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Auf Entdeckungstour an der Mulde Auf Entdeckungstour an der Mulde: Zwei Quellen und ein Fluss

Von Hans-Ulrich Köhler 02.09.2016, 13:03
Die Mulde mündet unter der Brücke hindurch zwischen Dessau und Roßlau in die Elbe.
Die Mulde mündet unter der Brücke hindurch zwischen Dessau und Roßlau in die Elbe. Andreas Stedtler

Halle (Saale) - Da muss ich wohl mal wieder mit dem Besen rüber zur Quelle, sagt Lars Heinecke. Der Chef der Schönecker Gaststätte „Meilerhütte“ hat ein Auge darauf, dass die Quelle der Zwickauer Mulde sprudelt. Momentan sprudelt sie nicht, aber die Mulde fließt natürlich trotzdem. Denn der als Quelle markierte Punkt ist nicht der Ort, wo die Zwickauer Mulde ihren Lauf  beginnt. D i e Quelle gibt es nicht. Es ist ein großes, fast sumpfiges Areal zwischen  Fichten und zwei Teichen, in dem  sich am östlichen Rand von Schöneck Wasser sammelt, das dann zur Mulde wird, zur Roten Mulde. Ein Stück hin gibt es noch den Quell-Bach Weiße Mulde.

Zwei Kilometer weiter wird die Mulde zum ersten Mal auf ihrem Lauf gestaut. Sie füllt, gemeinsam mit vielen anderen Bächen, die Talsperre Muldenberg, keine Stunde zu Fuß von den Quellen entfernt. Eine 24 m hohe Staumauer hält das Muldewasser seit 91 Jahren auf, um danach rund 100 000 Menschen mit Trinkwasser zu versorgen. Hier im Stausee mischen sich nach kurzem Lauf die Rote Mulde und die Weiße Mulde. Aber nur an der Roten ist eine Quelle markiert. Brunnen nennt Lars Heinecke das steinerne Gebilde, das vor gut 30 Jahren dorthin gesetzt wurde, ein kreisrunder, oben offener Bau aus groben Steinen gemauert. Die exakt gepflasterten ersten Meter, auf denen die Mulde eigentlich aus dem Brunnen plätschern sollte, liegen momentan ausgetrocknet da. Deshalb, so Heinecke, müsse er eben wieder rüber und mit einem Besenstiel das orange Rohr durchstoßen, das sein Großvater vor langer Zeit verlegt hat und durch das Wasser aus dem Teich daneben zur Vorzeige-Quelle fließen sollte.

Dort deutet keine Tafel darauf hin, dass hier die Zwickauer Mulde entspringt. Es ist die einzige Quelle, die wir auf unserer Quellen-Tour treffen, die nicht den Geburtsort eines Flusses vermeldet. Stattdessen steht barsch-amtlich auf einem grünen Schild am Brunnen: Kein Trinkwasser!

Die Quellen der Mulde

Weil der Brunnen über die Jahre immer wieder zur Müllgrube wurde, hat Lars Heinecke ihn vor Jahren randvoll mit Felsbrocken gefüllt, so dass er nun nicht mehr ganz so trist aussieht.  Die beiden Teiche neben dem Brunnen sind Überbleibsel früherer Lehmgruben, aus denen hier vor über 100 Jahren roter Lehm für eine Ziegelei gewonnen wurde. Die ist weg, dort etwa steht heute Lars Heinickes Gasthaus. Warum die Rote Mulde so heißt, sieht man im Unterholz hinter dem Brunnen. Eisenoxide haben den Boden, über dem Muldewasser fließt, tief rot gefärbt.

