Mitteldeutschland entdecken Mitteldeutschland entdecken: Klingendes Vogtland

Klingenthal - Das obere Vogtland gehört heute zum Vogtlandkreis im Südwesten des Freistaats Sachsen und grenzt unmittelbar an Tschechien, Bayern und Thüringen. Inmitten einer waldreichen Berglandschaft und in einer schönen Ferienregion, befindet sich hier der sogenannte Musikwinkel. Dieser Anfang des 20. Jahrhunderts entstandene Begriff bezeichnet vor allem die Orte Markneukirchen, Erlbach, Klingenthal und Schöneck sowie die böhmischen Ortschaften Schönbach und Graslitz, die heute zu Tschechien gehören.
Instrumente erobern Markt
Die Geschichte dieser außergewöhnlichen „klingenden Landschaft“ begann in der Stadt Markneukirchen. Hier hatten sich nach der Mitte des 17. Jahrhunderts böhmische Exulanten aus unmittelbarer Nachbarschaft angesiedelt, die wegen ihres evangelischen Glaubens im Zuge der Gegenreformation ihre Heimat verlassen hatten. Sie brachten die Kunst des Geigenbaus aus Böhmen nach Sachsen mit und schlossen sich 1677 mit zwölf Meistern zu einer Innung zusammen. Der kursächsische Artikelbrief gilt nicht nur als die Geburtsurkunde des Musikinstrumentenbaus im sächsischen Vogtland, sondern bestätigte auch die erste Geigenmacherinnung in den deutschen Staaten. Damit wurde der Grundstein für einen Handwerks- und Industriezweig gelegt, der die Entwicklung der Region entscheidend beeinflussen sollte.
1700 begann der Bau von Holzblasinstrumenten, es folgte die Produktion von Saiten und Geigenbögen, von Waldhörnern und Blechblasinstrumenten. Um 1800 wuchs Markneukirchen zur bedeutendsten Produktionsstätte von Musikinstrumenten in Deutschland und eroberte im Laufe des 19. Jahrhunderts den Weltmarkt. Bereits gegen Ende des Jahrhunderts erlangte das Zentrum des deutschen Orchesterinstrumentenbaus die absolute Marktführerschaft: etwa 80 Prozent des weltweiten Bedarfs an Musikinstrumenten wurden durch Produkte aus Markneukirchner Meisterwerkstätten und Manufakturen gedeckt.
Das sächsische Cremona
Um 1900 gab es in der Stadt sogar eine US-amerikanische Konsular-Agentur, die sich ausschließlich mit dem Export von Musikinstrumenten in die USA beschäftigte. International sprach man von der „Musikstadt Markneukirchen“ oder bezeichnete den Ort als „sächsisches Cremona“, benannt nach dem oberitalienischen Städtchen, welches ebenfalls durch den Geigenbau international bekannt geworden war. 1834 wurde die städtische Musikschule als eine der ältesten dieser Art in Deutschland gegründet, ab 1853 spielte das städtische Orchester und 1883 entstand das Gewerbemuseum mit einer Musikinstrumentensammlung, das spätere Musikinstrumenten-Museum.
Seit 1949/50 fand die Markneukirchner Musikwoche statt, die später als „Vogtländische Musiktage“ internationaler Musikwettbewerb für Streich-, Zupf- und Blasinstrumente wurden. Heute eine Veranstaltung, die jährlich im Mai stattfindet. Zwischen 1952 und 1990 stellte der VEB Musima (Musikinstrumentenbau Markneukirchen) Saiteninstrumente industriell her und beschäftigte in dem stark exportorientierten Unternehmen zuletzt nahezu 1300 Mitarbeiter. Nach der Wende als GmbH mit anfänglich 30 Mitarbeitern und wechselnden Besitzern weiter betrieben, ging Musima 2006 endgültig in Insolvenz. Vor wenigen Wochen standen das große Fabrikgebäude und das Bürohaus des ehemaligen Unternehmens für 95000 Euro erfolglos zum Verkauf. Inzwischen plant die Stadt den Abriss der Immobilien.
