18. Juli 2009 18. Juli 2009: Teil von Nachterstedt versinkt im Concordia-See

Nachterstedt/dpa. - Sie wurden am frühen Samstagmorgen von demgewaltigen Erdrutsch mit in den Concordia-See gerissen, als sie noch in ihrem Doppelhaus schliefen. Eine Straße, die von der Gemeinde zu einer Aussichtsplattform an den See führte, bricht plötzlich ab, darunter tut sich ein riesiger Abgrund auf: Auf rund 300 Metern Länge wurden Erdmassen in den Tagebausee gerissen. Die dabei entstandene Welle war so stark, dass das Ausflugsschiff «Seelandperle» am gegenüberliegenden Ufer an Land gespült wurde.
«Alles weg.» Karin Degen fasst sich immer wieder an die Stirn oder hält sich die Hand vor den Mund. «Das gibt es doch nicht.» Seit Jahren kommt sie einmal in der Woche mit ihrem Mann aus dem nahe gelegenen Aschersleben an den idyllischen See, um zu sehen, wie der Wasserspiegel steigt. Das Tagebaurestloch wird noch immer geflutet. «Mein Vater war hier Bergmann. Wenn der das noch sehen könnte. Ganz schlimm.»
Der ganze Ort scheint nach dem Unglück auf den Beinen zu sein, auf den Gehwegen haben sich Grüppchen gebildet. Mütter schieben ihre Kinderwagen und Frauen in Kittelschürzen ihre Fahrräder. Die Menschen erzählen und gestikulieren. «Die Bergbaubehörde wird schon wissen, was sie da gemacht haben», sagte eine Frau. Dass die Ursache in der früheren Braunkohleförderung liegt, scheint für viele klar. Am Abend sorgt dann eine neue Information für Aufregung, wonach es womöglich einen vierten Vermissten gibt. Die Polizei geht aber davon aus, dass sich ein junger, taubstummer Mann, der in dem eingestürzten Hausgemeldet war, zum Unglückszeit woanders aufgehalten hat.
Überall im Ort stehen Rettungskräfte. Hinter den Büschen startetund landet immer wieder ein Polizeihubschrauber. «Dahinten am Ende der Straße geht es nur noch bergab», sagt ein Polizist. Ein junger Helfer des Technischen Hilfswerks ruft: «Ich geh da nicht mehr hin. Da bröckelt es immer noch.»
Im Rathaus ist der Katastrophenstab untergebracht. Das Handy vonUrsula Rothe klingelt minütlich. Die Sprecherin des Salzlandkreises erzählt geduldig, was passiert ist. Auf einer Digitalkamera zeigt sie Fotos von der Unglücksstelle und sie zeigt ein gelbes Haus, von dem die linke Hälfte vollständig fehlt. «Das kann man sich nicht vorstellen», sagt Rothe. «Wie abgeschnitten.»
Auf einer Pressekonferenz am Nachnachmittag, zu der auchBetroffenen gekommen waren, spielten sich emotionale Szenen ab. Ein Anwohner beklagte sich, dass er nicht an wichtiges Haub und Gut in seinem Haus komme. Als erste Hilfe wurden Gutscheine für notwendige Einkäufe in Aussicht gestellt.
Für Heidrun Meyer ist es der erste Notfall in ihrer sehr jungenKarriere als Bürgermeisterin der Stadt Seeland, zu denen Nachterstedt gehört. Seit 15. Juli gibt es die Stadt, die fünf Gemeinden und etwa 7000 Einwohner zählt. «Ich bin erschüttert», sagt die 51-Jährige mit fester Stimme. Um 6 Uhr klingelte ihr Telefon, 20 Minuten nachdem bei der Polizei der Notruf eingegangen war. Meyer zufolge war zuerst von «Bauschäden» die Rede. «Dass es so etwas Schreckliches ist, hat doch keiner gedacht.»