Ein Tag im mittelalterlichen Dom Ein Tag im mittelalterlichen Dom: Matutin, Terz und Vesper

Naumburg - Matutin, Laudes, Prim, Terz, Sext, Non, Vesper und Komplet - der Ablauf eines Tages im Naumburger Dom im Mittelalter war streng gegliedert. Und er richtete sich nach Zeitmarken, die im heutigen Sprachgebrauch - Vesper dürfte eine Ausnahme bilden - kaum noch zu finden sind. Wie aber gestaltete sich dieser Tag in der Kathedrale?
Im jüngsten Vortrag des Saale-Unstrut-Vereins für Kulturgeschichte und Naturkunde ließ Matthias Ludwig, Leiter des Domstiftsarchivs und der Dom-stiftsbibliothek Naumburg, die Besucher an einem solchen Tag teilhaben. Wobei der Historiker und Vorsitzende des Vereins wissen ließ, es habe diesen konkreten Tag so nie gegeben. Aus etlichen im Archiv und der Bibliothek noch vorhandenen Dokumenten jedoch lasse sich durchaus ein Tagesablauf rekonstruieren. „Es gibt Perioden, über die wir wenig wissen. Dann aber wieder werden die Quellen, so etwa das Totenbuch, sehr genau. Insgesamt gesehen haben wir eine Vielzahl solcher Momentaufnahmen, aus denen sich ein Bild ergibt“, so Ludwig, der sich freute, dass viele Besucher zu abendlicher Stunde in die Marienkirche gekommen waren.
Zunächst aber stellte er jene Menschen vor, die im Mittelalter im Dom und dessen Umfeld, der Domfreiheit, wirkten und lebten. An ihrer Spitze die Domherren, deren Bilder teils noch heute im Dom zu finden sind. Als niedere Geistliche und zugleich jene, die das geistliche Leben der Kathedrale prägten, waren die Vikare tätig. Ihnen standen jeweils sechs sangesbegabte Choristen aus den Reihen der Domschüler zur Seite. Außerdem versahen Organisten und Kirchendiener ihren täglichen Dienst.
Daneben gab es die Dienstleister mit Syndicus und Kämmerer, Gerichtsvogt und Kornschreiber auf der höheren Ebene sowie Türmer, Boten, Knechten, Kapitelbäcker und Koch auf der niederen. Diese Gruppe, so Ludwig, umfasste über 100 Personen.
Allerdings spielte sich das Leben nicht nur im Dom mit seiner Klausur, sondern auch in den Kurien ab, die bereits vor 1200 im Umfeld des Gotteshauses entstanden. „Die in diesen Gebäuden wohnenden Domherren gründeten eigene Hausstände mit entsprechendem Personal“, so Ludwig. Insgesamt lebten damit im Umfeld des Domes etwa 1200 Menschen. Hinzu kamen jene, die innerhalb der Kathedrale und der Klausur anzusiedeln sind.
„Wir dürfen uns den mittelalterlichen Dom nicht nur als liturgischen Ort wie zu heutiger Zeit vorstellen, hier geschahen auch viele weltliche Dinge“, schilderte der Archivar. „So zum Beispiel zur Messezeit, wenn viele Gäste in der Stadt weilten.“ So sei zu vermuten, dass in der Kathedrale auch manches Handelsgeschäft angebahnt worden ist.
Auch optisch präsentierte sich das Dominnere damals anders. Zahlreiche Grabplatten lagen auf dem Boden, über 30 Altäre waren aufgestellt. „Grob gesagt, war der Innenraum vollgestellt.“
Dann startete Ludwig mit seinem „Tag in der Kathedrale“. Wobei der mit dem Entzünden der Nachtlampe bereits nach Vesper des Vortages beginnt. Zur Nacht sperren sich Kirchendiener in den Dom ein, um Wache zu halten. Offenbar sind auch damals manch dunkle Gestalten in der Stadt unterwegs, die den Dom als Objekt ihrer Begierde im Blick haben, wie der kurz nach 1500 begangene Einbruch in die Marienkirche belegt. Dann, zu Matutin und damit noch vor Sonnenaufgang, wird das erste Stundengebet abgehalten. Und vor 6.30 Uhr beginnt am Katharinenaltar die Frühmesse. An ihr nehmen auch die niederen Chargen wie Bäcker und Knechte teil, die tagsüber arbeiten müssen. Erst nach dieser Messe darf das Frühstück eingenommen werden.
Zur Prim, die Sonne ist inzwischen aufgegangen, folgt das erste der insgesamt sieben Stundengebete. „Dabei werden die Einträge des Totenbuches verlesen. Sie schreiben vor, welche Gaben verteilt werden sollen, um eines Toten zu gedenken“, so Ludwig weiter.
Zur Terz und damit am Vormittag nimmt der gesamte Konvent an der Messe am Hauptaltar teil, anschließend findet die Prozession vom Ostchor zum Westchor statt. Danach gibt es die erste Mahlzeit, treffen sich die Domherren zum einmal wöchentlich stattfindenden Kapitel in der Kapitelstube. In dieser Zeit bereiten die Küster - das Küsterbuch ist heute ebenfalls noch vorhanden - die Kirche neu vor, wird Wachs für die Opferlichter angeliefert, leert der Stiftsbaumeister die Opferstöcke. An Arme werden Brot und in der Kapitelküche gekochte Suppe ausgereicht.
Zur Vesperzeit, am frühen Abend, kommt der Konvent zum letzten gemeinsamen Gebet im Ostchor zusammen, der mit Weihrauch erfüllt ist. Mit dem erneuten Entzünden der Totenlampe schließt sich zu Beginn der Nacht der Tageskreis.