Dorfreport Dorfreport: Als es nur ein Telefon gab

Großjena - Ratternd und knatternd bewegt sich die Burgenlandbahn von Naumburg Richtung Wangen. Ein stetes Vibrieren begleitet die Mitfahrenden. Nach wenigen Minuten erreicht die Bahn Kleinjena. Die hiesige Station samt Empfangsgebäude wurde mit dem Bau der Unstrut-Bahn 1889 eingeweiht, informiert eine Schautafel vor Ort, und verfügt über einen Dienstraum mit Fahrkartenverkauf, einen Warteraum sowie Wohnraum für Bahnmitarbeiter. Im Dienstraum sitzt jetzt eine Frau mit kurzem blonden Haar und Brille. Die Bahnmitarbeiterin bedient die Schrankenanlage, welche im geschlossenen Zustand den Verkehr im gesamten Kreuzungsbereich der Bundesstraße 180 und der Ortsverbindung zum Nachbardorf Großjena sperrt.
Die Bahnstation liegt am Rande des Ortes, in dem heute 267 Menschen leben. Der Weg nach Kleinjena hinein führt an einem großen gelbgestrichenen Gebäude vorbei. Davor wurde dekorativ ein großer alter Heuwagen in Szene gesetzt. Das „Alm Gaudi“ ist die derzeit jüngste Institution im Ort und wird seit dem 3. Dezember 2016 von Marco Maaß betrieben. Hier finden große Partys und Veranstaltungen statt, die ein vorwiegend junges Publikum im Umkreis von 30 bis 50 Kilometer anziehen. Im dahinterliegenden Anbau betreibt der Hallenser als zweites Standbein eine Pension. Im Sommer stehen Kurzurlaubern, Radwanderern und Motorradgruppen 13 Zimmer mit 19 Doppelbetten zur Verfügung. Seit dem 1. April 2017 gehört auch der Gasthof „Zum Fäßchen“ in der Friedrich-Schulze-Straße 6 zur Unternehmensgesellschaft des Zugezogenen. „Die Betreiberin hatte die Einrichtung aus wirtschaftlichen Gründen aufgegeben“, berichtet Maaß.
Kaffee im „Grünen Tal“
Das Gebäude, in dem das „Alm Gaudi“ untergebracht ist, wurde im Herbst 1868 als Gasthof „Zum grünen Tal“ erbaut. Günstig dafür war der stärker und regelmäßiger werdende Verkehr zwischen Freyburg und Naumburg. Die neuen Räumlichkeiten wurden schnell und dankbar angenommen. Es gab gutes Essen, Kaffee, Bier und im Sommer konnten die Gäste im schattigen Garten verweilen.
Der Saal in der oberen Etage wurde für Tanzveranstaltungen und Vereinsfeste genutzt. Zu DDR-Zeiten befanden sich im Gasthof außerdem ein Konsum und die Post mit dem einzigen Telefon im Ort. Im Februar des Jahres 1989 wurde angebaut. Ein großer Saal und eine zentrale Küche wurden eingerichtet, um die Mitarbeitenden der Agrargenossenschaft mit Mittagessen zu versorgen.
Vorbei am ehemaligen Gasthof „Zum grünen Tal“ gelangt man auf die Friedrich-Schulze-Straße. Rechter Hand des Weges stehen alte Bauernhöfe, die von ihren Besitzern heute vornehmlich als Wohnraum genutzt werden. „Kleinjena ist ein von der Landwirtschaft geprägtes Dorf“, erklärt Ortsbürgermeister Jürgen Spielberg.
Die Bausubstanz stammt größtenteils aus dem 18. und 19. Jahrhundert. Die den Ortskern prägenden Hofanlagen werden teils durch aufwendige Toreinfahrten und Scheunen geprägt. „Markant ist auch, dass Kleinjena quasi aus zwei Dörfern besteht – dem Kerndorf und dem Neubaugebiet Fuchslöcher“, fügt Spielberg hinzu. Ursache dafür sei ein Grundstück zwischen den beiden Gebieten, dass sich in Privatbesitz befindet und für eine räumliche Trennung sorgt. Der Wunsch, die Lücke irgendwann architektonisch zu schließen, ist vorhanden, versichert der Bürgermeister. Aber auch der Kontakt zwischen den Zugezogenen in der neuen Siedlung und den Alteingesessenen ist verhalten. „Das Neubaugebiet Fuchslöcher ist wie ein Dorf für sich; da kennen wir die meisten gar nicht“, bedauert beispielsweise Hans Kettner vom Rumpelstilzchen-Verein.
