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Burgenlandkreis Burgenlandkreis: Unbequemer Holzwurm erfindet neue runde Ecken

Von YVETTE MEINHARDT 05.11.2010, 17:23

PIRKAU/MZ. - An diesem Morgen hängt Roland Meuche immer wieder am Telefon. Die einzige Straße, die den kleinen Ort Pirkau mit der Außenwelt verbindet, soll ab nächster Woche gesperrt werden. Längst macht dieses Gerücht im 66-Seelen-Ort die Runde, doch offiziell weiß niemand was. Weder im Zeitzer Rathaus, noch in der Straßenmeisterei Zorbau oder im Landesbauamt Halle erhält der Ortsbürgermeister Auskunft. Schließlich zeigt eine Mitarbeiterin im Landesamt Mitleid und antwortet, ja die Straße werde für drei Wochen komplett gesperrt. Doch eigentlich dürfe sie nicht einmal das sagen, solche Angelegenheiten seien Chefsache.

Das kleine Pirkau wurde in der großen Politik wieder einmal vergessen. Doch vielleicht liebt der 44-Jährige gerade deswegen seinen Heimatort. Seit 20 Jahren ist er hier Bürgermeister, das brachte ihm "viel Ärger und Arbeit" ein. Doch trotzdem habe er manches für sein kleines Dorf erreicht. Gleich nach der Wende wurde der einzige Wohnblock saniert. Mit der eigenen biologischen Kläranlage weit und breit sorgte der Ort für Aufsehen und für stabile Abwasserpreise. Die Dorfstraße konnte im letzten Jahr gerade noch erneuert und aus der Feuerwehr ein Bürgerhaus errichtet werden. Doch mit der Eingemeindung nach Zeitz wurde der einst selbstständig agierende Bürgermeister all seiner Kompetenzen beraubt. Meuche spricht sogar von "Enteignung". "Wir hatten meist etwa 25 000 Euro im Haushalt. Das war zwar nicht viel, aber wir kamen damit gut aus", sagt Meuche. "Jetzt hat die große Stadt Zeitz nicht mal ein Gerät für unseren Spielplatz übrig." Gespannt schaut er auf den bevorstehenden Winter. "Wenn es früher schneite, hab ich an meinen kleinen Traktor ein Schiebschild gemacht und bin einmal die Dorfstraße hoch und runter gefahren. Das war unser Winterdienst", erzählt Meuche. Jetzt werde jemand von Zeitz geschickt. So entstehen für Fahrweg, Arbeitskraft und Arbeitszeit schon Kosten, ohne dass eine Schneeflocke beräumt wird oder im Sommer ein Grashalm gemäht ist.

Ein verschmitztes Lächeln huscht über Meuches Gesicht. Nein, einfacher sei es nach der Eingemeindung nicht geworden. Doch mit Schwierigkeiten leben die Pirkauer schon immer, und Meuche bringen Herausforderungen nicht aus der Ruhe. "Zwei Jahre lang habe ich zu DDR-Zeiten um meinen Gewerbeschein gekämpft und ihn schließlich vor der Wende 1989 erhalten", sagt der 44-Jährige. Schon seit der siebenten Klasse stand für ihn fest, dass er Tischler werden möchte.

Bis 1985 lernte er in Deuben Bautischler, machte danach seinen Meister und hatte schon mit 24 Jahren seine ersten Angestellten. "Meine Arbeit ist mein Hobby, mein Leben", sagt er mit seiner heutigen Erfahrung. Aus einem alten Rinderstall entstand die Werkstatt. Das private Wohnhaus wächst heute parallel dazu, immer Schritt für Schritt, so weit der Betrieb Zeit dafür lässt.

Gerade in diesen Tagen steht der Tischlermeister vor einer neuen Aufgabe. Die Sanierung einer großen Schule in Naumburg fordert sein ganzes handwerkliches Geschick. 100 Jahre alte Türen liegen zur Aufarbeitung in der Werkstatt. Doch die eigentliche Herausforderung sind "runde Ecken". Etwa 70 Stück davon werden als Sockel für das Baudenkmal benötigt. "Ich kenne niemanden, der so etwas fertigt. Also habe ich mir viele Gedanken gemacht und extra eine Maschine bauen lassen", verrät der Pirkauer.

Die Zeit verrinnt wie im Flug. So greift Ehe- und Geschäftsfrau Kathrin Meuche zu den runden Ecken und fährt schon mal zur Baustelle. Die Werkstatt ist mehr als eine Firma. Das Büro gleicht einer Wohnküche, wo schon mal der Ortschaftsrat über die Geschicke des Dorfes entscheidet. Der Blick schweift ins Grüne. Ein kleiner Garten spricht Bände: Die Familie verbringt ihren Alltag in der Firma. Hier wachsen Kräuter und Bonsai nebeneinander. Für heiße Tage gibt es eine kalte Dusche. Und auch die Fotos der kleinen Enkeltochter hängen in der Büro-Küche. Der inzwischen erwachsene Sohn lernte zwar hier, doch ging dann eigene Wege. "Man muss kein Prophet sein, um vorherzusagen, dass unser Dorf in naher Zukunft nur noch die Hälfte der Einwohner zählt. Aber Heimat ist für mich Heimat", sagt Roland Meuche.