Vor 100 Jahren Was Zeitungen 1921 über Lebenshaltungskosten, Kartoffeldiebe und die Friseur-Fachschule in Wittenberg berichteten

Wittenberg/MZ - Der Herbst 1921 war geprägt von den bereits stark steigenden Lebenshaltungskosten. Lebensmittel und andere Dinge des täglichen Bedarfs wurden durch zunehmende Geldentwertung immer teurer. Neben den Arbeitern im Handwerk versuchten vor allem jene in der Industrie höhere Löhne durch Verhandlungen oder Streiks zu erlangen. Von einer „gewaltigen Kundgebung der Chemieangestellten“ im „Volksgarten“, einer „kombinierten Betriebsversammlung sämtlicher hiesiger Chemie-Betriebe“ berichtete das Wittenberger Tageblatt am 9. Oktober 1921.
Obwohl kontrolliert wurde, dass nur Angehörige der in Frage kommenden Betriebe eingelassen wurden, erwies sich der Saal als zu klein. Thema waren die Verhandlungen mit dem Arbeitgeber-Verband, dessen Angebot „ganz entschieden als völlig unzureichend abgelehnt wurde“. In der Entschließung hieß es, dass das Angebot „keineswegs der herrschenden Teuerung entspricht“ und es als unzulänglich zurückgewiesen wurde.
Kostbares Gut gestoppelt
Oft blieb zur preiswerten Versorgung mit Lebensmitteln nur das „Kartoffelstoppeln“. „Täglich ziehen die Stoppler aus und bringen zentnerweise ihr kostbares Gut zurück“, schrieb das Tageblatt am 14. Oktober aus Kleinwittenberg. „Das Bedauernswerte ist nur, daß diese Gelegenheit kinderreiche Familien am wenigsten wahrnehmen können, denn jetzt hat bereits der Unterricht wieder begonnen.“ Die Fähre am Hafen befördere täglich 15 bis 20 Familien „und deren Verdienst ist - umgerechnet auf den jetzt geforderten Preis - mehr als ein Tageslohn“.
Mancher versuchte jedoch auf unredliche Art und Weise an Essen zu kommen. „Ein vierblättriges Kleeblatt von Kartoffeldieben ist gestern von der hiesigen Kriminalpolizei ermittelt worden“, berichtete die Allgemeine am 28. Oktober. Dieselben hatten „eine Kartoffelmiete der Kriegerwitwe Lehmann, Reinsdorferweg 30, in der sich etwa 8 - 10 Zentner Saatkartoffeln befanden, vollständig ausgeraubt.“ Die Kartoffeln konnten zum Glück sämtlich wiederbeschafft werden.
Am 3. Oktober veranstaltete die Wittenberger Friseur-Innung eine Ausstellung von Haararbeiten und erstmals ein Preisfrisieren der Schüler der Fachschule. Anlass war das 32-jährige Bestehen der hiesigen Fachschule. „Es hatten 40 Modelle an den Tafeln Platz genommen“, berichtete die Allgemeine. „Nach den Klängen eines Marsches in Reih und Glied erschienen 40 Schüler in sauberer Berufskleidung und begaben sich an ihre Plätze. Zur Herstellung einer einfachen Frisur betrug die Zeit 20, für eine gebrannte 30 Minuten.“ Zudem hatten 41 Schüler insgesamt 66 Haararbeiten zur Prämierung ausgestellt.
Neben Gemeinden stifteten in jener Zeit viele Vereine Ehrentafeln für die gefallenen Mitglieder, so auch der Ruderclub Wittenberg. Über die Enthüllungsfeier zwei Tage zuvor berichtete die Allgemeine am 4. Oktober. Diese fand „in Gegenwart zahlreicher Angehöriger der Gefallenen, der Mitglieder und Freunde des Vereins statt“. Der Vorsitzende „Herr Kaufmann Gustav Holtzhausen eröffnete sie mit warmherziger Begrüßung der Erschienenen und ließ die schlicht-einfache und doch so sinnig-eindrucksreiche Ehrentafel enthüllen“. Acht Namen trug die Tafel. Die Kosten waren durch freiwillige Beiträge der Mitglieder gedeckt worden.
Vom Fuhrwerk überrollt
Für den ein Jahr zuvor gegründeten Briefmarkensammler-Verein Wittenberg war es Zeit für die erste General-Versammlung im Vereinslokal „Zur Sonne“. Der Verein habe in seinem ersten Jahr „erfreuliche Fortschritte gemacht“, zitiert das Tageblatt am 12. Oktober den ersten Vorsitzenden Formella. „Die ständig zugenommene Mitgliederzahl beweist, daß auch in unserer Stadt das Interesse am Sammelsport lebendiger geworden ist.“
Tot auf seinem Fuhrwerk wurde der 1904 in Wittenberg geborene Fritz Hilbrecht gefunden. Der junge Mann, wohnhaft in der Sternstraße, war „früh nach Bergwitz gefahren, um Kohlen zu holen und befand sich auf der Rückfahrt zwischen Eutzsch und Pratau, wo H. als schlafend in der Schoßkelle sitzend beobachtet. Bei der Durchfahrt durch Pratau fiel dem Gastwirt Horn das Gespann auf und hielt derselbe es an“, so das Tageblatt am 2. Oktober. Man trug den Mann in die nahe Schmiede und holte ihn, da er offenbar ohnmächtig war, einen Arzt. Doch der Kutscher war tot. Offenbar vom eigenen Gespann überfahren, hatte er sich auf das Fuhrwerk geschleppt, die Pferde waren weitergefahren. „Unser Dorfbild erfährt jetzt - nach sehr langer Zeit - durch die Elektrifizierung unserer Ortschaft eine Aenderung“, meldete die Allgemeine aus Trajuhn am 2. Oktober. „Nachdem bereits seit einiger Zeit sämtliche Masten errichtet wurden, dürfte auch demnächst das Transformatorenhaus, das mitten im Dorfe erbaut wird, fertiggestellt sein. Nicht lange mehr wird es dauern, wo unsere Bewohner endlich sagen können: Licht im Hause.“
Seltene Jubiläen
Erfreuliches berichtete die Allgemeine am 5. Oktober aus Zschornewitz. „Nun ist wieder ein wesentlicher Schritt zum Ausbau unserer Kolonie getan worden: das Markthaus ist vollendet und kann nun seine vielgestaltige Bestimmung erfüllen. Da wären zunächst die großen für das Kaufhaus Salzmann bestimmten Räume zu erwähnen“, hieß es. „Vor allem aber wird auch die Wohnungsnot gelindert, da das Markthaus einerseits selbst Familienwohnungen enthält und an-dererseits durch Büroräume für die Kolonieverwaltung und Zimmer für die unverheirateten Angestellten“ andere Wohnungen für Familien freimache.
„Am 1. Oktober feierte unser Mitbürger, Herr Bäckermeister Louis Arendt, sein 50jähriges Geschäfts-Jubiläum“, so die Allgemeine am 5. Oktober aus Coswig. Ein Jubiläum gab es auch in Oranienbaum, das Tageblatt schrieb am 7. Oktober: „Am 6. Oktober feiert Kommissionsrat Otto Gaudig (86 Jahre alt, Ehrenbürger von Oranienbaum) und seine Ehefrau Emilie (85 Jahre) in Oranienbaum, in körperlicher und geistiger Frische die diamantene Hochzeit.“ Ein zu jener Zeit wirklichseltenes Fest