Augenärztin Großwendt in Halle Augenärztin Großwendt in Halle: Patienten im Sieben-Minuten-Takt

Halle (Saale) - Es ist zehn vor acht, vor der Tür steht die erste Patientin. Und drinnen - wird noch geputzt. Heike Schmidt und Maria Hoffmann, beide Arzthelferinnen, flitzen mit Eimer und Lappen durch die Augenarztpraxis in Halles Zentrum. „Früh müssen Tische und Geräte gereinigt werden, alles, womit der Patient Kontakt hat“, sagt Schmidt und beeilt sich. In zehn Minuten ist Praxisbeginn bei Augenärztin Cornelia Großwendt.
Es wird ein langer Tag, wie ein Blick auf die Liste an der Rezeption zeigt. Im Sieben-Minuten-Rhythmus sind Patienten eingetragen, 49 bis zum späten Nachmittag. Kurz nach Beginn der Sprechstunde - die ersten Patienten werden von Arzthelferinnen vorbereitet - steht Großwendt an der Rezeption und schüttelt den Kopf. „Es geht schon wieder los.“ Ein Patient, eingetragen für 8.14 Uhr, ist nicht erschienen. Ein Anruf klärt den Grund - eine plötzliche Krankheit. „Gerade er ist sonst zuverlässig.“
Viele Termin-Schwänzer
Das ist keineswegs selbstverständlich. Schmidt und Großwendt holen die Patientenliste von der Kindersprechstunde zwei Tage zuvor. 18 stehen dort. „Sechs sind einfach nicht erschienen“, so Schmidt. Sechs Termine, die an andere hätten vergeben werden können, wenn rechtzeitig abgesagt worden wäre. Bei einer Familie steht im System ein Vermerk: Sie kam schon sechsmal nicht zum Termin. „Der Patient muss auch mitarbeiten“, sagt Großwendt. In mehrfacher Hinsicht: „Wenn etwas dringend ist, muss er das auch sagen.“
Das Wartezimmer wird nun langsam voller, die Ärztin ist inzwischen im Sprechzimmer. Ab jetzt muss jeder Griff sitzen, zumal es ein Problem gibt: Die Krankheitswelle hat auch in der Praxis zugeschlagen. Von vier Mitarbeiterinnen fehlen zwei. Hoffmann und Schmidt, sonst in Vorbereitungsräumen damit beschäftigt, Augendruck zu messen, Sehtests durchzuführen oder Tropfen zur Pupillenerweiterung zu geben, müssen nun auch die Rezeption managen. Ab und an bleibt ihnen nichts anderes übrig, als kurzzeitig den Anrufbeantworter einzuschalten. Noch aber ist es nicht so weit: Ein Anrufer will einen Termin. Und bekommt ihn: in drei Wochen. In etwa ist das die Regel, heißt es hier.
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Halle, erklärt Großwendt, ist mit Augenärzten eigentlich überversorgt - es gibt 32 Praxen, laut Bevölkerungszahl könnten es acht oder gar neun weniger sein. Wäre das der Fall, würden wohl auch bei ihr Wartezeiten bei acht bis zehn Wochen liegen. In anderen Praxen der Saalestadt tun sie das offenbar dennoch. „Mir wurde woanders ein Termin im Juni angeboten“, sagt eine Mutter, die eine Augenuntersuchung bei ihrer Fünfjährigen möglichst weit vor dem Schulanfang will. Sie hat doppelt Glück: Gerade hat jemand einen Termin abgesagt, sie kann in vier Tagen kommen. Viel, sagt Großwendt, hänge auch von einer straffen Praxisorganisation ab. „Ich habe vergleichsweise viele Mitarbeiter.“
Erkrankungen an Grünem oder Grauem Star
Für Ingeborg Kunze ist Warten auf einen Termin kein Thema: Die 77-jährige Stamm-Patientin hatte bereits zwei Netzhautablösungen und zwei Star-OPs, ist daher zwei Mal im Jahr da. „Wenn ich heute herausgehe, lasse ich mir einen Termin in einem halben Jahr geben.“ Makula-Degenerationen und Erkrankungen an Grünem oder Grauem Star nehmen einen Großteil der Behandlungen in der Praxis ein - und sind aufwendig.