Aber auch heute noch werden nahezu alle Orchesterinstrumente, viele Zupfinstrumente und Musikzubehör in kleineren Meisterbetrieben und Manufakturen der Stadt gefertigt. Damit ist Markneukirchen immer noch ein wichtiger Teil des vogtländischen Musikwinkels, wo mehr als 100 hoch spezialisierte Musikinstrumentenbauer tätig sind.
Das Musikinstrumenten-Museum ist die Hauptattraktion von Markneukirchen und befindet sich seit 1942 im Paulus-Schlössel, in einem spätbarocken Bürgerhaus von 1784. Zu den über 3500 historischen Musikinstrumenten der Sammlung zählen nicht nur die zahlreichen Instrumente, welche in Markneukirchen und Umgebung hergestellt wurden, sondern auch Musikinstrumente aus aller Welt. Eine besondere Attraktion des Hauses sind verschiedene „Riesen-Musikinstrumente“. Ausgestellt ist das 1938 im benachbarten Zwota gebaute Piano-Akkordeon mit 128 Diskanttasten und 360 Bässen. Nahezu zwei Meter hoch, war das Instrument ein Auftragswerk für die englische Revue-Truppe Doorlay und wurde gleichzeitig von sechs Damen gespielt. Zum Einsatz kam das Akkordeon 1938 im Kristallpalast Leipzig, im Apollo-Theater Nürnberg und in der Berliner Scala. Auf Wunsch des Ensembles sollte kurze Zeit später ein Gebläse in das doch recht unhandliche Instrument eingebaut werden und gelangte deshalb zurück in das Vogtland. Da die englische Artistengruppe 1940 auf einer Überfahrt in die USA verschollen war, verblieb deshalb das Riesen-Akkordeon schließlich in Markneukirchen. Ebenso wie dieses Akkordeon ist inzwischen auch die weltgrößte Geige (4,27 Meter) mit Streichbogen (5,22 Meter) im Guinness-Buch der Rekorde aufgeführt. Angefertigt wurde dieses bespielbare Instrument 2010 von 15 Instrumentenbauern aus dem vogtländischen Musikwinkel anlässlich der Feierlichkeiten zum Stadtrechtsjubiläum von Markneukirchen. Im Museum werden verschiedene Instrumente vorgeführt, und einige Instrumente dürfen auch selbst ausprobiert werden, unter anderem im neuen Weltmusik-Garten.
Eine nicht ganz solange Tradition wie das Musikinstrumenten-Museum hat das Vogtländische Freilichtmuseum in Landwüst, heute ein Ortsteil von Markneukirchen. Es ist der Sammelleidenschaft eines einheimischen Bauern zu verdanken, dass hier 1968 ursprünglich ein „Bauernmuseum“ eröffnet wurde. Durch den Einbezug von vor Ort erhaltener und durch die Umsetzung regionaltypischer Häuser, vergrößerte sich in den nachfolgenden Jahren die Anlage. Heute gehören 20 historische Gebäude mit unzähligen Exponaten zum Freilichtmuseum, das die Komplexität des Lebens der vogtländischen Landbevölkerung über einen Zeitraum von nahezu 300 Jahren dokumentiert. Auch einige Wiesen, Gärten und Felder sowie lebendes Nutzvieh gehören zum familienfreundlichen Museum, das auch zahlreiche Veranstaltungen bietet. In der „Einkehrstube“ kann ein kleiner Imbiss eingenommen werden. Eine große Scheune und eine kleinere „Rumpelkammer“ stehen für Feiern bereit. Vor geraumer Zeit setzte die bekannte vogtländische Sängerin Stefanie Hertel dem Museum aus ihrer Heimat ein filmisches Denkmal.
