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Dorfreport: Casekirchen Dorfreport: Casekirchen: "Schulung" statt Kneipe

Von Andreas Löffler 09.07.2019, 14:34
Auf dem Kirchberg thronend, überragt die in den Jahren 1721/22 errichtete Dorfkirche nicht nur den Ort, sondern ist auch das weithin sichtbare Wahrzeichen von Casekirchen.
Auf dem Kirchberg thronend, überragt die in den Jahren 1721/22 errichtete Dorfkirche nicht nur den Ort, sondern ist auch das weithin sichtbare Wahrzeichen von Casekirchen. Andreas Löffler

Casekirchen - Also erfindungsreich und mit einem feinem Humor ausgestattet sind die Einwohner Casekirchens auf alle Fälle: Wo man sich anderenorts bei den Lieben zu Hause immer so ein wenig in Verteidigungshaltung zum Kneipengang abmeldet, können die Casekirchener bei gleicher Gelegenheit stets ein fröhliches „Ich gehe zur Schulung!“ ausrufen - und haben sogar recht damit, denn: Nachdem das Dorfgasthaus schon vor Jahren dichtmachte, trifft man sich heute jede Woche freitags im Gemeindehaus - der früheren Schule.
Eine weitere kreative Idee in Sachen Geselligkeit ging, vor neun Jahren schon, auf das Konto der jungen Erwachsenen im Ort - der so genannte „Heilig Frühschoppen“. „Wir Heranwachsende hatten uns damals am Vormittag des Heiligabends mit einem Kasten Bier zum Klönen verabredet. Ein Jahr später wurde noch ein Grill dazugestellt, im dritten Jahr dann schon Gulasch gekocht. Mittlerweile kommen 60 Leute“, schildert der heute 27-jährige Manuel Willem. Der Webentwickler betreut ehrenamtlich auch die Dorf-Homepage www.casekirchen.eu - auf der aktuell schon kräftig für das mit Abstand größte Event im knapp 20 Autominuten südlich von Naumburg gelegenen 120-Einwohner Ort geworben wird.

1000-Jahrjubiläum groß gefeiert

Die Rede ist vom Casekirchener Sommerfest, das stets am zweiten Juliwochenende im Jahr stattfindet und dessen Tradition bis 1977 zurückreicht - das Jahr von Casekirchens 1000-Jahres-Jubiläum. „Das wurde seinerzeit richtig groß aufgezogen. Vorn ins Festzelt rein und hinten wieder raus - so riesig war der Andrang“, erinnert sich Heidelinde Schindler, die seit gut einem halben Jahrhundert im Ort wohnt. „Und weil die Feier so gut ankam und es seinerzeit weit und breit nur wenige solcher dörflichen Feste gab, haben wir daraus eben eine Tradition gemacht“, ergänzt die 73-Jährige vergnügt.

Auch in diesem Jahr, konkret vom 11. bis 14. Juli, wird im Festzelt und auf dem Tanzplatz wieder jede Menge geboten - vom Politisch-satirischen Kabarett mit Erik Lehmann am Freitagabend über die samstägliche Rock’n-Roll-Party mit „Blue Life“ bis hin zum traditionellen Frühschoppen mit Musik von „Salon Pernod“ am Sonntag. Dazu gibt es Kuchenbasar, Quiz, Spiele, Kutschfahrten, Kinderschminken, Preisschießen sowie -kegeln und vieles mehr. Das Privileg, das Dorffest am Donnerstagabend zu eröffnen, bleibt Thea Pecker und ihren Schützlingen vorbehalten. Dann werden der von der pensionierten Musik- und Deutschlehrerin geleitete 17-köpfige Dorfchor und das stolze sieben Steppkes zählende Casekirchener Kinderensemble ein Sommerkonzert mit einem bunten Repertoire von Volkslied bis Gospel und von Schlager bis Musical darbieten.

Thea Pecker, die ihr Arbeitsleben in Elsterwerda verbrachte, ist mit dem Eintritt in den Ruhestand im Jahr 2011 nach Casekirchen gezogen - und damit dorthin, wo sie dereinst bei ihren Großeltern unbeschwerte Ferienaufenthalte voller Abenteuer und Erlebnisse verbrachte und wo - bereits seit 1979 - auch ihre Schwester Regine Illichmann zu Hause ist. Gleichwohl sie „nur“ eine Zugezogene ist, hat sich die 67-jährige Pecker in den zurückliegenden Jahren in vielerlei Hinsicht um Casekirchens Gemeinschaftsleben verdient gemacht - nicht bloß als „Generalmusikdirektorin“ des Dorfes, wie man sie augenzwinkernd titulieren könnte, sondern ganz maßgeblich auch als Mitglied und heutige Vorsitzende des bereits 2008 gegründeten Fördervereins für Kultur, Kirchen- und Denkmalpflege Aue /Casekirchen.

