Bundestagswahl Bundestagswahl: Sehnsucht nach Beständigkeit
Halle/MZ. - "Der August ist der Schmerzmonat, da geht gar nichts mehr." Gustav Schenk stöhnt ein wenig, bevor er wieder gewinnend lächelt. "Die ein Auto wollen, kaufen vor dem Urlaub. Und nach dem Urlaub hat niemand mehr Geld." Ein bisschen Werkstatt-Service, mehr läuft derzeit nicht. Aber was ist mit dem Mehrwertsteuer-Kaufboom, bevor Angela Merkel Kanzlerin wird? Da kann der hallesche Skoda-Händler nur milde schmunzeln. Derzeit sei "tote Hose".
Es ist natürlich nicht so, dass es ihm schlecht geht. Der 55-Jährige hat 30 Angestellte in zwei Filialen. Im April 1990 machte sich der Finanzökonom selbständig, verkaufte gebrauchte Westautos, bevor er vier Jahre später zum Markenhändler avancierte. "Aber jedes Jahr ist es schlechter geworden", bilanziert der Hallenser im Rückblick. Entlassen hat er nie.
Nun, da sich Angela Merkel anschickt, als Kanzlerkandidatin der Union die Bundestagswahl zu gewinnen, hofft auch Schenk, dass es einen Regierungswechsel gibt. "Das wäre für mich als Mittelständler psychologisch sehr wichtig." Aber ist Angela Merkel alleiniger Garant für einen Wahlsieg? Und das im Osten?
Obwohl Autohändler Schenk bekennender Konservativer ist, könnte er sich eine große Koalition vorstellen. Denn Schenk mag es nicht mehr, dieses Parteiengezerre und Postengepoker. Was er möchte nach 15 Jahren Einheit, ist eine "Koalition der Vernunft", damit jenseits der Tageshektik endlich einmal Politik aus einem Guss gemacht wird. Nach all den Veränderungen spürt Gustav Schenk eine Sehnsucht nach Beständigkeit.
Genau die könnte das Problem von Angela Merkel, der Kanzlerkandidatin, werden. Aus der Angst der Ostdeutschen vor dem Wandel muss sie fürchten, dass sie die Wahl im Osten nicht gewinnen, wohl aber verlieren kann. "Ich weiß nicht, was sie denkt, ich komme in ihre Gedankenwelt nicht rein", sagt der sich als politischer Schauspieler begreifende "Tatort"-Kommissar Peter Sodann der MZ. Eine Ostdeutsche im klassischen Sinne sei sie für ihn nicht.
Andere nennen Gründe. Zwar findet sie beeindruckend, wie sich Angela Merkel in der Spendenaffäre der Union für Aufklärung einsetzte. "Bei mir war der Einschnitt aber die Kriegszustimmung", sagt beispielsweise Ute Konrad. Die 51-jährige Diplom-Ingenieurin aus Halle, seit 1991 mit einigen ABM-Unterbrechungen arbeitslos, ist erst zu jeder Friedenskundgebung und dann zu jeder Anti-Hartz-Demo gegangen. Sie hat Otmar Schreiner von der SPD und Petra Pau von der PDS zugehört. Forderungen, Hoffnungen, Versprechungen wurden da artikuliert. "Wenn jetzt Frau Merkel an die Macht käme", ist sich die Mutter dreier Kinder sicher, "dann ändert sich wieder alles." Und besser, so fürchtet sie, wird es wohl nicht. Erst diese Woche hatte Ute Konrad wieder mal ein Angebot im Kasten. Per Ein-Euro-Job soll sie im Saalkreis ganztätig Kinder betreuen.
Von einer "Wechselbereitschaft in meinem gesamten Bekanntenkreis" spricht Christoph Hoffmann. Der 63-jährige Hallenser, pensionierter Leiter eines Gymnasiums, sieht einen deutlichen Vorteil Merkels darin, dass sie Ostdeutsche ist. "Sie kennt Vorgänge aus Vergangenheit und Gegenwart einfach besser", räumt er ein. Richtig sei aber auch, dass sie im Osten "nicht so gut ankommt". "Das liegt", ist sich Hoffmann sicher, "an ihrer Ausstrahlung und an ihrer Rhetorik". Und so würden die oft guten Argumente von ihr in der Öffentlichkeit kaum noch wahrgenommen werden.
Angela Merkel und der Osten. Für die einen ist sie ein Reizwort, für die anderen die Hoffnung an sich. Für Steven Otto jedenfalls, einen 28-jährigen Studenten der Betriebswirtschaft aus Sangerhausen, verkörper sie den Neuanfang. Spontan hat er sich deshalb im Internet auf der Unterstützer-Seite "Jugend für Merkel" eingetragen.
Die Kanzlerkandidatin als Problem? Das versteht Otto nicht. "Das Problem im Osten ist mit Sicherheit nicht Angela Merkel", ist er sich sicher. "Vielleicht haben die Leute einfach das Vertrauen in die Politik verloren." Betriebswirtschaftler Steven Otto hat seine eigene Vision. Der Osten hat seit 15 Jahren den Wandel vorgelebt: "Warum soll das nicht für ganz Deutschland taugen?"