaukelstuhl zu erheben, bedarf es daher einiger Vorbereitung. Gefragt sind vor allem bequemes Schuhwerk, ein gesprächiger Spazierpartner und ein lohnenswertes Ausflugsziel. Drei Dinge, die die Geschwister Sigrid und Christa Bürger schon längst verinnerlicht haben. Die beiden machen fast täglich ihre Runde durch die Stadt. Die kleinen Ausflüge in Richtung Bürgergarten gehören nicht nur aufgrund ihres passenden Familiennamens zu ihren Lieblingstouren, wie die jüngere Schwester Sigrid erklärt: „Die Gegend hier ist zum Abschalten ideal, es ist ruhig und durch die vielen Gärten und Parkanlagen wunderbar grün.“

Grundstein 1764 gelegt

Tatsächlich gehört das Viertel südlich der Altstadt zu den naturnahen Teilen Naumburgs und war einstmals den gut Betuchten vorbehalten. Die zahlreichen Villen, breiten Pflasterstraßen und Alleen erinnern noch heute daran.

Welche Geschichten sich hinter den eindrucksvollen Fassaden allerdings verstecken, geriet nicht nur bei den Bürgers über die Jahre in Vergessenheit. Denn obgleich das Bewusstsein für die historische Bedeutung von Dom und Altstadt ungleich größer zu sein scheint, kann auch der Bürgergarten auf eine spannende Vergangenheit zurückblicken. Der Grundstein für die namensgebende Parkanlage des Viertels wurde nämlich bereits 1764 gelegt. Damals ging beim Stadtrat ein erster Antrag auf Urbarmachung des Ackers am Galgenberg ein. Für die Oberschicht war ein eigener Garten im auslaufenden 18. Jahrhundert vor allem auch ein modernes Statussymbol. Nur neun Jahre später entstand oberhalb der heutigen Gaststätte eine zweite Gartenanlage, die sich vorerst im Besitz hochrangiger Garnisonskommandeure befand. +

Mit der Freigabe der Gartenanlagen für die Öffentlichkeit 1796 erteilte die Stadt gleichermaßen die Genehmigung zum Ausschank von Bier, Wein und Kaffee und läutete damit die Geburtsstunde des nach wie vor bestehenden Gastgewerbes ein. Heute, mehr als 200 Jahre später, erhalten Dirk Thieleke und Evelyn Görisch den Restaurantbetrieb erfolgreich aufrecht. „Wir bewirten hier am Tag etwa 100 Gäste“, so Thielecke, der das Gewerbe vor zehn Jahren von seinem Vorgänger übernommen hat. Der heutige Gastbetrieb ist allerdings mit der damaligen Bewirtschaftung kaum zu vergleichen. Für einen Eintritt von nur 25 Pfennig warb der Bürgergarten einst mit allsonntäglichen Musikveranstaltungen um Gäste. Heutzutage schätzt man hier vor allem auch die leichte Abgeschiedenheit und legen dafür gerne ein paar Taler mehr hin, wie Evelyn Görisch erzählt: „Für uns liegt der Vorteil des Viertels vor allem in seiner Ruhe. In der Stadt findet man sonst kaum einen Biergarten, bei dem man sich gemütlich im Grünen zurücklehnen kann.“

Nach dem Genuss der gutbürgerlichen Küche des Hauses laden die Park- und Gartenanlagen so direkt noch zu einem Spaziergang ein. Dennoch: „Der Rosengarten und auch die übrigen Grünflächen werden viel zu wenig genutzt“, bemängelt Thielecke. Die Ursache dafür vermag das Betreiberpaar selbst nicht so richtig auszumachen. Und doch scheint es fast so, als ob das Viertel noch immer den elitären Charme wahrt, der ihm einst angedacht war.

Spätklassizismus, Neobarock

Gediegene Luxuriösität und Privatheit, genau das sollte der Bürgergarten nach Willen des ehemaligen Oberbürgermeisters der Stadt, Emil Kraatz (1889 bis 1913), verkörpern. Weniger als um die technischen Entwicklungen der Industrialisierung sorgte sich Kraatz um das soziale Wohl seiner Stadt. Vor dem Hintergrund eines sprunghaften Anstiegs der Arbeiterbevölkerung visionierte er im Bürgergartenviertel sein „Pensionopolis“ - einen Ortsteil, in dem die Richter und Advokaten, Kommandeure und Offiziere ihr Vermögen in imposante Häuser investieren und in parkähnlicher Umgebung die Seele baumeln lassen konnten. Dass diese Pläne über mehrere Jahrzehnte hinweg Befürworter und Investoren fanden, lässt sich an der unterschiedlichen, bauzeitlichen Architektur ablesen. In den Straßenzügen zwischen Luisen-, Buchholz- und Jahnstraße treffen spätklassizistische Statuen auf malerischen Landhausstil, neobarocke Türmchen und Zinnen. Dem historischen Wert der Siedlung, die in ihrer Ausdehnung sogar noch die Naumburger Altstadt übertrifft, wurde man sich von offizieller Seite erst sehr viel später bewusst. Mit der Inflation nach dem Ersten Weltkrieg verlor auch das Bürgergartenviertel allmählich an seinem herrschaftlichen Glanz. Der Zahn der Zeit nagte zum Teil bis spät in die 1980er Jahre hinein an den historischen Gemäuern und Straßenzügen. Bis der Ortsteil 1995 schließlich flächendeckend unter Denkmalschutz gestellt wurde, war nicht nur viel Geduld, sondern auch privates Engagement der Bürger gefragt. Anno 2016 kann das Viertel fast an seine Blütezeit im 19. Jahrhundert anknüpfen. Viele der Villen sind inzwischen wieder Heimat von Ärzten und Gelehrten. Die imposanten Hauseinfahrten sind mehrfach elektronisch gesichert, die allgegenwärtige Warnung vor dem Hunde scheint fast schon obsolet.