Während sie den Sehtest mit Kunze macht, erzählt Arzthelferin Schmidt: Terminprobleme in Augenarztpraxen auf dem Land machen sich seit zwei Jahren bemerkbar. „Zu uns kommen auch Patienten aus dem Südharz oder Aschersleben“, sagt sie. „Das war früher nicht so extrem.“ Bei Großwendt werden noch Neupatienten angenommen - auch wenn sie anfangs mehr Zeit in Anspruch nehmen.
Im Behandlungszimmer untersucht die Ärztin unterdessen eine Patientin, die zusätzlich zum vollen Terminkalender da ist: Doris Dietrich hat gerade eine Augen-OP hinter sich, die wegen einer Grippe verschoben wurde. Nun ist Nachsorge nötig. „Das kann man nicht schieben“, so Großwendt. „Solche Patienten müssen untergebracht werden, egal wie.“ Und nicht immer reichen dann die sieben Minuten, die sie eigentlich pro Patient zur Verfügung hat.
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Auch bei Mechthild Wagner nicht: Die 75-Jährige hat eine Sehnervuntersuchung per Laserscan absolviert. Normalerweise gibt es ein- bis zweimal im Monat dafür spezielle Sprechtage, um Ergebnisse in Ruhe mit dem Patienten auszuwerten. Sie werden dann im 20-Minuten-Rhythmus bestellt. Heute ist Wagner zwölf Minuten im Sprechzimmer - und in Plauderlaune. „Ich kenne ihre ganze Geschichte“, sagt Großwendt, die ihre Praxis seit 1991 betreibt. Dennoch: Viel Zeit ist nicht. „Ich muss immer konkret bleiben, da darf nichts ausufern.“ Bei chronischen Erkrankungen oder Neupatienten seien sieben Minuten oft knapp, „dafür kommt man bei einer Augenentzündung auch mal mit vier aus.“
Arbeit nach Sprechstunde
Inzwischen ist, leicht verspätet, Mittagspause. Üblicherweise verbringe sie die mit einem Brot am Rechner, sagt die Ärztin. Ohnehin: Was als tägliche Sprechzeit an ihrer Praxistür steht, ist nicht ihre Arbeitszeit. „Da kommen jeden Tag nochmal ein bis zwei Stunden zu Hause dazu“ - unter anderem die Vorbereitung auf den nächsten Tag.
Dass nicht noch mehr Patienten behandelt werden, habe Gründe, sagt sie. Dazu gehörten Zeit und Qualität der Behandlung, dazu gehöre aber auch das ärztliche Budget und die Deckelung der Patientenzahl. Wird ein bestimmter Schnitt überschritten, sinke das Honorar so weit, dass sich die Betriebskosten wie der Lohn damit nicht mehr decken lassen. „Wir brauchen jetzt schon die Igel-Leistungen, um uns zu finanzieren.“ Die freiwilligen Vorsorgeleistungen werden nicht von Kassen bezahlt. Natürlich gibt es auch Privatpatienten - die machen laut Großwendt bei ihr aber nur einen Anteil von fünf Prozent aus.
Als kurz nach der Mittagspause das Telefon klingelt, hört man zum ersten Mal die Frage: „Wie sind Sie versichert, gesetzlich oder privat?“ Das hat einen Anlass: Die Patientin will eine ärztliche Zweitmeinung, die wird nicht zwingend von der Kasse getragen. Das ist aber nicht der Grund, warum Großwendt erneut den Kopf schüttelt: Einen Termin in drei Wochen um 8.45 Uhr mag die 28-Jährige am anderen Ende nicht, erzählt die Ärztin später. „Sie möchte ausschlafen.“ Luxusprobleme, wo in anderen Gegenden Monate kein Termin verfügbar ist.
Um 17 Uhr ist die Liste der Patienten abgearbeitet - vier kamen zusätzlich zum vollen Kalender dazu, darunter eine Privatpatientin und eine fast 91-Jährige, der der erneute Weg nicht zugemutet werden sollte. Über eine Stunde haben Patienten teilweise in der Praxis gewartet - zum Großteil inklusive der Zeit, die Augentropfen bis zur Wirkung brauchen. Ziel sei ein Durchschnitt von einer Stunde, sagt Großwendt. „Aber im Moment fehlen mir einfach zwei Mitarbeiter.“ Die anderen beiden haben jetzt weiter zu tun: Rechnungen, Abstimmungen mit anderen Ärzten der Patienten... Dafür war während der Sprechzeit keine Gelegenheit.