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Max Klinger Max Klinger: Letzte Jahre in Großjena

Von Albrecht Günther 06.06.2016, 14:30
Zentraler Punkt der Exposition: das im Jahr 1918 entstandene „Selbstbildnis, von vorn mit auf die geballte Hand gestütztem Kopf“ (Aquatinta).
Zentraler Punkt der Exposition: das im Jahr 1918 entstandene „Selbstbildnis, von vorn mit auf die geballte Hand gestütztem Kopf“ (Aquatinta). Biel

Am 22. November 1919 heiraten Max Klinger (1857-1920) und Gertrud Bock. Der Künstler, nach einem am 12. Oktober erlittenen Schlaganfall rechtsseitig gelähmt, hat seinen Wohnsitz inzwischen nach Großjena verlegt. Die „Naumburger Neuesten Nachrichten“ widmen der Eheschließung, die die städtische Gesellschaft durchaus bewegt, einen gesonderten Artikel, sprechen von einer „Nottrauung“. Tatsächlich unternimmt Klinger diesen Schritt, um die Großjenaerin Gertrud Bock nach seinem Tod materiell abzusichern. Am 4. Juli 1920 stirbt er, nachdem das Paar die Wintermonate in Leipzig verbracht hatte, im Weinbergshaus in Großjena. Am 8. Juli wird er auf dem dortigen Gelände beerdigt.

Schau des Stadtmuseums

Klingers letzten Jahren widmet sich nun eine Sonderausstellung, die im zum Naumburger Stadtmuseum gehörenden Max-Klinger-Haus in Großjena zu sehen ist. Allerdings spannt sie den zeitlichen Bogen weiter, nimmt das Schaffen des Künstlers von 1914 bis zu dessen Tod in den Blick. Gegliedert ist die Schau, die mit Tod und vermeintlichen Heroismus im Ersten Weltkrieg einerseits sowie dem Eros und nackter Weiblichkeit andererseits ein besonderes Spannungsfeld offenbart, in drei Abschnitte: „Meister der Radierung“, Entstehung der beiden Kachelöfen in Klingers Großjenaer Haus sowie „Die letzten Monate“. Zu sehen sind zahlreiche Originale, dazu Fotos sowie Dokumente - und Postkarten, die Klinger aus Saalfeld an sich selbst schrieb.

Einen besonderen Platz in der Darstellung nimmt Klingers 60. Geburtstag ein, den er am 18. Februar 1917 feierte und der große Aufmerksamkeit fand. Über 200 Briefe und 90 Telegramme erreichten den Künstler, der sich nach Großjena zurückgezogen hatte, um dem Trubel zu entgehen.

Glückwünsche zum 60. Geburtstag

In der Ausstellung zu sehen ist unter anderem ein Brief aus dem Bestand des Naumburger Stadtarchivs, in dem Klinger dem Schriftsteller Gerhard Hauptmann (1862-1946) für dessen Glückwünsche dankt. Daneben liegt das handschriftliche Gedicht zur Huldigung Klingers, das Richard Dehmel (1863-1920) ihm zueignete. Besonders beeindruckt haben dürfte den Künstler das Buch „Die Welt Max Klingers“, das Anfang 1917 von seinen Freunden Georg Hirzel und Gustav Kirstein als „Liebesgabe“ deutscher Hochschüler „den Kommilitonen im Felde und in der Heimat gewidmet“ war. Der Erste Weltkrieg, der mit eisernen Krallen eingriff in die Zeit, hatte auch Klinger beschäftigt. Im umfangreichen Begleitheft zur Ausstellung „Max Klinger - Letzte Jahre in Großjena“ schreibt Conny Dietrich: „Klinger hätte seinen Lebensabend in Ruhe schaffend verbringen können. Neben Leipzig wäre dabei sicher auch seinem 1913/14 erweiterten Weinbergshaus in Großjena eine wichtige Rolle zugekommen. Doch es kam anders. Im August 1914 zog Deutschland in einen über vier Jahre dauernden Krieg. Wie so viele Künstler und Intellektuelle hatte auch Klinger zunächst in die kollektive Kriegsbegeisterung eingestimmt. Doch bald schon trat Ernüchterung ein.“ So schrieb Max Klinger am 8. November 1914 an Max Lehrs: „Ich soll schrecklich viel arbeiten, aber der Krieg lähmt mich. Man arbeitet zehn Minuten, auf einmal merkt man, daß man ganz woanders hindenkt.“

