Als Geisel in JVA Straubing vergewaltigt Als Geisel in JVA Straubing vergewaltigt: Susanne Preusker über ihr zweites Leben nach dem Martyrium

Halle (Saale) - Emmi, fünf Jahre alt, ist begeistert. Sie mag Besuch. Fröhlich, ganz ihrem überschwänglichen Temperament entsprechend, kommt sie in den Flur der Magdeburger Wohnung gelaufen. Die Begrüßung fällt sehr freundlich aus. Emmi will nah ran an den Besuch. Susanne Preusker ermahnt sie - wohlwissend, dass die American-Staffordshire-Hündin bei ihren Gegenübern mitunter erst einmal vorsichtige Distanz hervorruft. „Eigentlich hatte ich immer Angst vor Hunden“, sagt die 55-Jährige kurze Zeit später bei einem Spaziergang in einem nahen Park. Das ist lange vorbei.
Emmi hilft im Kampf gegen Antriebslosigkeit
Emmi kam im Sommer 2010 zu Susanne Preusker und ihrem Mann - vermittelt von einer Freundin, die von dem Wurf einer Hündin im Tierheim erzählte. Susanne Preusker lehnte zunächst dankend ab: „Ich wollte doch keinen Kampfhund.“ Bis sie sich die Welpen ansah... Die Sache mit dem Hund war damals eine Idee ihres Mannes gewesen. In einer Zeit, als an Normalität bei ihnen kaum zu denken war. Susanne Preusker erinnert sich: „Emmi half mir, mich nicht in eine depressive Antriebslosigkeit fallen zu lassen. Ich hatte eine Aufgabe und schlicht keine Zeit mehr, viel zu grübeln. Die Frage am Morgen war nicht, ob ich aufstehen sollte - sondern ob der Hund schon draußen war.“
Im Jahr zuvor, es war zehn Tage vor ihrer geplanten Hochzeit, hatte das Leben der Diplom-Psychologin und Psychotherapeutin eine dramatische Wendung genommen: Die Leiterin einer sozialtherapeutischen Abteilung für Sexualstraftäter in einem bayerischen Hochsicherheitsgefängnis wurde von einem Häftling stundenlang in ihrem Büro eingeschlossen und mehrfach vergewaltigt. Mit dem Tode bedroht. Mehrere Jahre hatte sie den verurteilten Mörder in der Therapie gehabt. Nun fesselte und knebelte er sie, hielt ihr ein Messer an den Hals. In ganz Deutschland ging ihr Fall durch die Medien.
Kein Zurück in den Beruf
So war es noch einmal, als 2011 ihr Buch „Sieben Stunden im April - Meine Geschichten vom Überleben“ erschien, in dem sie über jenen Tag, jene Katastrophe schrieb, die über sie, ihren Partner und ihren Sohn hereingebrochen war. Aber vor allem berichtete sie darin über die ersten Schritte in ihrem neuen Leben, das sie finden musste. Die selbstbewusste, erfolgreiche, lebenslustige Psychologin, immer einen Spruch auf Lager, war nun eine traumatisierte Frau mit Depressionen und Panikattacken. Ein Opfer. Doch: „Mit dieser Rolle wollte ich mich nie abfinden.“ Hat sie auch nicht.
Lange hat Susanne Preusker mit ihrem neuen Leben gehadert. „Inzwischen ist es nicht mehr so schlimm, wie es mal war - nicht mehr so von innen zernagend“, sagt die gebürtige Niedersächsin, die mit ihrem Mann in Magdeburg lebt, wo er als Jurist arbeitet. Anfang dieses Jahres hat sie endgültig entschieden, dass es für sie kein Zurück in ihren alten Beruf mehr geben wird. „Ich würde mich immer mit der damaligen Susanne vergleichen.“ Die Frage, was sie beruflich mache, „höre ich immer noch nicht so gerne“, erzählt sie. Doch sie hat sich angefreundet mit ihrem neuen Leben. „Ich sage dann einfach, dass ich Bücher schreibe.“
Erstlingswerk über ihr Martyrium
Das Schreiben hat sie immer gemocht. Nach dem Erstlingswerk über ihr Martyrium erschienen zwei Krimis von ihr. Zudem ein Buch namens „Wenn das Glück mit dem Schwanz wedelt - Warum Hunde die besseren Therapeuten sind“, in dem sie in ihrer typisch lockeren, unterhaltsamen Art vom Leben mit Emmi erzählt. „Bei mir wechseln sich Phasen des exzessiven Schreibens mit Phasen des exzessiven Nichtschreibens ab“, berichtet sie vielsagend lächelnd. Aktuell ist Ersteres der Fall: Sie arbeitet an drei Sachen gleichzeitig. Das müsste sie nicht tun.
