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Mit Konflikten umgehen Warum Schüler der Wittenberger Pestalozzi-Schule ein Projekt zum Antigewalttraining durchführen

In der Förderschule Pestalozzi läuft aktuell ein Projekt, das die soziale Kompetenz der Schüler fördern soll. Antigewalttrainer arbeitet mit den Kindern.

Von Marcel Duclaud 23.11.2021, 08:49
Übung mit Körpereinsatz, rechts Antigewalttrainer Karsten Bischof. Es geht um den Umgang mit bedrohlichen Situationen.
Übung mit Körpereinsatz, rechts Antigewalttrainer Karsten Bischof. Es geht um den Umgang mit bedrohlichen Situationen. Foto: Marcel Duclaud

Wittenberg/MZ - Die Bus-Szene kennen die Schüler schon: Vier Typen bedrängen ein Mädchen, verbal, körperlich. Sie weiß zunächst nicht, wie sie reagieren soll. „Was ist zu tun, um gar nicht erst in solch eine Situation zu kommen“, fragt Karsten Bischof. „Laut schreien“, sagt die Schülerin. „Aussteigen“, bemerken andere. Ignorieren? Eher nicht, erklärt Bischof, ein ausgebildeter Antigewalttrainer. Seine Empfehlung lautet: Öffentlichkeit herstellen. Passanten oder Mitfahrer im Bus gezielt ansprechen, damit es ihnen schwerer fällt, sich einfach herauszuhalten.

Hilfen an die Hand geben

Bischof, der bekanntermaßen auch politisch aktiv ist in der Region, im Kreistag, im Stadtrat, ist an diesem Vormittag in die Förderschule Pestalozzi in Wittenberg gekommen. Es geht ihm darum, Kinder mit solchen schwierigen Situationen zu konfrontieren und ihnen Hilfen an die Hand zu geben, damit umzugehen.

Es ist nicht nur ein Vormittag, den der Trainer an der Schule verbringt. Ganze 70 Stunden umfasst ein Projekt, das noch bis Ende November läuft. Finanziert wird es nach den Worten von Alexander Bergner über ein Förderprogramm, das es ermöglicht, coronabedingte Defizite auszugleichen. Bergner spricht von „sozialem Kompetenztraining“. Es gehe um die Stärkung der Persönlichkeit, um die Unterstützung der Entwicklung der Schüler, aber auch darum, mit Konflikten umgehen zu lernen.

Dass es nicht ganz einfach ist für manche Schüler, sich nach dem Distanzunterricht wieder zurechtzufinden in den Schulstrukturen, sei verschiedentlich zu beobachten, berichtet Bergner. Es gelte, das Klassengefüge wieder herzustellen, die Regelmäßigkeit zu verinnerlichen, Störungen des Unterrichts zu beheben. Dass manche Kinder sich jetzt schnell überfordert fühlen, sei zu merken.

Von gesunkener Frustrationstoleranz spricht Schulsozialarbeiterin Annemarie Steiner. Sie sagt auch: Sie könne prima anknüpfen an das, was Karsten Bischof mit den Schülern erarbeitet. Bergner nennt das Programm, das über die Salus gGmbH läuft, die unter anderem in Pretzsch ein Kinder- und Jugendheim betreibt, „Türöffner zum Weiterarbeiten“.

Nicht zuletzt den Lehrern sollen die „vorgestellten Methoden zur Bedürfnis-, Impuls- und Aggressionskontrolle“ in ihrem Schulalltag helfen. Längerfristig ist auch die Ausbildung von Streitschlichtern vorgesehen.

Vertrauen üben

Am Anfang ist Bischof in alle Klassen der Förderschule Pestalozzi gegangen. Um das Klima kennenzulernen und Konflikte zu identifizieren. Intensiver wird dann mit denen gearbeitet, wo der Bedarf größer ist. Auch die Eltern sollen einbezogen werden.

Der Antigewalttrainer selbst spricht ganz allgemein von einer Zunahme gewalttätiger Übergriffe - und von jünger werdenden Tätern. Zu beobachten sei etwa eine „starke Sexualisierung“ und niedriger Sprachgebrauch. Was es brauche, sei „eindeutiges, berechenbares, konsequentes, Grenzen setzendes Handeln der Bezugspersonen“. Zum Programm gehören unter anderem das Training von Körpersprache und Kommunikation. Auch um Deeskalation und Empathie geht es.

„Bist Du schon einmal verletzt worden - und hast Du jemanden verletzt“, fragt Bischof die Kinder der Klasse, die er jüngst besucht hat. Sie sollen genau zeigen, wo am Körper. Am Bauch, sagt einer der Jungs, ein anderer weist auf seine Nase. „Ich wurde beleidigt und gehauen“, berichtet ein dritter. Und hast Du geschlagen, wie ging es Dir dabei? „Schlecht“, räumt der Junge ein: „Aber es war Notwehr.“

Eine nächste Übung befasst sich mit Vertrauen. Eines der Mädchen soll sich tragen lassen von ihren Mitschülern. Wie es ihr dabei geht, will Bischof wissen? „Ich habe mich sicher gefühlt, der Klasse kann man vertrauen.“ Eine schöne Erkenntnis.