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Familientradition in Bad Bibra Familientradition in Bad Bibra: Backen im XXL-Format

Von Andreas Löffler 16.12.2018, 09:21
Bäckermeister Gerd Reichardt schiebt den 2,20 Meter langen Stollen in den Ofen. Das Gebäck im XXL-Format wird heute beim Märchenumzug in Bad Bibra für den guten Zweck verkauft.
Bäckermeister Gerd Reichardt schiebt den 2,20 Meter langen Stollen in den Ofen. Das Gebäck im XXL-Format wird heute beim Märchenumzug in Bad Bibra für den guten Zweck verkauft. Andreas Löffler

Bad Bibra - Stolze 2,20 Meter lang ist der Stollen im XXL-Format, den Bäckermeister Gerd Reichardt alljährlich für den Bad Bibraer Märchenumzug herstellt. Auch bei der 17. Auflage an diesem Sonnabend wird sein Riesen-Gebäck wieder zugunsten eines sozialen Zwecks verkauft. „Unser alter Ofen vor der Wende hätte sogar eine Stollen-Länge von fünf Metern erlaubt“, sagt der 62-Jährige schmunzelnd, als er die gut einen Zentner schwere, mit Stollen-Teig gefüllte Backform in die Hitze schiebt.

„Es macht mich glücklich“

Gerd Reichardt bezeichnet sich selbst als Bäcker mit Leib und Seele. „Es macht mich einfach glücklich, wenn ich mit meiner Hände Arbeit den Leuten jeden Tag etwas Frisches anbieten kann.“ Ohnehin war es wohl so gut wie unausweichlich, dass er beruflich in der Backstube landet, denn es galt, eine lange Familientradition fortzuführen. Ur-Urgroßvater und Gründer Otto, Urgroßvater Alfred, Opa Kurt, Vater Günter und nun Gerd als dessen Sohn: Die Bäckerei Reichardt in Bad Bibra blickt auf eine bereits 125-jährige Geschichte zurück.

Als junger Mann habe er kurzzeitig vielleicht auch mal an eine Kochlehre gedacht, sich schließlich aber gern und „familienkonform“ in Naumburg zum Konditor ausbilden lassen. Zum 1. Januar 1979 - es steht also in Kürze das 40-jährige Jubiläum an - übernahm Gerd Reichardt die Bäckerei im Herzen von Bad Bibra, die gerade - für DDR-Zeiten ungewöhnlich - reprivatisiert worden war. „Als das Backkombinat in Weißenfels errichtet wurde, gingen die kleinen Bäckereien, die man zwischenzeitlich dem staatlichen Konsum-Verbund angegliedert hatte, wieder zurück in private Hände“, erinnert er sich.

Es ist sicherlich jene Frage, die ein Bäcker am häufigsten gestellt bekommt: Bei aller Leidenschaft für den Beruf - nervt das Aufstehen in aller Herrgottsfrühe nicht gewaltig? „Nein, es ist einfach bloß ein anderer Rhythmus: Ich gehe um zwei Uhr morgens runter in die Backstube und bin an Werktagen meistens gegen 12 Uhr mit der Arbeit fertig. Nach dem Essen lege ich mich für drei Stunden aufs Ohr und verbringe ab um vier, halb fünf dann noch Zeit mit meiner Familie und meinen Enkeln oder erledige Besorgungen“, sagt Gerd Reichardt.

„Abends um neun geht’s dann ins Bett. Nur montags wird es oft ein wenig später, denn da bin ich mit meinen Gefährten vom Club ’Immer solide’ beim Kegeln. Dieser Termin ist mir heilig“, sagt der Handwerksmeister, der sich gemeinsam mit Ehefrau Heidrun im - wenn auch seltenen - Urlaub vor allem für Städteziele interessiert, Istanbul beispielsweise. „London wollen wir uns auch unbedingt anschauen.“ Und wenn das Paar mal ins Kino, Konzert oder Theater gehen möchte, dann „machen wir das sonnabends“.

Lebkuchen, Pralinen und Eis

Jeden Tag aufs Neue Brot, Brötchen, Kuchen backen - ist das auf Dauer nicht ganz schön eintönig? „Absolut nicht! Schauen Sie, gerade haben wir die Adventssaison mit Plätzchen, Lebkuchen und Stollen, dann kommen Silvester und Fasching und die Pfannkuchenzeit. Zu Ostern stellen wir selbst Pralinen her. Im Sommer dreht sich viel um das Eis aus unserer eigenen Herstellung, das wir in unseren Cafés ’Piccolo’ gleich nebenan und ’An der Saline’ in Bad Kösen verkaufen“, skizziert Gerd Reichardt den facettenreichen Jahresverlauf. „Zudem liebe ich einfach die handwerkliche Arbeit: Meinen eigenen Sauerteig anzusetzen und diesen für zwölf bis 14 Stunden ruhen zu lassen, damit ein besonders voller Brotgeschmack zum Tragen kommt, oder Dominosteine auf die klassische Weise, also mit zwei Lebkuchenschichten um die Gelee-Einlage und ohne übertrieben süßes Persipan herzustellen und dann Stück für Stück mit Schokolade zu überziehen, macht mir einfach nach wie vor richtig Freude“, unterstreicht er.

Wertschätzung durch Kunden

„Und wenn dann beispielsweise ein Bad Bibraer, der nach Dortmund verzogen ist, bei einem Heimatbesuch bei mir im Laden steht und dann auf einen Schlag gleich fünf Stollen mit dem Geschmack seiner Heimat ordert, sehe ich mich bestätigt, dass es die Wertschätzung für unser traditionelles Handwerk nach wie vor gibt, jedenfalls seitens der Kunden - leider aber nicht in Sachen Berufsnachwuchs“, konstatiert Gerd Reichardt.

Seit zwei Jahrzehnten Obermeister der Bäckerinnung Querfurt-Nebra hat er selbst insgesamt 69 Lehrlinge in seinem Betrieb ausgebildet - den letzten freilich bereits vor acht Jahren. „Es wäre jammerschade, wenn das ganze Wissen von uns Handwerksbäckern, all die Kniffe und Tricks, die eben nicht im Handy oder auf Facebook stehen, sondern in unseren Köpfen verankert sind, nach und nach verschwinden würden.“ Das wäre alles andere als märchenhaft.