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Abenteuer auf drei Rädern Abenteuer auf drei Rädern: Fünf Hallenser wollen auf dem Landweg nach New York

Von Julius Lukas 20.08.2014, 06:08
Zuverlässig und robust: Mit ihren Ural-Motorrädern wollen Sven Klatt, Johannes Fötsch und Elisabeth Oertel (v. r.) auch die Beringstraße queren.
Zuverlässig und robust: Mit ihren Ural-Motorrädern wollen Sven Klatt, Johannes Fötsch und Elisabeth Oertel (v. r.) auch die Beringstraße queren. F. Adler Lizenz

Halle (Saale) - Es gibt bei modernen Autos eine Funktion, die den Weg zum Wagen sicherer machen soll. Durch einen Knopfdruck auf der Fernbedienung springt die Außenbeleuchtung des Fahrzeugs an. Das Auto steht im Licht. Die Strecke zu ihm wird durch die Lampen hell erleuchtet. „Leavinghome“-Funktion heißt diese technische Raffinesse. Der Autofahrer soll durch sie sehen, was ihn erwartet, nicht ins Ungewisse laufen und das traute Heim sicher verlassen können.

„Leavinghome“-Funktion - diesen Titel haben auch Anne Knödler, Johannes Fötsch, Elisabeth Oertel, Sven Klatt und Lisa Müller für ihre Reise gewählt, die eher ein Abenteuer ist. Die fünf jungen Künstler aus Halle wollen nach New York - allerdings nicht mit dem Flugzeug. Sie fahren mit Motorrädern, auf dem Landweg: 30.000 Kilometer durch Europa und Asien, über die Beringstraße nach Alaska, dann durch Kanada erst an die West- und schließlich an die Ostküste der USA. Im August 2016 wollen sie in New York ankommen. Wenn alles gut geht, haben sie dann 23 Staatsgrenzen überwunden, sind durch Wüsten und über Eis und Wasser gefahren. Am 7. September soll es los gehen.

„Wir reisen nach Osten, um den Westen zu erreichen“, beschreibt Elisabeth Oertel das Vorhaben. Knapp einen Monat vor dem Start sitzt die 29-jährige Glaskünstlerin mit ihren Mitstreitern im Hinterhof ihres Ateliers in Halles Osten. Es gibt frischen Kaffee und Kuchen. Erst vor einem halben Jahr kamen sie in ähnlicher Runde zusammen und fassten ihren verwegenen Plan. Sven Klatt, der als Theaterplastiker arbeitet, träumte schon lange vom Trip Richtung Osten. Anne Knödler, Johannes Fötsch und Elisabeth Oertel waren gerade mit ihrem Keramik-Studium an der Kunsthochschule Halle fertig und suchten nach Inspiration. Lisa Müller, Mediengestalterin und mit 23 Jahren die Jüngste der Gruppe, hörte von dem Vorhaben und wollte unbedingt dabei sein: „Schon die Indien-Reise fand ich spannend“

Fötsch, Oertel und Klatt waren 2010 bereits mit Motorrädern unterwegs. Damals mit Simson-Rollern, ihr Ziel: Indien: „Wir hatten keine Ahnung und kein Werkzeug“, erinnert sich Klatt. Aber immer, wenn eine Maschine streikte, halfen ihnen Einheimische. Ihre Erlebnisse wurden in diesem Jahr in einem Buch veröffentlicht. Der Titel: „Gedacht, gemacht.“

Für jeden Kilometer einen Euro

Ganz so planlos wie damals ging es dieses Mal nicht. „Die Organisation ist aufwendiger als gedacht“, sagt Fötsch. Visa mussten beantragt, Konten eröffnet und Versicherungen abgeschlossen werden. Außerdem brauchte das Quintett für die zwei Jahre auf Tour Geld. „Wir haben all unser Hab und Gut verkauft“, erzählt Oertel. Ein Teil der Einnahmen sei aber gleich in die wichtigste Anschaffung geflossen: Die Motorräder, Marke Ural.

„Das sind keine Hochleistungsmaschinen, sondern eher die Traktoren unter den Motorrädern“, sagt Müller zu den Gefährten mit drei Rädern. Einst für die Armee entwickelt, wurden sie im zivilen Gebrauch zu Kultgefährten. Geschätzt für ihre Robustheit und Zuverlässigkeit, sowie für den Seitenwagen, in dem viel Gepäck passt. Rund zwei Millionen Stück wurden bis heute vor allem in den Ländern der ehemaligen Sowjetunion verkauft. „Die Leute dort kennen Ural. Das erleichtert den Zugang, man wird anders aufgenommen und jeder probiert zu helfen“, erklärt Fötsch.