Bereits im September 1914 hatte der Künstler das „Gedenkblatt für die im Weltkrieg Gefallenen“ (Radierung und Aquatinta) geschaffen, das sächsische Soldaten in Begleitung von Trommlern während eines Sturmangriffs zeigt. Dazwischen liegt ein Verwundeter, im Vordergrund ein durch eine Kopfverletzung getöteter Soldat. Das Blatt war im Auftrag der Nachrichtenstelle für den Bezirk der Königlichen Kreishauptmannschaft Leipzig entstanden. Mit ihm sollten die Angehörigen getöteter Soldaten eine würdevolle Erinnerung erhalten. Dazu konnte im Mittelteil des Blattes in ein Feld der Name des Getöteten eingetragen werden. Zu dieser Zeit allerdings ging man davon aus, dass der Krieg für das Deutsche Reich eine rasche und siegreiche Angelegenheit sein würde: „Im Feldzug 1914 starb den ehrenvollen Tod fürs Vaterland“ lautet die Zeile vor dem Namensfeld. Und darunter: „Der Dank für seine Hingabe wird nicht aufhören und sein Andenken wird in aller deutscher Herzen fortbestehen.“ Heldensterben mit Max-Klinger-Pathos.

Gänzlich unpathetisch dagegen gestaltet sich die Bildwelt im Blatt „Im Unterstand“, (Radierung und Aquatinta), das 1916/17 für den Sächsischen Ausschuss für Kunst im Felde entstand. Längst war die Verklärung vorüber, war in Deutschland und Europa erkannt worden, dass der Krieg zwar ein „Stahlbad“, vor allem aber ein schreckliches Blutbad ist.

Merkantile Gründe oder Zeitgeist?

Gedacht war das Max-Klinger-Blatt, wie der Ausschuss festlegte, als „Erinnerung an die Heimat“ und als „künstlerische Gabe zur Erbauung im Momente der Not und Gefahr“ für die im Krieg kämpfenden Soldaten. Allerdings wirken die im Unterstand sitzenden Männer „eher erschöpft und teilnahmslos“, wie es im Begleittext des Ausstellungsheftes heißt. Gern hätte man dort mehr über die Hintergründe der Entstehung beider Arbeiten erfahren. Ebenso zu den im Zusammenhang mit dem 70. Geburtstag Paul von Hindenburgs und einer Kriegsanleihe entstandenen Arbeiten. Waren es merkantile Gründe oder war es der Zeitgeist, die den Ausschlag gaben?

Wendet der Besucher seinen Blick nach rechts, so finden sich unmittelbar neben der „Kriegswand“ mehrere Exlibris, die 1912 und den Folgejahren entstanden. So jenes für die Leipziger Kunsthistorikerin Hildegard Heyne (Radierung und Aquatinta), das einen zu lichten Höhen strebenden weiblichen Akt zeigt. Im Buchzeichen für den Generalmajor und Kommandeur eines sächsischen Husarenregiments greift Klinger das Motiv des wilden Tieres auf, dem das nackte Weib die Zügel anlegt: zur Zähmung oder zur Verführung.

„Zelt“-Zyklus, Brunnen, Kachelöfen

Weitere Werke, die die Ausstellung eröffnen, sind breiter gefassten Themen gewidmet, so die Radierung „Vor der Königin“ von 1915 aus dem 46 Blätter umfassenden grafischen Zyklus „Zelt“ (1913-16), der wie ein Märchen erzählt wird. In diesem Zusammenhang ist der Naumburger Brunnen zu nennen, dem in der Schau eine Übersichtstafel gewidmet ist. Dem Entwurf des sogenannten Abundantia-Brunnens, der vor dem Gebäude des Oberlandesgerichts aufgestellt werden sollte, widmete sich Klinger in den Jahren 1916 und 1917. Ebenfalls 1916 begann Klinger mit der Arbeit am zweiten Kachelofen für das Großjenaer Haus.

In der Ausstellung, die den Ofen als beredtes Exponat einbezieht, sind zwei Kacheln zu sehen und mehrere Postkarten. Aus Saalfeld, wo Klinger in einer Werkstatt die Kacheln gestaltete, schreibt er im August: „Kachel beendet Endlich“.

