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Schiffsuntergang überlebt Schiffsuntergang überlebt: «Plötzlich war das Geschrei verstummt»

Von Holger Zimmer 30.01.2002, 18:55

Uichteritz/MZ. - Hell erleuchtet reißt der untergehende Luxusliner "Titanic" 1912 im Atlantik 1 502 Menschen in den Tod. In unzähligen Filmen waren diese Bilder zu sehen. Doch was für manchen reine Unterhaltung ist, war 33 Jahre später für Gerhard Graßhoff grausame Wirklichkeit. "Wir sahen das Schiff, auf dem alle Lampen brannten, als es versank. Und plötzlich war das Gebrüll verstummt, das aus dem Innern drang." Am 30. Januar 1945 ging die "Wilhelm Gustloff" in der Ostsee unter. Nur 1 250 von weit über 6 000 Menschen überlebten. Das Gros von ihnen waren Flüchtlinge.

Zur Marine hatte der heute 79-Jährige schon immer gewollt. Bücher über den Ersten Weltkrieg begeisterten ihn wie viele seiner Generation. Ab September ''42 war er mit U-Boot 262 unterwegs vor Norwegen und bis vor die kanadische Küste. Graßhoff erzählt von Fliegerangriffen, Beschädigungen, die Eis beim Auftauchen verursachte, und Wasserbomben, die fielen. Ab Ende 1944 war er während der Ausbildung auf der "Gustloff" untergebracht. Mit ihr stach er an jenem 30. Januar in See. Wie schon im U-Boot-Krieg hatte der Uichteritzer wieder Glück, weil er an jenem Abend als Geschützführer Wache hatte. Schon auf dem Weg zum Vorschiff sagte er angesichts eines Rettungsfloßes an Deck: "Wenn was passiert, ist das unser." Ob er als 22-Jähriger schon so etwas wie eine Vorahnung hatte, weiß er heute nicht mehr zu sagen. Kurz nach 21 Uhr wurde das Schiff von drei Torpedos getroffen. Einer drang ungefähr dort ein, wo sich Graßhoffs Kammer befand. Es stürmte bei minus 18 Grad, und es herrschte Schneetreiben. Die Männer eilten zum Bootsdeck und konnten mit Schwierigkeiten eines der Rettungsboote zu Wasser lassen. Später überließ Graßhoff einer älteren Frau mit einem Jungen seinen Pelzmantel. Der Bug tauchte immer schneller in die Fluten. Schließlich griff der Uichteritzer ein Tau und kam mit Mühe in einem der Boote unter. Während Tausende, die offenbar im Schiffsinnern weiter an eine Rettung geglaubt hatten, zum Sterben verurteilt waren, konnte man sich entfernen. Später waren Blinkzeichen sichtbar, weil von einem anderen Boot ein Arzt gesucht wurde.

Das russische U-Boot S 13, das die "Gustloff" versenkte, brachte zehn Tage später auch für 3 600 Flüchtlinge auf der "General Steuben" den Tod. Trotz dieser Tragödien empfindet Graßhoff, der 48 Jahre in den Ketten- und Nagelwerken arbeitete, keinen Hass. "Es war Krieg, und wir konnten auch nicht fragen, ob Frauen und Kinder an Bord der Schiffe waren, die wir torpedierten." Filme über denU-Boot-Krieg könne er sich heute noch ansehen. Doch über den Untergang der "Gustloff" würde er am liebsten nicht sprechen, und wenn er abends an die Tragödie erinnert werde, könne er nicht schlafen.