Die größten Erfolge des ehrenamtlichen Zusammenschlusses waren bislang die umfassende, 2012 abgeschlossene Restaurierung der Dorfkirche - des auf einer Anhöhe stehenden, weithin sichtbaren Wahrzeichens von Casekirchen - und der dort befindlichen Gerhard-Orgel. Das generalüberholte Instrument wurde am Reformationstag im vorigen Jahr feierlich neu eingeweiht.

Backofenfest ins Leben gerufen

Um für die Projekte des Vereins Spenden zu sammeln, riefen Thea Pecker und ihre Mitstreiter - Stichwort Erfindungsreichtum! - das so genannte Backofenfest an Himmelfahrt ins Leben, das dieses Jahr mit Auflage Nummer fünf bereits ein kleines Jubiläum feierte. „Anfangs war das gemeinsame Backen eher etwas Internes in unserer privaten Nachbarschaft, doch schnell wuchs der Kreis der Teilnehmer auf 30 und mehr an“, schildert Regine Illichmann. Heute ist zu dem Event praktisch der ganze Ort auf den Beinen, werden blecheweise vorbereitete Kuchenteige zum altehrwürdigen, mit Holz befeuerten Backofen gebracht und dort durchgebacken.

Bei Sommer- sowie Backofenfest, Osterfeuer, Maibaumsetzen, Frühjahrsputz und Weihnachtsmarkt in Casekirchen immer ganz tatkräftig mit dabei ist der - so die offizielle Bezeichnung - „Casekirch’ner Dorfclub e. V.“, in welchem sich die Ortsansässigen teilweise sogar „ganz in Familie“ engagieren. Ein Beispiel: Andrea Willem war 1992 federführend dabei, die etwas eingeschlafenen Aktivitäten des zur 1000-Jahr-Feier ins Leben gerufenen Dorfclubs wieder anzukurbeln; Sohn Manuel gehört heute zum Vorstand.

Beim Stichwort Familie weist Andrea Willem auf ein in Casekirchen nach wie vor weit verbreitetes Phänomen hin: „Viele der Gehöfte befinden sich bereits seit Jahrhunderten im Besitz ein und derselben Familie und sind von Generation von Generation weitergegeben worden - so wie auch in unserem Fall“, berichtet die 49-Jährige, die als Kinderkrankenschwester im thüringischen Eisenberg arbeitet - und exakt einen Tag nach dem Sommerfest ihren „50.“ begeht. „Da kommen wir aus dem Feiern gar nicht mehr raus“, sagt sie lachend.

Ein weiterer lustiger Fakt: Die Hausnummern im Dorf gehen gewissermaßen kreuz und quer: „Da die Zahlen chronologisch nach dem Zeitpunkt des Hausbaus vergeben wurden, können meinetwegen die Anschriften Casekirchen 10 und Casekirchen 22 unmittelbar nebeneinander liegen“, verrät Andrea Willem. Wenn jetzt auch nicht unbedingt lustig, aber allemal überraschend und bemerkenswert ist, dass es in Casekrichen zwar keine Einkaufs- oder Versorgungsmöglichkeiten wie Bäcker und Fleischer sowie eine nur sporadische Busanbindung gibt - dafür freilich eine eigene Arztpraxis! Dieser besondere Umstand, der natürlich gerade den älteren, nicht mehr so mobilen Dorfbewohnern Vorteile bringt, verdankt sich einer speziellen Historie. „Ab Mitte der 1950-er Jahre war hier ein großes Landambulatorium beheimatet, mit Allgemein- und Zahnmedizinern und sogar einer Mütterberatung“, gibt Heidelinde Schindler zu Protokoll. Ab 1981 praktizierte dann gut drei Jahrzehnte lang Dr. Karin Erfurth im Dorf, ehe diese sich 2013 zur Ruhe setzte und die Praxis als „Außenstelle Casekirchen“ dem Medizinischen Versorgungszentrum (MVZ) Dreiländereck angegliedert wurde. „Seitdem geht es hier ziemlich international zu“, berichtet Arzthelferin Annelies Preußer, die seit 1987 vor Ort tätig ist, mit einem Schmunzeln.

Nach zwei Medizinern aus Ungarn ist jetzt ein ursprünglich aus Peru stammender Arzt mit dem klangvollen Namen Dr. Pavel Igor Montes de Oca Arce ihr Chef. Der 45-Jährige komme bei den Patienten ebenfalls gut an, sagt Preußer, ehe sie bei Dorfbewohnerin Marion Löffler den Blutdruck misst. Ganz besonders gern denkt die Schwester an „unseren Professor“ zurück: Der eigentlich bereits pensionierte Prof. Dr. Gerhard Garweg aus Hamburg hatte die Praxis 2005/06 vertretungsweise für die erkrankte Karin Erfurth geführt. „Der war noch richtig alte Schule, mit formvollendeten Manieren, und nahm sich pro Patient bis zu anderthalb Stunden Zeit.“