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Zwei Tage im Keller gewartet

Von Karin Großmann 28.01.2005, 18:17

Zeitz/MZ. - "Gewohnt haben wir in der Parkstraße", sagt Anneliese Rother. "Das Frisörgeschäft meines Vaters war aber in der Badstubenvorstadt." Den Herren- und Damen-Salon kennen viele Zeitzer heute noch. Schließlich gehörte er dann zur PGH Frisöre, und ihr Vater, Fritz Heinze, war deren Vorsitzender. Doch das sei lange her, mittlerweile seien die Häuser in der Badstubenvorstadt leer und verfallen.

Doch Anneliese Rothers Blick geht viel weiter zurück. Angeregt durch bereits veröffentlichte Beiträge über die Bombenangriffe auf Zeitz, denkt die heute 73-Jährige zurück an jenen schönen Sommertag im Jahr 1944. "Unsere Klasse war mit den Fahrrädern in den Zeitzer Forst zum Heilkräutersammeln gefahren", erzählt sie. Himbeerblätter pflückten sie zwischen Breitenbach und Schneidemühle, als Fliegeralarm ausgelöst wurde. "Wir haben von dort aus die Flugzeuge auf Zeitz zu fliegen sehen. Die suchten das Hydrierwerk", weiß sie noch genau. Die Maschinen wurden von Flakgeschützen angegriffen, manche getroffen. Und gerade deren Piloten ließen die Bomben fallen, ehe ihre Maschinen abstürzten.

Die Klasse machte sich mit den Fahrrädern zurück nach Zeitz. Von Großosida aus habe man gesehen, dass es an der Moritzburg brannte. "Ich möchte nach Hause", habe sie ihrer Lehrerin gesagt, weil sie Angst um ihre Familie hatte. Doch sie sollte erst noch mit in die Schule fahren, um die Heilkräuter zum Trocknen auszubreiten. Weil ihr danach jetzt gar nicht der Sinn stand, sei sie mit einer Mitschülerin in der Forststraße einfach in Richtung Heimat abgehauen.

Bis zur Albrechtstraße kamen sie, wo sich ein Menschenauflauf gebildet hatte und die Straße gesperrt war. "Es hat euer Haus getroffen", erfuhr sie, gemeint war das Geschäftshaus. Der Mutter sei aber nichts passiert. Weil ihr die Weiterfahrt verwehrt wurde, habe sie sich über Umwege zur Wohnung in die Parkstraße geschlichen. Die war unversehrt. Das Geschäftshaus in der Badstubenvorstadt aber hatte es erwischt. Ihre Mutter und die anderen Friseusen hatten sich im Keller in Sicherheit gebracht. Eine oben im Haus wohnende an Schüttellähmung erkrankte Frau verbrannte mit ihrer Pflegerin.

Nebenan im Eckhaus Badstubenvorstadt / Elsterstraße schlug eine Sprengbombe ein. Da wohnten die drei Brüder Fischer mit ihren Familien", erklärt Frau Rother. Von dem einem starben die Frau und drei Kinder, von dem anderen die Frau und ein Kind. In dem Haus wohnte auch Fischers Schwester mit ihrer Tochter. "Die kam bei Fliegeralarm aus Angst immer mit dem Fahrrad nach Hause, weil es ihr da draußen zu gefährlich war. Damals auch. Doch das überlebte sie nicht", erzählt die Augenzeugin. Frau Rother weiß noch, dass die in Fischers Haus geborgenen Leichen unter die Elsterbrücke gelegt wurden. Und sie erinnert sich daran, dass sich damals, als die ersten Bomben auf Zeitz fielen, keiner verantwortlich fühlte, die Brände zu löschen.

Der Vater, der eingezogen war, bekam jetzt Urlaub. Aus den Trümmern des Geschäftes holten die Eltern heraus, was noch zu gebrauchen war, damit die Mutter nun in der Parkstraße wieder provisorisch den Frisörsalon weiterführen konnte. Das Haus in der Badstubenvorstadt wurde erst 1955 / 56 wieder aufgebaut.

Auch an das Kriegsende, als die Amerikaner kamen, erinnert sich Anneliese Rother noch genau. Panzeralarm am 12. April 1945. Frauen und Kleinkinder brachten sich im Keller in der Parkstraße in Sicherheit. Schießereien waren zu hören auf der Straße. Man traute sich nicht heraus und wartete. Ihre Mutter erhielt die Nachricht, dass die Tür im Frisörgeschäft in der Parkstraße offen stand.

Die Mutter machte sich auf den Weg, um Hab und Gut zu sichern, ließ die 14-jährige Anneliese zurück. Stundenlang brauchte sie, um von Haus zu Haus durch die Kellergänge zurückzugelangen. "Wir blieben von Donnerstag bis Sonnabend im Keller", weiß sie noch genau. Als wir rauskamen, blühte alles im Hof", staunt Frau Rother noch heute. Die Amerikaner hatten die Wohnungen durchsucht. Wehe, wenn sie eine Nazifahne fanden. Dann randalierten sie. Heinzes ließen die Schranktüren offen und blieben davon verschont.

Die Elsterbrücken hatten die Deutschen selber gesprengt. Das hinderte die Amerikaner aber nicht, Zeitz einzunehmen. An einen Bombentrichter inmitten der Brücke erinnert sich Frau Rother noch heute. Trotz des Beschusses wollte ein Mann ans andere Ufer zu seinem Arbeitsplatz in der Fabrik gelangen. Seine Leiche ließen die Amerikaner tagelang im Trichter liegen.

Am 1. Juli wechselten die Besatzer. Die Amerikaner verschwanden, die Russen kamen. Das Leben fing allmählich wieder an. "Wir sind glücklich gewesen, dass wir alle überlebt haben", blickt die Augenzeugin zurück. Die Kriegsereignisse hätten sie geprägt und zu Pazifisten gemacht. "Für mich gibt es nicht einen einzigen Grund, um irgendein Problem in der Welt mit einem Krieg zu lösen."