Zentraler Punkt der auf einen Raum konzentrierten Exposition jedoch ist das 1918 entstandene „Selbstbildnis, von vorn mit auf die geballte Hand gestütztem Kopf“ (Aquatinta). Es zeigt den Künstler - ein Jahr vor seinem Schlaganfall und zwei Jahre vor seinem Tod - in grüblerischer Haltung, eine Art innerer Rückschau haltend. „Die Augen sind müde, die Mundwinkel hängen schlaff nach unten. Gleich einer Vorahnung durchzieht das Blatt eine düstere, melancholische Stimmung“, heißt es im Begleitheft der Ausstellung. Klar, sicher und kraftvoll dagegen gibt sich der Künstler im ebenfalls 1918 geschaffenen „Selbstbildnis, leicht nach links gewendet“ (Radierung). Es ist die Ambivalenz zwischen dem Gewahrwerden des Alters und der Hoffnung, dieses würdevoll und mit weiterer Schaffenskraft bestehen zu können, der den Reiz dieser beiden nebeneinander platzierten Selbstbildnisse ausmacht.

Elsa Asenijeff und Gertrud Bock

Klinger ist 61 Jahre alt. Er kann auf ein reiches, weithin anerkanntes Schaffen verweisen, dass ihm durchaus auch finanziell einiges eingebracht hat. Doch wohin wird der Weg gehen? Der Krieg ist überstanden, die Zeiten werden ruhiger. Auch persönlich hat Klinger den Schritt von seiner früheren Partnerin Elsa Asenijeff (1867-1941) hin zu Gertrud Bock vollzogen. 1911 hatte Klinger die 18-jährige Großjenaerin kennengelernt, die ihm Modell stand. 1916 kam es deshalb zum endgültigen Bruch zwischen Klinger und der kapriziösen Elsa. Ihr von Klinger geschaffenes Exlibris zeigt sie als stehenden Akt am Strand, der den unter ihr sitzenden und fast flehenden Künstler beherrschend niederhält. Eher zurückhaltend, fast kindhaft, dennoch voller weiblicher Anmut und Strahlkraft dagegen zeigt die von Klinger 1910 vollendete Skulptur, die in der Neuen Pinakothek in München zu sehen ist, die Asenijeff. Mit Werken von Gustav Klimt und Claude Monets „Seerosen“ bildet die aus Marmor gefertigte Porträtbüste den krönenden Abschluss der Münchener Schau.

Arzt Ernst Friedheim berichtet

In der Großjenaer Sonderausstellung ist die Beziehung Klinger - Asenijeff kein Thema. Sie widmet sich Gertrud Bock als neuer Großjenaer Hausherrin. Zu sehen sind die Dankesanzeige des Paares nach der Hochzeit, eine am 4. Juni 1920 von Klinger ausgestellte Vollmacht über einen Scheck in Höhe von 5000 Reichsmark für die Ehefrau und Fotos von Gertrud Bock in Trauerkleidung nach Klingers Tod.

Das Begleitheft endet mit einem Bericht des Naumburger Arztes Ernst Friedheim, der Klinger nach dessen Schlaganfall betreute. Klinger war nach Saalefeld gereist, um dort für die Kachelöfen in Ton zu arbeiten. Mit heroischem Unterton schreibt Friedheim: „Ich frage mich heute: War es Recht, daß ich ihn nicht zurückzuhalten suchte, da ich die für ihn gefährliche Anstrengung in Saalfeld voraussehen musste. Ich sage aus voller Ueberzeugung: ja, es war Recht! Er, der die Grabesschwelle schon berührt hatte und dessen Tage ohnehin gezählt waren, hat nocheinmal die Wohltat der Genugtuung gewonnen, etwas geschaffen zu haben, von dem er selbst sagt: Es ist gut.“

Max-Klinger-Haus Großjena, Blütengrund 3. Geöffnet dienstags bis freitags 10 bis 17 Uhr. Der Eintritt kostet drei, ermäßigt zwei Euro einschließlich Sonderausstellung. Für Schüler frei.

Im Klingerhaus in Großjena gibt eine Sonderausstellung Einblick in Leben und Schaffen Max Klingers von 1914 bis zu dessen Tod 1920.
Im Klingerhaus in Großjena gibt eine Sonderausstellung Einblick in Leben und Schaffen Max Klingers von 1914 bis zu dessen Tod 1920.
Biel
In der Neuen Pinakothek München: Von Max Klinger um 1900 geschaffene Porträtbüste von Elsa Asenijeff (Weißer und farbiger Marmor) im Zusammenspiel mit Werken von Gustav Klimt (Mitte) und Claude Monet.
In der Neuen Pinakothek München: Von Max Klinger um 1900 geschaffene Porträtbüste von Elsa Asenijeff (Weißer und farbiger Marmor) im Zusammenspiel mit Werken von Gustav Klimt (Mitte) und Claude Monet.
Juliane Günther