Für die Geschwister Bürger sowie auch für Evelyn Görisch macht auch diese eigenwillige Erscheinung die Faszination des Viertels aus. „Es ist fast ein bisschen so, wie auf einem Dorf“, erzählt die gelernte Köchin, „aber mit dem Unterschied, dass man hier längst nicht alle Anwohner mit Namen kennt.“ Persönlichen Kontakt mit der Nachbarschaft gäbe es meistens nur durch Zufall. Dem allgemeinem Eindruck des Stadtteils tue dies jedoch keinen Abbruch, wie Dirk Thielecke bestätigt: „Von Gästen bekommen wir durchweg positive Rückmeldungen zur Ortslage.“

Prominentes Erbe

Eine, die sich einst von den malerischen Ausblicken der geschwungenen Hügelstraßen beeindrucken lies, war Johanna von Putkammer. Als Angehörige eines alten Adelsgeschlechts aus dem Gebiet des ehemaligen Hinterpommern erfüllt sich die junge Frau ihren ganz persönlichen Wohntraum. Unter der Leitung des damaligen Zimmerers Scheibe sowie des Maurers Heinrich Crato entstand 1873 auf dem Boden der heutigen Charlottenstraße 8 ein großzügiges Anwesen im spätklassizistischen Baustil. Die kleine Landhausvilla ist eines der ältesten Häuser im gesamten Viertel.

Nur wenige Meter entfernt, in der Hochstraße 2 findet sich eines der größten Häuser des Viertels. Die Villa „Alexander“ wurde 1912 erbaut und ist nach ihrem Schöpfer, dem Hauptmann a.D. Adolf Alexander, benannt. Von bewaffneten Soldaten bewacht, wurde das Haus nach dem Zweiten Weltkrieg in den Dienst der russischen Besatzungsmacht gestellt und als Wohnsitz des sowjetischen Stadtkommandanten genutzt. Heutzutage finden sich in der Klassik-Villa zwar wieder Wohn- und Geschäftsräume. Dem historischen Erbe ist man hier im Viertel aber dennoch sehr verbunden, wie Dirk Thielecke berichtet: „Nicht weit von unserer Gaststätte wurde vor Kurzem ein privater Neubau mit Flachdach fertig gestellt, der nicht von allen gern gesehen ist. Manche sind der Meinung, das Haus sei zu modern und passe nicht in die Umgebung.“

Vor knapp zehn Jahren sollte ein strenger Bebauungsplan den Erhalt der historischen Straßen- und Bausubstanz sichern. Rosensorten für die Vorgärten, Pflastersteine für Hauseinfahrten und ausgedehnte Parkverbote - nichts sollte im Viertel dem Zufall überlassen werden. Der strenge Plan wurde inzwischen durch ein Gestaltungskonzept ersetzt.

Die Besinnung auf historische Baukunst hat allerdings nicht nur Vorteile, wie das Geschwisterpaar Bürger weiß: „Mit zunehmendem Alter sind die gepflasterten Straßen und Wege an der einen oder anderen Stelle schon etwas schwieriger zu begehen“, gibt Sigrid Bürger zu, „aber was man schafft, schafft man.“

Schnell ist hier im Bürgergartenviertel ohnehin niemand unterwegs, denn mehr als 30 Stundenkilometer dürfen motorisierte Besucher nicht fahren. Immerhin - die vielen kleinen Details des Bürgergartens, die Denkmäler, Villen, aber auch Flora und Fauna wirken bei einer schnellen Vorbeifahrt sicherlich nur halb so eindrucksvoll. Den besten Einblick ins Viertel ergattert man stattdessen noch immer zu Fuß - mit ordentlichem Schuhwerk und einem gesprächigen Spazierpartner.

Im Naumburger Bürgergarten: Die Geschwister Sigrid (l.) und Christa Bürger sind fast täglich zu Fuß unterwegs.
Im Naumburger Bürgergarten: Die Geschwister Sigrid (l.) und Christa Bürger sind fast täglich zu Fuß unterwegs.
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Neben einheimischen Baum- und Gehölzarten lassen sich auf dem Jahn-Naturlehrpfad einige Exoten entdecken, so die neuen Gingkobäume in der Bürgergartenstraße.
Neben einheimischen Baum- und Gehölzarten lassen sich auf dem Jahn-Naturlehrpfad einige Exoten entdecken, so die neuen Gingkobäume in der Bürgergartenstraße.
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Evelyn Görisch und Dirk Thielecke betreiben erfolgreich die Gaststätte „Bürgergarten“.
Evelyn Görisch und Dirk Thielecke betreiben erfolgreich die Gaststätte „Bürgergarten“.
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 Seit 1873 steht das einstige Haus des Fräulein Putkamer in der Charlottenstraße 8. Das idyllische Anwesen im Landhausstil wird auch heute noch als Wohnhaus genutzt.
 Seit 1873 steht das einstige Haus des Fräulein Putkamer in der Charlottenstraße 8. Das idyllische Anwesen im Landhausstil wird auch heute noch als Wohnhaus genutzt.
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