Geht man durch den Wald, lässt sich nachvollziehen, dass die Mulde aus vielen Quellen gespeist wird. Von überall her kommen Rinnsale, tauchen auf, verschwinden, tauchen auf. Es ist ein ganzes Quellgebiet, ein Hochmoor, 638 m über NN. Unter einer 40 cm hohen sumpfigen Schicht liegt wasserundurchlässiger roter Lehm, über dem sich Wasser  sammeln kann. Von Heinickes Gaststätte aus sind es keine 200 m bis zum wässrigen Waldboden. An eine Fichte am Weg zur Quelle hat jemand einen QR-Code genagelt, der Smartphone-Wanderer zum Steckbrief der Quelle und zu Attraktionen des vogtländischen Ferienortes führt. Gut 100 km östlich von Schöneck entspringt der zweite Zufluss der Mulde.  Kurz hinter dem Grenzübergang Rehefeld-Zaunhaus liegt dicht beim tschechischen Ort Moldava die Quelle der Freiberger Mulde. Auch hier spielt ein Schlauch, dieses Mal ein grüner, eine Rolle, die er offenbar gerade nicht so recht ausfüllt. Hinter einer Ziegelsteinmauer liegt er, um wohl mit mehr Wasser die symbolische Quelle aufzupeppen. Aber  auch  die ist trocken, Moos und Brennnesseln schmücken den Mauerkamm.  Links daneben gurgelt ein Bächlein, die Freiberger Mulde.  Damit keine Verunsicherung bei deutschen Besuchern aufkommt, ist es schwarz auf weiß angeschlagen: „Mulda-Quelle“, obendrüber steht in Landessprache „Moldavskeho Potoka“, der Moldauer Bach - falls auch mal ein Tscheche wissen will, wo die Freiberger Mulde entspringt, die sein Staatsgebiet gerade mal fünf Kilometer  durchplätschert und in Dessau in die Elbe mündet, wie auf einem Schild am Weg zur Quelle zu lesen ist.

124 km flußabwärts  haucht die Freiberger Mulde ihr Leben schon wieder aus. In Sermuth bei Colditz trifft sie auf die von links kommende Zwickauer Mulde, die dann bereits 167 km zurückgelegt hat. Ein verwitterter Unterstand in Gestalt eines Fliegenpilzes markiert auf der Mündungsspitze den Ort der Vereinigung. Namen oder Kilometerangaben sucht man hier vergeblich. Auffällig: Die Zwickauer Mulde kommt hier  geradezu rauschend über  flachem Grund an. Vereinigt nimmt die Mulde mächtig Fahrt auf. Wegen des großen Gefälles von den Quellen bis zur Mündung gehört sie zu den am schnellsten fließenden Flüssen Mitteleuropas, heißt es. Und sie hat es in sich, wenn sie Hochwasser führt und Dämme brechen lässt, wie bei den Jahrhunderthochwassern 2002 und 2013, aber auch viel früher hat sie schon großen Schaden angerichtet. In Sermuth prägen deshalb massive Deiche und Sperrmauern das Ortsbild entlang beider Zuflüsse. Gut 100 km weiter nördlich wurde die Mulde bei Bitterfeld angezapft und füllte dort zwei ehemalige Braunkohletagebaue, aus denen die  attraktiven Naherholungsgebiete Goitzsche und Muldestausee geworden sind. Hier bei Pouch wird die Mulde letztmalig vor der Mündung aufgestaut, der sie nun durch ein einzigartiges Naturreservat entgegenfließt. Vom Stausee bis zur Mündung in die Elbe darf die Mulde nicht befahren werden, nicht mal von Kanus.

Mulde Teil des Biosphärenreservats Mittelelbe

Dort ist Schluss, sagt Thomas Weber, der den Gast mit seinem 40-PS-Boot über die Elbe gern zur Mündung fährt und ohne Unterlass erklärt, was man entdecken kann. Das ist sein Revier, hier kennt er sich aus. Nur wenige Meter von der Muldemündung campiert der 56-jährige Anlagenmonteur seit vielen Jahren mit Gleichgesinnten auf dem Gelände der „Wassersportfreunde Rodleben“.  Früher sei die Mulde eine stinkende Brühe gewesen, erinnert sich Weber, heute könne man beinahe daraus trinken. Auf ihren letzten Kilometern ist die Mulde Teil des Biosphärenreservats Mittelelbe. Das gibt es schon seit 1979. Heute ist es eins von 15 deutschen Unesco-Biosphärenreservaten.

