Glocken in der Wenzelskirche Glocken in der Wenzelskirche: Größte Bronze wird mit Scan-Technik erfasst
Naumburg - Das Gerät in der Hand von Ramon Spiller erinnert in seiner Form an ein Bügeleisen. „Ja, das meinen viele, wenn sie es sehen“, sagt der Teamleiter Vertrieb der in Stuttgart ansässigen Firma „algona“ schmunzelnd. Doch weder würde Hausfrau oder -mann mit diesem Apparat die Wäsche in Form bringen können, noch verdient der junge Mann sein Geld mit dem Verkauf von Bügeleisen. Er ist vielmehr Experte in der Technik für dreidimensionale Scans. Vielfältig sei sein Einsatzgebiet, das von der Medizin bis hin zum Gussbau reicht. Er habe auch schon für die Polizei gearbeitet, in der Archäologie finde die Scan-Technik ebenfalls Verwendung, erzählt er weiter. „Doch dies hier ist ein besonderes Objekt“, sagt er, nur wenige Meter entfernt von der größten Glocke der Naumburger Wenzelskirche stehend.
Forschung zur Tradition
Der Freiberger Hilliger-Verein hat ihn an die Saale gerufen. Martin Hilliger (1484-1544) heißt auch jener Gießer, der vor 500 Jahren, im Jahr 1518, drei der insgesamt sechs Glocken der Wenzelskirche schuf. Der Verein, 2014 gegründet, beschäftigt sich mit der Geschichte und Herstellung von Glocken, konkret mit der renommierten Gießer-Familie. „Mit dem Scan wollen wir die historische Kontur der Glocke aufnehmen. Sie ist entscheidend für den Klang“, berichtet Vorsitzender Volker Haupt, der mit weiteren Mitgliedern nach Naumburg gekommen ist. Zugleich dient das Zusammentreffen am Dreiergeläut als eine Art Produktpräsentation, die Technik des Unternehmens und ihre Möglichkeiten in Augenschein zu nehmen. „Wir überlegen, uns die Scan-Technik als Verein anzuschaffen“, erklärt Haupt weiter.
Diese mehrstündige Prozedur verfolgen auch zwei Glockensachverständige: Andreas Philipp und Christoph Schulz; der eine ist im Dienst der Landeskirche Hannover, der andere für die Evangelische Kirche in Mitteldeutschland tätig. Für beide bietet sich die Gelegenheit, gemeinsam mit den Mitgliedern des Hilliger-Vereins zu fachsimpeln. „Wir sind ja eine rare Spezies“, sagt Philipp. Aber natürlich wird dabei auch über die Glocken im Wenzelsturm gesprochen. „Sie zählen zu meinen Lieblingsglocken“, meint Schulz, der Tausende in Mitteldeutschland kennt.
Nicht eingeschmolzen
Was sie von anderen ihrer Art vor allem unterscheidet: Alle drei bilden zusammen einen Dur-Dreiklang und gelten als das einzige vollständig erhaltene mittelalterliche Geläut von einem Meister aus einem Guss in Mitteldeutschland. Während beider Weltkriege waren sie vor dem Einschmelzen verschont geblieben. Obwohl seit ihrer Entstehung ein halbes Jahrtausend vergangen ist, gibt es noch Fragen. „Unter anderem jene, warum sich die Stadt Naumburg nach dem verheerenden Stadtbrand 1517 für das Gießen neuer Glocken damals an das Freiberger Unternehmen gewandt hatte, anstatt nach Thüringen, beispielsweise nach Erfurt zu schauen“, erzählt Schulz. Sicher ist: Naumburg hatte zu jener Zeit keinen eigenen Gießer-Betrieb. „Hinzu kommt, dass es für die Stadt wohl sehr wichtig war, kurz nach dem Brand wieder drei mächtige Glocken in der Wenzelskirche zu haben. Selbst wenn sie erst vier Jahre später aufgehängt wurden“, so Schulz.