Ärztehonorar Ärztehonorar: Verramscht?
HETTSTEDT/MZ. - Andrea Kühlewind aus Könnern ist chronische Schmerzpatientin. Es tut weh in Nacken und Schulter - jahrelange Arbeit in der Großküche - "da schleppt man Zentner, Tonnen" - hat Spuren bei der 53-Jährigen hinterlassen. Inzwischen ist sie Dauergast beim Orthopäden in Hettstedt (Mansfelder Land). Einmal im Quartal, oft zwei- oder dreimal. Dann löst Ulrich Kuminek wie an diesem Abend mit geübtem Griff Blockaden, setzt Spritzen, die den Schmerz für eine Weile betäuben.
80 Patienten am Tag
Draußen warten die letzten zwei Patienten, verteilt auf andere Behandlungsräume. Kuminek wechselt ins Nachbarzimmer, hält sich nicht mit Notizen auf - die hat seine Sprechstundenschwester parallel zur Behandlung erledigt. Nebenan wartet schon eine weitere Schwester mit der nächsten Patientin. 80 hat der Orthopäde heute behandelt.
Andrea Kühlewind war zum ersten Mal in diesem Quartal da. Kumineks Problem: Wenn sie ein zweites Mal kommt, kann er für sie kein Honorar mehr abrechnen. Seit dem dritten Quartal 2010 erhalten Orthopäden unabhängig vom Behandlungsaufwand pauschal 18,95 Euro Honorar pro Kassenpatient und Quartal, je nach Zusatzqualifikation auch zwei, drei Euro mehr. Theoretisch legen bundesweit einheitliche Maßstäbe den Wert der Arbeit eines Arztes fest: allein für den ersten Arzt-Patienten-Kontakt im Quartal 18,05 Euro. Weitere Leistungen wie das Lösen der Blockade in Kühlewinds Schulter muss Kuminek zwar offiziell samt Euro-Wert angeben, um seine Arbeit nachzuweisen und bei künftigen Honorarverteilungen nicht schlechter abzuschneiden. Praktisch bleibt es aber bei 18,95 Euro im Quartal, die er erhält.
Natürlich, sagt der Arzt, gibt es auch so genannte "Verdünner": Patienten, die nur eine Überweisung brauchen, für die er auch die Pauschale bezieht. Aber: Das sei nicht die Masse. "Und rund die Hälfte der Patienten kommt mehrfach im Quartal." Akutfälle bis zu zehn Mal.
Kuminek ist nach zwölf Jahren Ausbildung seit 1999 Praxisinhaber in Hettstedt. Er ist einer der Unterzeichner eines offenen Briefes, mit dem sich niedergelassene Orthopäden im Land über die Höhe der neuen Pauschalen - Fallwerte genannt - beklagen. Er will keine Einkommensdebatte, nicht auf hohem Niveau jammern. Zu behaupten, dass er am Hungertuch nage, sei lächerlich, das Image vom Porsche fahrenden Karibik-Urlauber indes auch falsch. Bei 18,95 Euro Honorar pro Patient aber, da spricht er vom Verramschen ärztlicher Leistung. "Das ist eine Verhöhnung, der Sache nicht mehr würdig." Zwei, drei Quartale könne er so mal überbrücken. Auch Kollegen klagen über unwirtschaftliches Arbeiten, einige treffe es richtig hart.
Die Konsequenzen? Zu Lasten der Zeit für Kassenpatienten mehr Privatpatienten zu behandeln, funktioniere gar nicht, sagt Kuminek. Im Moment sind unter seinen 2 000 Patienten im Quartal 25 privat versichert - "mehr gibt es hier auch nicht." Was dann? Am Personal will er nicht sparen. Die Honorartätigkeit im Krankenhaus ausweiten, in dem er einen Nachmittag pro Woche arbeitet? Sich mehr auf Gutachten konzentrieren? Im Moment stammen 80 Prozent seiner Einnahmen aus der Pauschale für Kassenpatienten, 20 Prozent aus Krankenhaushonorar, Gutachten oder den individuellen Gesundheitsleistungen, die der Kassenpatient selbst zahlt. In vielen Praxen liege das Verhältnis bei 90:10.
Wie er Neben-Einnahmen steigern soll, weiß der Hettstedter noch nicht. 60 Stunden und mehr pro Woche arbeite er schon, sagt der 45-Jährige. Also die Kassensprechzeit verkürzen? "Ich will noch nicht ernsthaft darüber nachdenken, ich glaube, wir finden eine Lösung." Im Moment warten seine Patienten einen Monat auf einen Termin, solange sie keine Akut-Fälle sind. Offiziell hat Kuminek an drei Tagen in der Woche acht Stunden Sprechzeit, an zweien vier Stunden.
Das Problem, sagt der Mediziner, sei ein reines Verteilungsproblem innerhalb der Kassenärztlichen Vereinigung (KV). Seit Jahren würden die Krankenkassen mehr in den Honorartopf zahlen, spätestens seit dem dritten Quartal 2010 komme bei den Orthopäden davon aber nichts mehr an, während andere Facharztgruppen profitieren.
Von Angleichung nichts übrig
2009 hätten noch alle von einer Reform profitiert, die auch eine Angleichung der Ost-West-Honorare beinhaltete. Ein "Wahlgeschenk", wie Kuminek sagt. Da lag die Pauschale bei ihm bei 33,76 Euro pro Patient, fast das Doppelte von heute. 28 bis 30 Euro, sagt er, seien realistisch. Die KV will den Wert nach Protesten jetzt von 18,95 auf 21,34 Euro anheben. Mehr Geld sei nicht da, sagt sie und empört sich, dass Orthopäden mit Einschränkungen wie längeren Wartezeiten für Kassenarztpatienten rechnen.
Kumineks Praxis ist vergleichsweise groß, dafür hat er mit vier Vollzeit-Angestellten 7 000 Euro Lohnkosten im Monat, plus 1 600 Euro Miete, plus Strom, Versicherung, Kredittilgung, Gerätewartung etc. Mehr Kassenpatienten für mehr Pauschalen? Keine Lösung, sagt Kuminek. Zum einen sei die Zahl gedeckelt. Zum anderen fehlt die Zeit: Schon jetzt stehen im Praxiskalender Termine im Fünf-Minuten-Rhythmus. Verbände wechseln zwar die Schwestern, aber den Großteil der Patienten behandelt Kuminek selbst. Oft reichen fünf Minuten trotz effizienter Praxisorganisation nicht, sagt er, verschieben sich Termine, wird die Sprechzeit überzogen. "Vom Zeitfaktor her würde ich lieber nur 40 am Tag behandeln." Aber der Bedarf der Patienten sei größer, seit Jahren.