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Wittenberger Zentrum Wittenberger Zentrum: "Wbmotion" erweitert die Stadtraumgalerie

Von Corinna Nitz 12.10.2015, 07:01
Die vom Verein „Wbmotion“ initiierte Stadtraumgalerie ist um ein Werk reicher. Geschaffen hat es Andreas von Chrzanowski, auch unter dem Künstlernamen Case Ma’claim bekannt. Das Werk trägt den Titel „Segregation“ und ist in der Wittenberger Collegienstraße 86 zu sehen.
Die vom Verein „Wbmotion“ initiierte Stadtraumgalerie ist um ein Werk reicher. Geschaffen hat es Andreas von Chrzanowski, auch unter dem Künstlernamen Case Ma’claim bekannt. Das Werk trägt den Titel „Segregation“ und ist in der Wittenberger Collegienstraße 86 zu sehen. Thomas Klitzsch Lizenz

Wittenberg - Das Haus Collegienstraße Nummer 86 in Wittenberg hat gewiss schon bessere Zeiten erlebt. Es ist nicht so, dass in ihm kein Leben wäre, im Gegenteil. Im Erdgeschoss etwa gibt es einen Imbiss, nebenan eine Parfümerie. Aber seit vor zwei Jahren der Abriss des Nachbarn beschlossen (und längst in die Tat umgesetzt wurde), weil man Nummer 87 Einsturzgefahr attestiert hatte, ist, was auf dieser Seite innen war, nun außen: Nummer 86 hält ihre offene Flanke über eine Brache.

Populäres Werk

Ende August jedoch hat sich Andreas von Chrzanowski die Giebelwand angeeignet. Bekannt ist der Mann, der in Frankfurt am Main lebt, auch unter dem Künstlernamen Case Ma’Claim. Er gehört zur „Maclaim Crew“, die sich im Jahr 2000 gründete und als Vorreiter monumentaler, fotorealistischer Darstellungsformen in der Graffitiszene gilt. Mit einem Hubsteiger hat er sich also nach oben fahren lassen und Hausnummer 86 ein faszinierendes Bild verpasst: Es zeigt eine kräftige Hand, deren Zeigefinger sich von oben in ein Buch schiebt und die Seiten auseinanderdrückt. Sein Werk trägt nach Auskunft von Tina Kraatz und Filipe Pinheiro vom Verein „Wbmotion“ den Titel „Segregation“.

Das Wort leitet sich vom lateinischen segregare ab und bedeutet soviel wie absondern oder trennen. Welches Buch es ist, bleibt offen, doch steht zu vermuten, dass es sich um die Heilige Schrift handeln könnte. Die Arbeit ist innerhalb des von „Wbmotion“ entwickelten Kunstprojektes „Kura“ entstanden, einer Initiative, die seit 2013 den Stadtraum zur Galerie macht und für die Vermieter Flächen zur Verfügung stellen. Zu den populärsten Werken gehört in der Sternstraße das Bild von DDR-Grenzer Conrad Schumann, sein „Sprung in die Freiheit“ am 15. August 1961 in Berlin. Als es 2014 fertig wurde, vermutete Hans Keller (Wittenberger Wohnungsgenossenschaft mbH), dass der springende Schumann das Bild sei, „das am meisten zu Diskussionen anregt“. Das „Kura“-Thema 2015 lautete „Wie inspirieren wir 500 Jahre danach“? Reform, so heißt es auf der Website von „Wbmotion“ unter Hinweis auf den Reformator Martin Luther, sei ein Wort, das darauf wartet, „in all seinen intervenierenden Aspekten gebraucht zu werden und dabei starre Ideen und Ideale auflockert“.

Unter dem Motto „Jenseits der Retina“ firmiert ein von Filipe Pinheiro kuratierter Installationszyklus, den der Verein „Wbmotion“ seit Mai am Markt 3 in Wittenberg zum Cranachjahr präsentiert. Das um 1554 errichtete Selfisch-Haus, benannt nach dem Buchdrucker und Verleger Samuel Selfisch, der es 1564 erwarb, hatte wechselnde Besitzer. Noch bis 19. Oktober ist nun die jüngste und abschließende Arbeit zu sehen: „Moment - Monument“ stammt von dem portugiesischen Künstler João Ferro Martins. Er hat eine Holzskulptur entwickelt, die dem Originalportal ähnelt, das sich an dem Haus befand. Im Schaufenster nebenan gibt es Infos über die Idee, welche dieser Arbeit zugrunde liegt.

Der Verein „Wbmotion“ ist seit acht Jahren in Wittenberg aktiv, dabei aber national und international gut vernetzt. Zu den Förderern seiner Projekte gehören neben der Stadt Wittenberg unter anderem die Landeskulturstiftung sowie die Europäische Union.

Letzteres lässt sich durchaus für die Arbeit des Vereins sagen. Kraatz und Pinheiro suchen den erfrischenden Zugriff auf Tradiertes, besonders auffällig war das in diesem Jahr nicht zuletzt bei „Jenseits der Retina“, einem ausgesucht experimentellen Projekt in Kooperation mit dem Landesausstellungsprojekt „Cranach-City“. Dabei haben sich sechs Künstler auf ganz unterschiedliche Weise in sechs Interventionen am sogenannten Selfisch-Haus am Markt 3 in Wittenberg mit der Historie der Immobilie und ihrer einstigen Bewohner beschäftigt. Nicht immer erschloss sich auf Anhieb, was gemeint war, aber darum gehe es nicht primär. Wenn ein Passant gefragt hat, was das denn bitteschön sei (und das kam vor), habe er, Pinheiro, zurückgefragt: „Was siehst Du denn?“

So eine Reaktion ist auch immer eine Einladung zum Dialog, darum geht es, wenn Kunst Galerien und Museen verlässt und sich auf die Straßen, in den öffentlichen Raum begibt. Am Ende jedenfalls habe „Jenseits der Retina“ seine Anhänger gefunden, die zu den Vernissagen zum Haus am Markt 3 gekommen waren (siehe „Zu sehen bis 19. Oktober“). Mehrere Tausend Zuschauer waren es laut Kraatz am 2. und 3. Oktober bei den letzten Aufführungen von „Ligdraca“, jener Multimediaperformance am und vor dem Alten Rathaus, die Pinheiro konzipiert und mit internationalen Künstlern realisiert hat. Inzwischen gebe es erste Anfragen aus anderen Städten, sagt er und auch dies: „2015 war ein erfolgreiches Jahr. Wir haben viel produziert.“

Langer Vorlauf

Dass die meisten Projekte einen langen Vorlauf brauchen, ist klar, was in diesem Jahr zu sehen war, sei bereits ab 2013 vorbereitet worden. Für 2016 sei man auf gutem Weg - und dann bringen sie sich 2017 ein. Es bleibt also spannend. Sowohl im Hinblick auf Aktivitäten wie jene von „Wbmotion“, als auch grundsätzlich. Zuletzt ist das Reformationsjubiläum ja wie berichtet vor allem wegen ausufernder Kosten in die Schlagzeilen geraten. (mz)

Sie bringen Kunst in den öffentlichen Raum: Tina Kraatz und Filipe Pinheiro vom Verein „Wbmotion“.
Sie bringen Kunst in den öffentlichen Raum: Tina Kraatz und Filipe Pinheiro vom Verein „Wbmotion“.
Thomas Klitzsch Lizenz