Werkssiedlung Werkssiedlung : Gartenstadt Piesteritz

Wittenberg - Wenn das keine Ehre ist! Ein Hauch von Expo 2000 weht 2019 über der Werkssiedlung Piesteritz. Zur Jahrtausendwende war die Wohnstatt vor den Toren des großen Chemiewerks Korrespondenzstandort der Weltausstellung in Hannover, jetzt soll sie vom Bauhaus-Jubiläum profitieren.
Schon auf den ersten Blick alles andere als „Bauhaus“ ist die historische Piesteritzer Siedlung Teil eines bundesweiten Projekts der Fest-Veranstalter von „Hundert Jahre Bauhaus“, das insbesondere vom Bund und den Ländern Sachsen-Anhalt und Thüringen unterstützt wird, die bekanntlich mit Weimar und Dessau zwei der drei Bauhaus-Hochburgen - neben Berlin - aufweisen: Als „Gartenstadt Piesteritz“, ein in der hiesigen Region eher nicht so geläufiger Name, ist unsere Werkssiedlung Teil einer „Grand Tour der Moderne“.
Die verbindet „bedeutende und zugängliche Gebäude, die zwischen 1900 und 2000 erbaut wurden, zu einem Streifzug durch 100 Jahre Architekturgeschichte“, wie es in der Selbstbeschreibung des Projektes heißt. Seite an Seite mit 99 weiteren Zeitzeugen aus dem genannten Jahrhundert, darunter Promis wie die Gartenstadt Hellerau, Bauhaus und Meisterhäuser in Dessau, die Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche und das Zeiss-Planetarium Jena sowie aus jüngerer Zeit der Teepott in Warnemünde, das Bundeskanzleramt und das Umweltbundesamt in Dessau, wird zur Besichtigungstour nach Piesteritz eingeladen. Bis heute, heißt es in der Darstellung der Werkssiedlung unter Punkt G wie Gartenstadt (siehe ), handele es sich um ein „Vorzeigeprojekt“.
Daran gab es in der Praxis zuletzt freilich erhebliche Zweifel. Und das hat nicht nur damit zu tun, dass sich das Herz der Siedlung, der „Piesteritzer Hof“, als offenkundig gastronomisch unregierbar erweist - ein Pleitier folgt dort dem nächsten. Immer wieder wurden in den vergangenen Jahren Klagen von Mietern über den Zustand der Anlage laut, es geht um Müll und um Unkraut und überhaupt um Unordnung, wie der Piesteritzer Stadtrat Heiner List (AdB) nicht müde wird zu betonen. Zwischendurch schwappte, das ist nun aber auch schon wieder ein paar Jahre her, ein bizarrer Streit ums Gartenwasser in die Zeitung.
Nicht mehr Deutsche Wohnen
Zum Jahreswechsel hat die historische Siedlung nun erneut einen Wechsel erfahren. Vermieter ist nicht mehr die umstrittene Deutsche Wohnen, über deren Enteignung im rot-rot-grün regierten Berlin derzeit sehr laut nachgedacht wird, sondern das Unternehmen ZBVV aus Erlangen, das ebenfalls bundesweit tätig ist und mehrere zehntausend Wohnungen verwaltet, 40000 sind es den Angaben zufolge. ZBVV wiederum ist eine Tochter der ZBI Immobilien Gruppe - ebenso die ZBI Fondsmanagement AG, die nun, für ihre Anleger, die neue Eigentümerin der Werkssiedlung ist.
Es handele sich um attraktive Wohnungsbestände, sagte Bernd Ital, Vorstand der ZBI Immobilien AG, gegenüber der MZ. Wobei die Historie der Siedlung ein Pluspunkt obendrauf sei. „Wir wollen noch glücklichere Mieter haben“, versicherte er übrigens, und „natürlich“ auch investieren. Angesprochen auf Kritik am Zustand der Siedlung sprach er von „Einzelfällen“.
Fragt man Mieter, versprechen die sich eher wenig von den Neuen. Die Anlage werde seit Jahren „gänzlich auf Verschleiß gefahren“, sagt einer, der dort seit rund zwei Jahrzehnten zu Hause ist, es gehe nur um „Gewinnmaximierung“. Die „Wohnqualität sinkt spürbar“, findet der Familienvater, der, wie er auch sagt, aber trotzdem noch gern dort wohnt. Sanierungsstau, mangelnde Visionen, die es einst doch gegeben habe, Leerstand und teils Verwahrlosung kritisiert der Mieter. Eine Anlage wie die Werkssiedlung könne man eben nicht mit der normalen Verwaltung von Mietverhältnissen auf Vordermann halten.
Dass auch der neue Vermieter beziehungsweise Verwalter als Ansprechpartner bei Problemen auf auswärtige Adressen verweise, gebe keinen Anlass zu Optimismus, hier könnte sich etwas ändern. Im Übrigen seien sich leider auch manche Mitmieter nicht bewusst, in was für einem besonderen Objekt sie da lebten, kritisiert er etwa unangemessene Neupflanzungen und Fällungen in den Privatgärten: „Wie kann man einer Gartenstadt so etwas antun, wie kann man als Vermieter so etwas zulassen?“
Gruppe bereitet Fest vor
Gefeiert werden soll in diesem Jahr aber so oder so: Nicht nur das Bauhaus, auch die Werkssiedlung Piesteritz, errichtet zwischen 1916 und 1919 für die Beschäftigten des Stickstoffwerks, wird schließlich 100 Jahre alt. Als Termin für ein Festwochenende wurde bereits der 7. und 8. September ausgewählt, hieß es in dieser Woche auf Anfrage der MZ bei der Stadt - zeitgleich mit der Eröffnung des Bauhaus-Museums in Dessau und dem Tag des offenen Denkmals, so Stadt-Sprecherin Karina Austermann. Im Januar hätten sich die insgesamt 20 verschiedenen Akteure, darunter örtliche Vereine, die Wittenberger Bäderbetriebe, Kirche, SKW und Touristen-Info, erstmals getroffen; auch die neue Siedlungsverwaltung habe sich „offen und interessiert gezeigt“ am Jubiläum.
„Es wird eine Grand Tour durch die Werkssiedlung geben“ und zahlreiche weitere Veranstaltungen, so Austermann, gegebenenfalls ließen sich auch Gärten und Wohnungen zum Betrachten öffnen. Das Programm werde in den nächsten Monaten unter Federführung von „WittenbergKultur“ erarbeitet. Die Stadt, die ungeachtet ihres klammen Haushalts selbst einen kleinen Beitrag beisteuert, hofft, wie es hieß, auch auf Sponsoren und die Einwerbung von Fördermitteln. (mz)