Der Dessauer zeigt auf das Schild mit dem  roten Balken am linken Ufer der Muldemündung - alles Naturschutzgebiet. Dahinter erhebt sich eine Eisenbahnbrücke, über die im Fünf-Minuten-Takt Züge donnern, dann  quert die B 184 auf großen Brücken das Mündungsgebiet. Doch links und rechts könne die Natur machen, was sie will, sagt Weber und stoppt die „Otter“ vor der großen Sandbank, die sich aus der Mulde heraus Richtung Elbe schiebt. Da, Graureiher, ruft Weber, wenig später entdeckt er  Kormorane. Nur mit den Bibern will es auf die Schnelle nicht klappen, aber sie sind massenhaft hier. Welse gebe es, schwärmt Weber, so groß wie er. Auch Wölfe? Webers Campingnachbar Clemens Kentschke  behauptet es zumindest. Spuren im Flusssand habe er gesehen. Die habe er mit Internet-Fotos verglichen - eindeutig, meint er. Beweisen kann er es nicht, ausschließen, meinen Experten vom Biosphärenreservat,   könne man es kaum, gesicherten Erkenntnisse aber gibt es nicht.

Das Leben zwischen Mulde und Elbe heißt für Weber und seinen Verein, sich zu arrangieren mit dem Hochwasser. Einen exakten Fluchtplan haben sie auf dem Platz, wenn es ernst wird. Die Menschen hier haben sich auf den Hochwasserrhythmus an der Muldemündung eingestellt. Bei mächtigem Hochwasser, so Bootsfahrer Weber, komme die Mulde immer zwei bis drei Tage vor der Elbe hier an. Die die grün-weiße Boje am letzten Mulde-Meter schwimmt aufrecht im Hochwasser, jetzt liegt sie flach und angekettet auf dem Geröll der Mündungsspitze. So könnte es doch immer bleiben,  träumt Thomas Weber.

Fakten zur Mulde

Die Mulde hat zwei Quellflüsse, die 167 km lange Zwickauer und die 124 km messende Freiberger Mulde. Sie vereinigen sich bei Sermuth in Sachsen.

Die Mulde fließt aus 717 m Höhe im Erzgebirge (Freiberger) und 638 m Höhe im Vogtland (Zwickauer) bis Dessau-Roßlau hinab auf  57 m über NN.  Sie wird zwei Mal zu großen Seen aufgestaut.

Die Mulde ist sehr flach und nicht schiffbar, ausgenommen Sportboote. Der Muldentalradweg verbindet  viele Orte entlang der Flussläufe.

Die Mulde  gilt mit einer durchschnittlichen Wasserführung von 73 Kubikmetern pro Sekunde (Mündung) als viertgrößter Elbe-Nebenfluss und entwässert (mit Zuflüssen) ca. 7 500 Quadratkilometer.

Geschützte Heimat der biber, Graureiher und Kormorane

Schon in den 1920er Jahren wurden an der mittleren Elbe erste Schutzgebiete ausgewiesen. Große Anstrengungen zum Schutz der Elbelandschaft unternahm die DDR, so dass 1979 das Naturschutzgebiet Steckby-Lödderitzer Forst als erstes Biosphärenreservat in beiden deutschen Staaten von der Unesco anerkannt wurde.

Es ist heute Teil des Biosphärenreservats Mittelelbe, das sich über 300 Flusskilometer durch Sachsen-Anhalt zieht und auch die Mulde vom Muldestausee bis zur Muldemündung einbezieht und sich durch große Artenvielfalt in Flora, Fauna und  naturnahe Flussläufe auszeichnet.

Das Biosphärenreservat ist in drei Zonen eingeteilt. In der Kernzone bleibt sich die Natur selbst überlassen. Die Pflegezonen entlang von Mulde und Elbe  sind Naturschutzgebiete, es gelten strenge Auflagen  fürs Betreten und Nutzen. Die Entwicklungszone als dritte Kategorie erlaubt die Nutzung durch Landwirtschaft, Gewerbe, Tourismus etc. 1988 wurde die Kulturlandschaft Dessau-Wörlitz ins Reservat einbezogen. Schwankende Wasserstände bestimmen das Gesicht der Auenwälder, darunter die letzten zusammenhängenden Hartholzauenwälder Mitteleuropas.

Im Biosphärenreservat leben etwa 1 200 Biber, das sind rund 15 Prozent aller Biber in Deutschland. Elbe und Mulde gehörten zu den schmutzigsten Flüssen der DDR, heute leben hier  über 40 Fischarten. Von den 462 in Deutschland nachgewiesenen Vogelarten leben 310 entlang der Elbe bzw. der Mulde, darunter Kormorane und Grauhreiher. Hier gedeihen über 1 400 Farn- und Blütenpflanzenarten.

Mehr Informationen unter: www.mittelelbe.com.