Autobahn 38 in Thüringen Autobahn 38 in Thüringen: Zwischen Freude und Furcht
Eisleben/MZ. - Ulrich Günther erinnert sich mit Grauen an frühere Jahre. An viele Fahrten, die er als Betriebsleiter des Fruchtsaftherstellers "Beckers Bester" von Eisleben zum Firmenstammsitz Lütgenrode nahe Göttingen (Niedersachsen) zurücklegte. Ein Gezuckel über die Bundesstraßen 80 und 243. "Viele Ortschaften, etliche Kurven und auf der B 243 viele Lkw unterwegs", erinnert er sich. Wenn er bis zu dreimal pro Woche zum Firmensitz nach Niedersachsen musste, gingen allein für eine Tour dreieinhalb Stunden drauf. "Heute schaffe ich die Strecke in gut anderthalb Stunden", sagt er. In ein paar Jahren vielleicht in weniger als einer Stunde.
Günther freut das nicht nur persönlich. Jährlich wechseln rund 20 000 Tonnen Material per Lkw zwischen beiden Standorten. Obst wird geliefert - aber nicht nur wegen dessen Verderblichkeit ist Zeit Geld. Die schnelleren Wege, die der schrittweise Ausbau der Autobahn in den vergangenen Jahren mit sich brachten, haben finanziell ebenso kontinuierlich die gestiegenen Spritpreise und Mautgebühren wieder ausgeglichen. "Durch die Infrastruktur mit der A 14, der A 38 und strategisch der A 71 wird der Standort Eisleben sicherer", sagt Günther. Und hofft, dass auch das Stück A 38 bis Halle bald realisiert wird. "Dann rückt Sachsen noch ein Stück näher." Dort sitzen Kunden und weitere Lieferanten.
Umsatz in Roßla kleiner
Ein Wirtschafts-Glück, von dem Tankstellen-Pächter Horst Schneck auf der B 80 in Roßla (Kreis Sangerhausen) derzeit nur noch träumen kann. Dabei hatte der Autobahnbau ihm zunächst gute Bilanzen beschert. "Als die A 38 von Eisleben aus in Roßla endete, hatten wir hier einen richtigen Aufschwung", erinnert er sich. Missen will er den schnellen Verkehrsweg, der die Infrastruktur der Region stärkt, nicht. Aber: Seit der Freigabe der folgenden Teilstücke in Richtung Thüringen fehlt der Durchgangsverkehr im Ort. "Um ein gutes Drittel ist unser Umsatz seitdem zurückgegangen", erklärt der 56-Jährige. Heute ist ein Großteil derer, die er und Kollegin Roswitha Dzialas bedienen, Stammkundschaft.
Ruhe freut Bennungen
Des einen Leid, des anderen Freud: Nur wenige Kilometer entfernt genießen die Betreuerinnen der Kindertagesstätte "Pfiffikus" in Bennungen die Ruhe, die die Autobahn der B 80 bescherte. 52 Mädchen und Jungen werden in der Kita betreut. Mit ihnen einfach mal die Straßenseite zu wechseln, "hätten wir früher nie gewagt", sagt Erzieherin Ute Fricke. Wenn, dann nur mit dem Umweg über eine Ampel weiter im Ortszentrum. "Aber früher waren die Autofahrer hier oft so im Stress, dass manche selbst bei Gelb oder Rot noch weitergefahren sind." Heute ist die Ortsdurchfahrt beinahe ruhig - und der Kindergarten kann auch die Fenster zur Straße wieder öffnen, ohne im Autolärm unterzugehen.
Sollstedt gespalten
Autolärm ist es dagegen, der Rentner Manfred Wolf im thüringischen Sollstedt Sorgen macht. Während der ganze Ort die für 2009 geplante Fertigstellung des letzten zwischen Niedersachsen und Sachsen-Anhalt noch fehlenden Teilstücks zwischen Breitenworbis und Bleicherode herbeisehnt, gehört er zu den Verlierern des Autobahnbaus. Mit 23 weiteren Familien lebt der ehemalige Bergmann am Ortsrand an einem Kali-Schacht. Idyllisch ruhig, ohne Durchgangsverkehr. Nur früher fuhren hier zweimal am Tag die Busse, die Bergleute zur Arbeit brachten.
Jetzt soll zehn Meter neben dem letzten von sechs Häusern eine Autobahnbrücke gebaut werden. "Hier oben freut sich keiner darüber. Wohnvergnügen wird es nicht mehr geben", befürchtet er, der seit 1962 in einem der Gebäude mit den anliegenden Gärten lebt. Dass dem Ort selbst ein Durchgangsverkehr von 8 000 Fahrzeugen täglich erspart werden wird, tröstet da nur wenig. Zumal die 24 Familien während des Brückenbaus für rund acht Wochen in ein Hotel sollen, um dem Lärm der Bohrungen nicht ausgesetzt zu sein. Wolf hat nur eine Hoffnung: "Wenn die Brücke wirklich 30 Meter hoch ist, wird es später vielleicht doch nicht so schlimm mit dem Lärm."