Zwischen Forschung und Weinberg
Naumburg. - Der Steinmeister ist der Lebensmittelpunkt von Professorin Dr. Maria Wartenberg, Professor Dr. Heinrich Sauer und Tochter Elisabeth. In den Naumburger Weinbergen findet sich die Familie freitags zusammen und verbringt die Wochenenden miteinander. Besonders in den Sommermonaten widmen sich die Akademiker hier handfester Beschäftigung. Sie arbeiten in den Weinbergen und Maria Wartenberg bedient die Gäste in der Straußwirtschaft. Sonntagabend heißt es dann wieder Abschied nehmen. Maria Wartenberg und Tochter nehmen die Bahn nach Berlin und Heinrich Sauer fährt mit dem Auto nach Gießen. Er lehrt und forscht an der dortigen Universität beziehungsweise im Physiologischen Institut. Die Physiobiologin Maria Wartenberg wurde erst kürzlich berufen an das Großforschungszentrum GKSS in Teltow. Tochter Elisabeth besucht die Kennedy-Schule in Berlin. Und obwohl das Akademikerpaar ein paar Hundert Kilometer von einander entfernt forscht, arbeitet man doch zusammen. Das passiert auf einem ganz besonders sensiblen Gebiet, der Stammzellforschung.
Der Physiologe Sauer ist einer von ganz wenigen Wissenschaftlern in Deutschland - genau genommen ist er der elfte - der Ende letzten Monats vom Robert-Koch-Institut die Genehmigung zur Stammzellforschung erteilt bekommen hat. Dafür war es nötig, dass eine positive Stellungnahme der Zentralen Ethik-Kommission für Stammzellforschung vorliegt. Das ist der Fall.
Der Genuss von Wein, davon ist der Weinbauer Sauer überzeugt, kann das Herzinfarktrisiko um 40 Prozent verringern. Deshalb trinkt er - in Maßen versteht sich - den eigenen Wein. Der Wissenschaftler Sauer beschäftigt sich im Rahmen seiner Forschungen mit den restlichen 60 Prozent Herzinfarktrisiko. Mit Hilfe der Stammzellen, die er nun aus den USA importieren darf, soll eine spezielle Heil-Methode entwickelt werden, die Infarktpatienten schnell und sicher hilft.
"Nach einem Herzinfarkt besteht häufig nur die Möglichkeit einer Organtransplantation", so Sauer. Das Problem dabei sei die akute Gefahr, dass das Transplantat abgestoßen wird. Außerdem stehen bei weitem nicht ausreichend Spenderherzen zur Verfügung. Demzufolge sei die medizinische Behandlung der Herzinfarkte nach wie vor noch nicht befriedigend gelöst. Der Wissenschaftler will mit seinem zehnköpfigen Forscherteam mit Hilfe der Stammzellen diesem Problem zu Leibe rücken.
Die so genannten totipotenten Stammzellen, die kurz nach der Befruchtung der weiblichen Eizelle gewonnen werden, sollen in die Lage versetzt werden, zerstörtes Gewebe wieder zu ersetzen - im konkreten Fall Herz- und Gefäßzellen. Letztere - und das ist der Forschungsauftrag, der vorerst über fünf Jahre läuft - sollen im Physiologischen Institut der Universität Gießen gezüchtet werden. Parallel dazu beschäftigt sich Maria Wartenberg mit neun weiterer Wissenschaftler im GKSS Forschungsinstitut Teltow mit diesem Thema. "Wir können uns bestens ergänzen, unter anderem auch, weil uns in beiden Instituten unterschiedliche Apparaturen zur Verfügung stehen und weil auch interdisziplinär geforscht werden kann", so die Physiobiologin. Was genau unternommen wird, damit eines hoffentlich nicht zu fernen Tages Patienten mit Herzinfarkt nur wenige Zellen injiziert werden können, die sich am kranken Gefäß oder Herzen andocken und es wieder gesund werden lassen, kann und will Sauer nicht verraten. "Die Konkurrenz ist groß, aber Konkurrenz belebt das Geschäft", meint er. "Die Schwierigkeit besteht darin, den Zellen die Richtung vorzugegeben, in die sie sich bewegen müssen." Im konkreten Fall den Weg ins Herz. Die Stammzellen, mit denen Sauer forscht, wurden aus Embryonen entnommen, die künstlich befruchtet wurden. In Deutschland ist die Gewinnung solcher Stammzellen bislang verboten.
Heinrich Sauer und Maria Wartenberg, die übrigens "ordentlich gemeldete Naumburger Bürger" sind, lernten sich vor 15 Jahren kennen. Er war damals Doktorand, sie Studentin an der Humboldt-Uni Berlin. Ein Ost-West-Studentenaustauschprogramm war quasi der Ehestifter. Forschung und Lehre würden beide gern gemeinsam an einem Ort betreiben, aber das ist derzeit nicht möglich. Also leben sie an den Wochentagen rund 400 Kilometer voneinander getrennt. Seit anderthalb Jahren widmet sich das Paar in der Freizeit nun auch noch dem Weinbau, der ja bekanntlich eine Wissenschaft für sich ist. Inzwischen hat sich die Straußwirtschaft Steinmeister als Geheimtipp herum gesprochen. Nicht zuletzt wegen des Weins, den man auch mit nach Hause nehmen kann: Riesling, Gewürztraminer, Müller-Thurgau und Silvaner liegen im Weinkeller. Und weil der Vorrat im letzten Jahr richtig knapp wurde, kamen zwei weitere Weinberge dazu, unter anderem in den Freyburger Schweigenbergen. Wenn die Familie in der Woche nicht vor Ort sein kann, kümmert sich der angestellte Winzer um die Tiere, das Grundstück und die Weinberge. "Meine Beschäftigung im Steinmeister ist der richtige Ausgleich zur wissenschaftlichen Arbeit", meint Maria Wartenberg. Die Gespräche mit den Gästen, manchmal auch zum Thema Stammzellforschung, hätten sie hin und
wieder auf neue Gedanken gebracht. "Wer ein Problem von außen betrachtet, hat oft eine unbefangenere Sichtweise."
Sieben Tage in der Woche Arbeit, wie ist das zu schaffen? "Andere gehen zum Ausgleich Joggen oder ins Fitness-Studio, wir arbeiten im Weinberg", meint Heinrich Sauer.