Von den Bezügen, die sie nach der als „Dienstunfall“ anerkannten brutalen Attacke erhält, könnte sie leben. Doch sie will schreiben. Im Sommer soll ihr Ratgeber von Hunden für Hunde erscheinen - „den hat mir Emmi diktiert“, erklärt Susanne Preusker grinsend. Darin beschreibt sie alle möglichen Tricks, die einem Hund das Leben leichter machen - etwa, wie man es beim Herrchen aufs Sofa schafft. Zudem wird es einen dritten Krimi geben. Und sie arbeitet an einem Kurzgeschichtenband. „Danach werde ich dann den Weltbestseller schreiben, für den ich den Nobelpreis kriege. Ich weiß nur noch nicht, zu welchem Thema“, witzelt sie.
Brutale Geiselnahme in JVA Straubing
Und man kann sich das sehr gut vorstellen, wenn sie erzählt: „Der Humor ist bei uns zu Hause inzwischen wieder eingezogen.“ Ihr Sohn, heute 23, habe die Ereignisse „erstaunlich gut überwunden“. Er war wegen seines Abiturs zunächst in Bayern geblieben, nun studiert er Architektur in Dessau. Sie sei stolz und froh, „dass wir das als Familie so gut hingekriegt haben“. Ihr Mann sei für sie ein enormer Halt gewesen. Sowieso: „Ich habe den besten Mann der Welt“, sagt sie. Nachdem sie ihn damals, nach der brutalen Geiselnahme und wenige Tage vor ihrer Hochzeit, gefragt hat, ob er sie immer noch heiraten wolle, hat er ohne Zögern gemeint: „Und nun erst recht.“
Hat sie es jemals bereut, ihre Geschichte öffentlich gemacht zu haben? Das wurde sie schon oft gefragt. Susanne Preusker beantwortet diese Frage auch heute mit einem klaren Nein. Sie wollte sich damals nicht zurückziehen. Hat als Nebenklägerin öffentlich gegen ihren Peiniger ausgesagt. Er wurde zu 13 Jahren und neun Monaten Haft mit anschließender Sicherungsverwahrung verurteilt. Sie hat die leitenden Einsatzkräfte von Polizei und Justiz angezeigt, weil sie der Überzeugung war, dass diese bei dem Vorfall Fehler gemacht haben. Das Verfahren wurde eingestellt. Und sie schrieb das Buch, gab Interviews, war Gast in Talkshows. Für diese offensive Art, mit dem Erlebten umzugehen, erntete Susanne Preusker auch Unverständnis. Doch sie weiß: „Für mich war es der richtige Weg.“
„Ich kann wieder glücklich sein“
Wieder zurück in der Wohnung - oder vielmehr auf ihrem geliebten Balkon - erzählt sie, was sie dieses Jahr unbedingt schaffen will: „Fliegen! Das steht auf meiner To-do-Liste ganz oben. Wir würden so gerne mal wieder in den Urlaub fliegen.“ Nach Israel oder auf die Kapverden. Vielleicht klappt es ja diesen Sommer mit einer Flugangsttherapie. Wobei es ihr nicht ums Fliegen an sich geht - früher ist sie viel und gerne mit dem Flugzeug verreist. Doch sie hat nach dem Erlebten ein Problem mit geschlossenen Räumen. Bei Parkhäusern und Fahrstühlen ist das im Alltag nicht kompliziert - da gibt es wenn nötig eine Alternative. Auch im Theater gibt es eine Lösung: Das Ehepaar kauft stets Karten für Plätze am Rand, nahe dem Ausgang. Dann geht es. Auch Freunde wissen das. „Das ist gar kein Thema mehr.“ Beim Flugzeug ist es aber eben nicht so einfach.
Natürlich gibt es nicht nur gute Tage. Von Zeit zu Zeit machen sie sich bemerkbar, die Ängste, die Zweifel. Manchmal wünscht sie sich ihre Unbefangenheit zurück. „Heute ist immer so ein Grundmisstrauen da: Ich habe meine Ohren überall - und meine Augen sowieso“, erzählt Susanne Preusker, die bis heute Medikamente nimmt. Vergessen wird sie das, was passiert ist, nie. Doch: „Es wird unbedeutender, nimmt immer weniger Raum ein“, sagt sie. Und: „Ich kann wieder glücklich sein.“ (mz)