Links der Hauptstraße befindet sich der Anger - eine große freie Fläche mit Festwiese, Kinderspiel- und Fußballplatz. Am Rande des Geländes betreibt der Verein Rumpelstilzchen ein Backhaus, das im Frühsommer 2003 in Betrieb genommen wurde. In dem ehemaligen Transformator-Häuschen werden Projekttage zum Brotbacken angeboten. Zwei Öfen aus Schamottsteinen – je 1,5 Meter tief, 1,7 Meter breit und mit jeweils zwei Etagen – stehen zur Verfügung. Hans Kettner, Vorsitzender des „Rumpelstilzchens“: „Wir haben hier unlängst Christstollen auf unserem Knuspermarkt gebacken, der immer eine Woche vor dem ersten Adventswochenende stattfindet“. Die am 6. Januar 2001 gegründete Vereinigung ist mit ihren 24 Mitgliedern neben der Freiwilligen Feuerwehr der einzige ortsansässige Verein in Kleinjena. „Wir sorgen mit dem Projekt für Attraktivität im Ort – sonst gibt es ja fast nichts“, so Kettner, der 1976 aus Freyburg übersiedelte.
Alte Bauernhöfe
Schräg gegenüber vom Backhaus befindet sich das wohl untypischste Haus Kleinjenas. Die Fassade des Fachwerkhauses ist auffällig in den Farben Orange und Tannengrün gehalten, aus Holz gefertigte Figuren zieren die Balken. Der alte Bauernhof in der Friedrich-Schulze-Straße 13 wurde 2000 von dem Paar Jürgen und Renate Cohnen gekauft und grundsaniert. ohnen, der als freischaffender Künstler Schiffsbilder, Galionsfiguren, Restaurantschilder und dergleichen mehr fertigte, um sie an seine Kunden aus aller Welt zu verkaufen, setzte sein kreatives und handwerkliches Potenzial auch beim Wiederaufbau des alten Gehöfts ein. „Die Fassade, jede Tür, alle Dachbalken, den Treppenaufgang hat er erneuert – wir haben alles selbst gemacht“, erinnert sich die fast 80-jährige Renate Cohnen an die vergangenen Jahre.
Wer sich hingegen für einen ortstypischen Bauernhof interessiert, sollte einen Abstecher in den Birkenweg machen. Hinter dem hohen Tor von Nummer zehn verbirgt sich ein großer Hof mit Fachwerkhaus samt Laubengang und Scheune. Dabei soll es sich um den ältesten Bauernhof Kleinjenas handeln. Die hier ansässige Familie Förtsch nennt einen kleinen Schatz ihr Eigen: Sie ist im Besitz der originalen Hauschronik der Hofanlage, deren Aufzeichnungen bereits in den 1580er Jahren beginnen.
Noch neun Jahre im Dienst
Nebenan - im Birkenweg 3 - unterhält Reinhard Gutte eine Arztpraxis in der ehemaligen Schule. Der aus Helbra bei Eisleben stammende Facharzt für Kinderheilkunde, praktizierende Allgemeinmediziner und Arzt für Naturheilverfahren ließ sich mit seiner Familie vor 32 Jahren im Dorf nieder. Wie viele hier schätzt er das Landleben in Stadtnähe. „Momentan wird die Versorgung in Naumburg zu 110 Prozent abgedeckt“, verrät Gutte im Gespräch.
Doch neu Zugezogene hätten zunehmend Schwierigkeiten, einen Arzt zu finden, denn viele nähmen keine neue Patienten mehr auf. Das Problem werde sich in den nächsten zehn Jahren verschärfen, vermutet er. Dann werden sich 50 Prozent der heute praktizierenden Ärzte in den Ruhestand begeben. Gutte selbst will seine Praxis noch neun weitere Jahre betreiben. Einen Nachfolger werde er nicht suchen und die Praxis zu gegebener Zeit einfach schließen.
Tagesstätte ist ausgebucht
Alles andere als düster sieht die Prognose hingegen für den neu gebauten Kindergarten in der Straße Unter den Hassenbergen aus. Mit EU-Mitteln finanziert, öffnete die Max-Klinger-Kita im August 2015 direkt neben der gleichnamigen Grundschule ihre Pforten. Unter der Leitung von Karin Bänsch werden hier 120 Kinder von 14 Mitarbeiterinnen betreut. Die Hälfte davon sind Hortkinder. Das Konzept sieht vor, dass Kinder im Alter von Null bis zum Übergang in die fünfte Klasse am selben Ort bleiben und betreut werden. Karin Bänsch freut sich, dass die Idee aufgeht: „Momentan ist die Kita ausgebucht, freie Kapazitäten gibt es erst wieder 2019“.
Kleinjena kämpft wie viele Dörfer mit den unterschiedlichen Problemen dieser Zeit. Die Nähe zur Stadt und die idyllische Umgebung machen den Ort attraktiv für Bewohner und Besucher. Trotzdem gibt es Stimmen, die sagen, dass es im Ort stiller geworden und die Dorfgemeinschaft zerfallen ist. Der Wunsch nach mehr Miteinander ist groß. Man kann nur wünschen, dass die Bewohner einen Weg finden, mehr Solidarität und Gemeinschaft im Alltagsleben zu verankern.




