Archäologie in Lützen Massengrab in Lützen: Archäologe René Wollenweber geht am Massengrab auf Schatzsuche

Lützen - Neben einem riesigen Holzstapel dreht René Wollenweber seine Runden. Die Bäume sind bereits in der Vorwoche dort gefällt worden, wo Erweiterungsbau und Parkplatz der Gustav-Adolf-Gedenkstätte entstehen sollen.
Der Bau soll das 2011 geborgene Massengrab der Schlacht zwischen schwedischen und kaiserlichen Truppen aufnehmen.
Der Archäologe Wollenweber hat einen Metalldetektor in der Hand und sucht Reste, die an diesen blutigen Kampf am 6. November 1632 im Dreißigjährigen Krieg erinnern.
Archäologe sucht am Massengrab von Lützen nach historischen Schätzen
Derzeit ist der gefrorene Boden hinderlich, so dass der 37-Jährige Schreibtischarbeit am Laptop im Auto erledigt, bis er mit dem Spaten in die Erde eindringen kann. Was er findet? Kugeln, Reitersporen Pfeifenabdeckungen, Knöpfe und Fingerhüte. „Denn die Soldaten haben abends ihre löchrige Kleidung selbst geflickt“, sagt er. Sein Detektor spricht auf Silber, Gold, Kupfer und Eisen bis in eine Tiefe von 30 Zentimetern an.
Sogar Schrott aus DDR-Zeiten findet sich, der hier illegal entsorgt worden ist, und außerdem mancher Abfall von Besuchern der Gedenkstätte.
Feldsuche des Archäologen hat nichts mit Grabräuberei zu tun
Für Wollenweber ist eine Geldmünze aus der DDR genauso wichtig wie ein Fundstück, das 200 oder 400 Jahre alt ist. Und der Experte ordnet seine Arbeit ein: Sie sei mitnichten mit der illegalen Sondengängerei zu vergleichen. Denn die Untersuchung eines solchen künftigen Baugeländes ist ein Dienst für die Wissenschaft.
Es würden eben nicht nur Funde gesammelt, sondern die Stellen eingemessen und alles in eine Karte eingetragen. Das lässt bei der wissenschaftlichen Auswertung im Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Rückschlüsse auf das Geschehen auf dem Schlachtfeld und den Kampfverlauf zu.
Schlachtfeld von Lützen: Viele Fundstücke stammen von Napoleons Armee
An die 100 Funde hat der Archäologe auf diesem Teil des Schlachtfeldes von 1632 bisher entdeckt. Auch wenn demnächst Baumstubben gezogen werden und irgendwann der Aushub für das Fundament erfolgt, werden er oder Kollegen von ihm vor Ort sein.
Fakt ist übrigens, dass viele Dinge nichts mit der Schlacht vor fast 386 Jahren zu tun haben, sondern von Franzosen stammen. Denn an dieser Stelle hat Napoleon vor der Schlacht von Großgörschen 1813 sein Biwak aufgeschlagen.
Grabungen bei Lützen: Auch der schwedische König starb hier
René Wollenweber kennt das Terrain aus dem Effeff, zeigt auf den Weg zwischen der kleinen Gartenanlage und dem Martzschpark. Dort verlief mit der Via Regia die einstige Handelsstraße.
Links der Straße, etwa 300 Meter in Richtung Nempitz gelegen, starb Schwedenkönig Gustav II. Adolf. Genau zwischen einer Erhebung, die mal eine Flakstellung gewesen sein soll, und einer bewaldeten kleinen Fläche.
Sie markiert eine Wüstung, einen einst bewohnten Ort. „Das ist hier seit der Steinzeit altes Siedlungsgebiet“, sagt der Archäologe. Und wie wichtig Funde wie Geldstücke aus der DDR-Zeit sind? Sie lassen in einigen Jahrzehnten einen Blick auf 40 Jahre eines Teils deutscher Historie zu. „Das macht angesichts der langen Menschheitsgeschichte auch deutlich, wie wenig Raum diese Zeit in ihr einnimmt.“
Massengrab bei Lützen als Anti-Kriegsdenkmal
Was er von dem Neubau für ein Massengrab hält? René Wollenweber holt etwas aus, spricht von Grabungen auf dem Schlachtfeld von 1806 bei Hassenhausen. Hier habe er die Einfassung samt Linsen eines Fernglases entdeckt. Laut Wollenweber gelang in diesem Fall sogar die Zuordnung zum Besitzer. Denn von Carl Wilhelm Ferdinand, Herzog von Braunschweig, dem Oberbefehlshaber der preußischen Armee, wusste man genau, wo er gefallen war.
Aber das seien die Eliten, Namen von Heerführern, die mit Schlachten immer in Verbindung gebracht werden. In Lützen aber wird Dutzenden von Soldaten ein Denkmal gesetzt, die Geschichte der kleinen Leute erzählt. Die Toten wurden damals von Soldaten und Bevölkerung ausgeplündert und landeten meist nackt in der Grube. Ob sie gern Soldat waren?
Wer weiß das schon, aber Wollenweber verweist darauf, dass es für die meisten angesichts von Krieg und damit verbundenem Elend die einzige Chance war, sich und die Familie zu ernähren. Damit wird es gleichzeitig ein Antikriegsdenkmal. Und für Lützen ist das Grab ein sogenanntes Alleinstellungsmerkmal und eine Chance, auf diese Weise vom Tourismus zu profitieren.
Für den Archäologen sind vor allem neue Erkenntisse ein Ansporn
René Wollenweber sagt, dass er nie etwas anderes machen wollte, seitdem er Geschichte als Unterrichtsfach hatte. Für den studierten Ur- und Frühgeschichtler sind Archäologie und Bodendenkmalpflege Felder, die zu neuen Erkenntnissen führen.
Manche werden bei den Ausgrabungen bestätigt, andere Ergebnisse werfen ein neues Licht auf das Geschehene. Das könnte auch in Lützen so sein, wenn die Funde ausgewertet sind.
Eine Arbeit wie hier ist für ihn wie ein Rettungseinsatz. Da ist es ihm letztlich egal, ob er jungsteinzeitliche Siedlungen von vor 7.500 Jahren samt Brunnen und Gräbern freilegt oder - wie in Hassenhausen und Lützen - Schlachtfeldarchäologie betreibt. Am Ende zählt nur der Erkenntnisgewinn. (mz)