Nur wenige Kilometer von Markneukirchen entfernt liegt der Ort Klingenthal. In Folge des sächsischen Bergbaus entstanden, hat der Name der Stadt trotz einer ebenfalls großen Tradition des Musikinstrumentenbaus nichts im ursprünglichen Sinne mit dem Klang zu tun, sondern ist nach dem ehemaligen Besitzer der im Tal befindlichen Siedlung Klinger benannt. Auch in Klingenthal hatten böhmische Exulanten den Geigenbau und damit die Tradition des Musikinstrumentenbaus begründet. 1829 begann die Herstellung von Mundharmonikas vor Ort und bereits 1840 war Klingenthal das größte Zentrum der Mundharmonikaproduktion in Deutschland. Nach einem Vorbild aus Magdeburg baute der Tischler Adolph Herold schließlich ab 1852 Akkordeons in Klingenthal nach. Bald sattelten verschiedene Mundharmonika-Produzenten vor Ort auf die Herstellung von Akkordeons um oder nahmen diese Instrumente zusätzlich in die Produktion auf. Auch der dazugehörige Maschinenbau entwickelte sich in der Stadt.
Nach der Wende in die Pleite
Zahlreiche technische Innovationen und internationale Patente aus Klingenthal beeinflussten nachhaltig und weltweit die Weiterentwicklung der Akkordeons. Klingenthal zählte schließlich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zu den größten Anbietern von Harmonikas in der Welt, die vor dem Ersten Weltkrieg in 65 Fabriken der Stadt produziert wurden. Zu den namhaften Akkordeon-Marken zählten Barcarole, Contasina, Firotti, Horch oder Royal Standard. 1948 wurden verschiedene Firmen der Branche zum VEB Klingenthaler Harmonikawerke zusammengefasst. Dieser Betrieb beschäftigte zuletzt etwa 3500 Mitarbeiter und produzierte weltweit gefragte Künstlerinstrumente wie die „Weltmeister Supita“, „Weltmeister Consona“ oder die „Barcarole Sonaphon“.
Mit der Währungsunion und dem Ende der DDR brach das Unternehmen schlagartig zusammen. 1992 entstand als eines der Nachfolgeunternehmen die Harmona Akkordeon GmbH, die seit 2017 unter der Bezeichnung Weltmeister Akkordeon Manufaktur GmbH firmiert und weiterhin die beliebten Akkordeons der Marke „Weltmeister“ produziert.
Am Fuße des Aschbergs (936 Meter) gelegen, ist Klingenthal eines der Zentren des Wintersports im sächsischen Freistaat. Im schneesicheren Gebiet befinden sich über 100 Kilometer gespurte Langlauf-Loipen, Abfahrtshänge mit Skiliften und Rodelbahnen. Hier ist nicht nur Sachsens größter Skiverein ansässig, der VSC Klingenthal, sondern auch ein Bundesstützpunkt des Deutschen Skiverbandes für Leistungssport.
Mit „WieLi“ nach oben
Zwischen 2001 und 2006 für 19 Millionen Euro vom Vogtlandkreis erbaut, ist die „Sparkasse Vogtland Arena“ ein Besuchermagnet der Region und wirbt mit der modernsten Sprungschanze der Welt. Etwa 33000 Zuschauer fasst die Arena, auf der zu allen Jahreszeiten Skisprünge möglich sind, ebenso Konzerte und andere Events. Der Schanzenrekord im Winter liegt bei 146,5 Metern. Seit 2009 trifft sich jährlich die Elite zum Weltcup der Skispringer.
Den Besuchern steht ganzjährig die schienengeführte Erlebnisbahn „WieLi“ zur Verfügung. Viersitzige Wagen führen auf einer 300 Meter langen Bergfahrt vorbei am Kampfrichtergebäude und Schanzentisch hoch zum Schanzenturm. Dort angelangt, bietet sich ein imposanter Panoramablick aus der Sicht des Skispringers von der Aussichtsplattform und der Kapsel des Anlaufturms, bevor es geruhsam auf den Gleisen zurück ins Tal geht.