Unterstützung brauchen die Fünf aber auch von außerhalb. Was nach dem Kauf der Motorräder übrig blieb, reicht für die erste Zeit. „Unser Budget ist nicht üppig“, sagt Oertel. Deswegen starten die Künstler am kommenden Montag eine Crowdfunding-Kampagne auf der Onlineplattform Indiegogo.com. Für jeden der 30 000 Kilometer wollen sie dort mindestens einen Euro sammeln. Wer spendet, bekommt ein künstlerisches Dankeschön. 17 Euro kostet eine Postkarte, der Klappspaten mit integrierter Schatzkarte etwas mehr. Am teuersten ist ein Trip mit der Transsibirischen Eisenbahn. „Für 10 000 Euro bekommt man ein Ticket von Moskau nach Irkutsk“, erzählt Oertel. Dort empfangen die Reisenden ihren Gönner und fahren mit ihm um den Baikalsee.

Wie die Gruppe mit ihren Motorrädern sogar die Beringstraße passieren will, lesen Sie auf der nächsten Seite.

Den Fünf schwirren noch zahlreiche solcher Aktionen durch den Kopf. Viele sollen aber auch während der Reise entstehen. „Wir machen die Fahrt, um zu arbeiten und neue Ideen zu entwickeln“, sagt Müller. „Wir sind eine Künstlergruppe auf Reisen“, ergänzt Oertel. Im Internet wollen sie einen Blog mit ihren Erlebnissen füllen. Nach der Reise ein Buch. Sie planen, sich in einem georgischen Bergdorf einschneien zu lassen. „Und vielleicht veranstalten wir auch ein Bikerfestival in der Mongolei“, sagt Fötsch.

Den verrücktesten Plan wollen sie aber an der Beringstraße verwirklichen - jenem 80 Kilometer breiten Streifen Wasser, der Russland von Alaska trennt. „Dort bauen wir unsere Motorräder zu Booten um“, erklärt Klatt unaufgeregt. An die Seiten würden Schwimmkörper montiert, hinten eine Schiffsschraube. Ob das funktioniert? „Das werden wir sehen.“ Am Baikalsee soll getestet werden.

Nicht schon am Zweifel scheitern

Viele ihrer Freunde und Bekannten reagieren mit Begeisterung auf solche Ideen. Nur wenige schütteln den Kopf. Immer aber gibt es Zweifel an der Machbarkeit einzelner Vorhaben. Wenn sie etwa durch die unerschlossene Hungersteppe in Kasachstan wollen, einen der trockensten Orte der Welt. Oder durch Sibirien, wo kaum Menschen leben. Verrückt erscheinen solche Pläne, auch ein bisschen gefährlich. Auf dem Papier gibt es so viele Dinge, die schief gehen können, dass man eigentlich nicht davon ausgehen kann, dass es funktioniert. „Aber wenn man es nicht probiert, wird man es auch nicht herausfinden“, sagt Fötsch.

„Leavinghome“-Funktion haben sie ihre Reise genannt, weil sie einen Gegenentwurf zu der Haltung liefern wollen, die modernen Autos vermitteln, die einem sogar den Weg zur Fahrertür ausleuchten. „Wir verlassen das sichere Terrain und schauen einfach was passiert“, meint Fötsch. Ihr einziger Luxus sei die Zeit, die sie sich nehmen, um sich den Situationen anzupassen. Natürlich sei viel Ungewiss, meint Elisabeth Oertel. „Aber wir wollen die Idee nicht schon am Zweifel scheitern lassen.“

Und das Ziel sei zwar, am Ende in New York anzukommen. „Aber das Wichtigste ist es nicht.“ Denn, so viel man vorher auch plane, am Ende zeigt sich erst auf der Strecke, was geht. Ihre Indien-Reise mit den Simson-Motorrädern 2010 wurde auch vorzeitig beendet. Eine schwere Flut in Pakistan stoppte sie. „Wir hatten dann in Georgien eine schöne Zeit.“ (mz)

Mehr Infos im Internet: www.leavinghomefunktion.com

Anne Knödler, Johannes Fötsch, Sven Klatt, Lisa Müller, Elisabeth Oertel (v.l.)
Anne Knödler, Johannes Fötsch, Sven Klatt, Lisa Müller, Elisabeth Oertel (v.l.)
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