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Erinnerungen an den 17. Juni 1953 Erinnerungen an den 17. Juni 1953: In der Nacht holten sie den Vater ab

Von Bärbel Schmuck 16.06.2003, 17:42

Weißenfels/MZ. - Am Vortag der Geburtstagsfeier ging ihr Vater, der Klempnermeister Otto Hirsch, nachmittags wie immer zum Skaten in die Gaststätte "Saalestrand". "Wir wohnten damals in der Kleinen Burgstraße bei meinen Eltern, im Eckhaus zum Georgenberg, das heute nicht mehr steht", blickt Inge Karger zurück. Als der Vater abends von seiner geselligen Runde nach Hause kam, berichtete er von einem Tumult und Menschenauflauf auf dem Weißenfelser Marktplatz. "Demonstranten forderten "Kommunisten raus! Nieder mit der DDR!"

"Leuna-Arbeiter wollten in die Stadt und an der Kundgebung gegen den Staat teilnehmen", so hatte der Vater, damals bereits 77-jährig, erfahren und die Familie informiert. "Doch soweit kam es gar nicht, weil russische Panzer aufgefahren waren und den Einmarsch der Arbeiter ins Zentrum verhindert hatten", berichtet Frau Karger. "Nach dem Familienfest wurde mein Vater von Männern in Zivil abgeholt. Es war nachts, als meine damals 70-jährige Mutter mich weckte und mir davon fassungslos und zitternd erzählte. Wie die Männer ins verschlossene Haus gekommen waren, wusste keiner. Jedenfalls kamen sie nicht durch die Tür, sondern hatten sich wie Diebe und Einbrecher über das flache Dach Zutritt in die Wohnung verschafft. "Wir vermuten, dass mein Vater zufällig, als er unterwegs zu seinen Skatfreunden in die Leipziger Straße war, auf dem Markt fotografiert wurde - deshalb zum Polizeirevier gebracht wurde und im alten Kloster eine Woche eingesperrt war." Inge Karger nennt das reine Willkür. Denn ihre Familie war kirchlich, und ihr Vater hatte als selbstständiger Handwerksmeister eine Klempnerei. Das alles passte nicht in das Konzept dieses Staates. "Die DDR war für meinen Vater ein rotes Tuch. Dies alles muss den Staatsdienern ein Dorn im Auge gewesen sein", glaubt sie. Als ihr Ehemann Joseph Karger im Polizeirevier fragte, warum sein Schwiegervater eingesperrt worden sei, erhielt er nur die Antwort: "Er kommt bald wieder frei." Als Robert Hirsch, einem ihrer Brüder, der Kragen platzte und der 48-Jährige losging, um den Vater heimzuholen, bewirkte er plötzlich dessen Freilassung und wurde dafür aber selbst festgehalten. Nach einer Woche kehrte der Bruder zurück und blieb lange wortkarg. Über seine Haft sprach er nie. Dafür musste Inge Kargers Bruder sogar ein Papier unterschreiben. Mehr erfuhren seine Eltern und Geschwister nicht.

Wenn die Weißenfelserin am Mittwoch mit Verwandten und Freunden ihren 80. Geburtstag feiert, wird sie an die schlimmen Ereignisse zurückdenken. "Ich wünsche mir nichts anderes als Frieden, Harmonie, Gesundheit und dass meine Familie immer einig bleibt", sagt sie.