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Vierfach-Grippeschutz Vierfach-Grippeschutz: Weil eine Ärztin letztes Jahr impfte, soll sie jetzt zahlen

Von Irina Steinmann 20.11.2018, 10:31
Cornelia Wasmeier hat ihre Patienten bestmöglich gegen Grippe geimpft. Das erweist sich für sie jetzt als Bumerang: Sie soll zahlen.
Cornelia Wasmeier hat ihre Patienten bestmöglich gegen Grippe geimpft. Das erweist sich für sie jetzt als Bumerang: Sie soll zahlen. Thomas Klitzsch

Wittenberg - Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben, lautet ein Bonmot aus Wendezeiten. Es gilt aber auch andersherum. Diese Erfahrung hat die Wittenberger Ärztin Cornelia Wasmeier machen müssen: Sie hat ihren Patienten einen Vierfach-Grippeschutz verabreicht, doch dies ist erst seit diesem Jahr erlaubt.

Pech für Wasmeier, die sich nun mit Regressforderungen in fünfstelliger Höhe konfrontiert sieht. Allein knapp 10.000 Euro stehen der Ärztin zufolge für 2016/2017 zu Buche; über die Folgezeit bis zur Zulassung des Vierfach-Impfstoffs 2018 sei noch nicht entschieden, sie rechne aber mit weiteren 12.000 Euro an Rückforderungen, sagt sie.

Und zeigt sich kämpferisch. Wiewohl sie die Argumentation ihrer Gegner auf dem Papier für korrekt hält („Auch 2017/2018 habe ich wieder Vierfach-Impfstoff verwendet, obwohl ich das nicht durfte“) wehrt sie sich gegen die Zahlungsaufforderung, gegen die ihr letzter Widerspruch läuft.

In dritter Generation

Warum aber setzt man Mittel ein, wohl wissend, dass dies nicht erlaubt ist? Die Medizinerin, die einst als Kinderärztin startete und seit knapp 29 Jahren als niedergelassene Ärztin praktiziert, möchte die Frage umdrehen. „Wenn ich etwas Besseres weiß und etwas Besseres habe“, könne sie dies ihren Patienten doch nicht vorenthalten, sagt sie - Menschen, jungen wie alten, die ihr vertrauen würden und die sie teils schon in dritter Generation in Piesteritz betreue. Heute hat sie ihre Praxis im modernen Gesundheitszentrum bei SKW.

2015/2016 hatte sie Privatpatienten, ihr Personal und sich selbst bereits mit dem Vierfach-Impfstoff gegen Grippe geschützt. Szenen, die sich in ihrer Praxis abspielten, hätten sie in ihrer Auffassung bestärkt, dass das eine gute Sache ist. „Die Leute sind umgefallen wie die Fliegen“, sagt sie mit Blick auf ein besonders schlimmes Grippejahr.

Da sei ein Kind mit vereiterter Lunge gewesen, eine 30-Jährige habe unter Halluzinationen gelitten. 2016/ 2017 hat sie rund 800 Dosen verabreicht - und alle diese Kassenpatienten zu „Einzelfällen“ gemacht mit entsprechender medizinischer Begründung - Einzelfälle sind nämlich damals schon erlaubt gewesen als Empfänger des Vierfach-Impfstoffes.

Die Prüfungsstelle bei der Kassenärztlichen Vereinigung in Magdeburg hat das wenig beeindruckt. Im Gegenteil. Auf Antrag der „Rezeptprüfstelle Duderstadt“, die den „Sprechstundenbedarf“ sämtlicher Ärzte abrechnet, in Wasmeiers Fall also auch den in Rede stehenden Impfstoff, hat sie die Wittenbergerin Ende Oktober zu der eingangs genannten Zahlung von knapp 10.000 Euro verdonnert.

Die von der Ärztin ins Feld geführten Gründe seien nicht relevant, da als Sprechstundenbedarf nur „verordnungsfähige Mittel“ zulässig seien. „Der von der Praxis verordnete tetravalente Impfstoff (...) stellt keinen der trivalenten Ausschreibungsimpfstoffe dar“, heißt es in dem Schreiben weiter.

Berechnungen Wasmeiers, wonach der von ihr genutzte Vierfach-Impfstoff letztlich nicht teurer gewesen sei als der Dreier - Wirtschaftlichkeit ist ein hohes Gut im Gesundheitswesen -, weist die Prüfungsstelle wegen der „unrechtmäßigen ärztlichen Verordnung“ ebenso zurück.

Fälle wie Wasmeiers seien eher selten, erklärte auf MZ-Anfrage der Leiter der Prüfungsstelle Adrian Koch: Bei durchschnittlich 1500 Impf-Ärzten 2016 in Sachsen-Anhalt habe es sieben solcher Nachforderungsanträge gegeben. Obwohl er „Frau Dr. Wasmeiers Unmut in weiten Teilen nachvollziehen kann“, seien „bundesweit vorgegebene Spielregeln einzuhalten“, so Koch.

Wo bleibt „Therapiefreiheit“?

Cornelia Wasmeier, die eigenen Angaben zufolge aus kleinen - und kirchennahen - Verhältnissen kommt und in der DDR kämpfen musste um einen Medizinstudienplatz, hat nicht mehr viel Hoffnung für sich. Sie möchte, dass das Thema „Therapiefreiheit“, in der sie sich eingeschränkt sieht, politisch behandelt wird. Schreiben seien in Vorbereitung, auch wenn sie die Sache schon bisher „viel Lebenszeit und Lebenslust“ gekostet habe.

Mehrere Hundert Menschen waren ihrer Bitte gefolgt und haben für sie unterschrieben. Für die Vierfach-Impfung, die sie verbotenerweise durchgeführt hat. Genutzt hat es natürlich nichts. Dass Patienten ihr auch angeboten haben, die Impfung im Nachhinein selbst zu zahlen, hat sie gerührt, in Anspruch genommen hat sie das Angebot freilich nicht.

Sie werde zahlen müssen, „ich habe keine Chance“. Nein, das fehlende Geld werde sie „nicht in den Ruin bringen“. Eine Lebensversicherung ist ausgezahlt worden, freilich „war die nicht dafür gedacht...“ Sie sieht erschöpft aus. (mz)