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Nich nur eine Wittenberger Lausbubengeschichte Verwechslungsgefahr ist akut

Das prominenteste Zwillingspaar des Kreises feiert den 60. Geburtstag. Das sind auch 120 Jahre Engagement für den Sport. Warum die Ähnlichkeit in einer Armee-Kaserne zu Problemen führt.

Von Michael Hübner 29.11.2024, 08:58
Wer ist wer? Raik (li.) und Rene Stepputtis  haben ihren 60. Geburtstag gefeiert und werden immer noch verwechselt.
Wer ist wer? Raik (li.) und Rene Stepputtis haben ihren 60. Geburtstag gefeiert und werden immer noch verwechselt. Foto: Ralph Weiser

Wittenberg/MZ. - Daran ändert auch ein 60. Geburtstag nichts. „Wir werden immer noch verwechselt“, sagt Rene Stepputtis, der oft für seinen Zwillingsbruder Raik gehalten wird. „Ich bin dann still und höre zu, als ob alles in Ordnung sei“, betont Rene. Der eine Stunde Ältere sieht das nicht so gelassen. „Ich bin Raik“, klärt dagegen der andere Stepputtis sofort auf. Es gibt eben doch kleine Unterschiede. Allerdings nicht in der Biografie. Beide gehen in die gleiche Schulklasse, absolvieren gemeinsam eine Lehre im Stickstoffwerk und beide brennen für den Sport. Das ist nicht einmalig. Es gibt – das weiß das Wittenberger Duo von den jährlichen Zwillingstreffen – in Bitterfeld-Wolfen eine sehr ähnliche Konstellation.

Lehrerin wird ausgetrickst

Und auch die Stepputtis-Zwillingen können natürlich filmreife Lausbubengeschichten erzählen. „Ich habe ein Gedicht vorgetragen und eine Drei erhalten, als sich die Lehrerin umdreht, bin ich für meinen Bruder noch mal nach vorn gegangen und habe eine Zwei bekommen“ erzählt Rene. „Ich hatte das Gedicht nicht auswendig gelernt“, schmunzelt Raik.

Aber Verwechselungen können auch sehr gefährlich sein. „Ich bin fast verhaftet worden“, erzählt Rene. „Ich habe meinen Bruder in der Kaserne der Nationalen Volksarmee (NVA) in Hohenmölsen besucht. Plötzlich wird mir vorgeworfen, dass ich keine Zivil-Erlaubnis habe.“ Das Missverständnis lässt sich aber noch aufklären und so gibt es für den Zivilisten keinen Arrest – die NVA-„Zelle“ ist nicht unbedingt mit einem Fünf-Sterne-Hotel zu vergleichen – bei Wasser und Brot.

Die eigene Armeezeit ändert für Rene alles. Vor der Einberufung ist er Sportkoordinator im Stickstoffwerk, organisiert Betriebsmeisterschaften in zwölf Sportarten. Seine Armeezeit darf er wegen der Wende drei Monate früher beenden. „Aber mein Job war weg“, erzählt er und versucht sein Glück in den alten Bundesländern.

Nach seiner Rückkehr startet er durch und hat bei fast allen Sporthöhepunkten seine Finger im Spiel. 1999 führt die Deutschland-Tour durch Wittenberg. „Ab Kropstädt berichtet das Privatfernsehen live. Das war beste Werbung für Wittenberg. Unbezahlbar“, so Rene. Bert Grabsch, der Weltmeister aus Seegrehna, wird in der Gesamtwertung Neunter. Bruder Ralf Grabsch gewinnt bei der Friedensfahrt 2001 die Prämie in Wittenberg. Und gemeinsam mit CDU-Bundestagsabgeordneten Sepp Müller bastelt Rene 2017 an einer Welt-Sensation. Wittenberg ist international im Gespräch für das größte Radrennen der Welt – für die Tour de France. „Wir haben unser Konzept im Sportausschuss des Bundestags vorgestellt. Es sah sehr gut aus“, sagt Rene, der seit 1999 für die SPD im Stadtrat sitzt. Gescheitert sei das Projekt schließlich am fehlenden Geld. „Am 5. September 2025 wird es aber wieder ein Profi-Radrennen in Wittenberg geben. Die Vorbereitungen laufen“, so der 60-Jährige, der auch 19 Jahre lang für die Sportlergala im Autohaus Moll den Hut auf hat. Zu seinen Erfolgsformaten, die Stepputtis in seiner Zeit beim Kreissportbund entwickelt hat, zählt auch das „Feuerwerk der Vereine“. Das Event führt er unter neuem Namen als Kliekener Vizepräsident weiter. Sein Verein ist auch der Gastgeber für die „Wittenberger Olympianacht“. Auch hier soll es eine Neuauflage geben. Zu den weiteren Vorhaben gehören auch Events auf dem Markt. Hier soll das Stabhochspringen ein Comeback und die Boxer eine Premiere feiern, sagt Rene, der Manager der Anhalt Sport GmbH, Chef des Fördervereins der Berufsschule und der Verantwortliche für die Ausbildungsmesse im Landkreis ist.

Und die Stepputtis-Zwillinge sind auch verantwortlich für das Benefizteam. Seit 1999 werden über 100 Spiele für einen jeweils wechselnden guten Zweck bestritten. Höhepunkt ist der 2:0-Erfolg über die Nationalelf vom Vatikan im Arthur-Lambert-Stadtion vor über 1.000 Zuschauern.

Aber auch Raik Stepputtis hat an vielen Events mit gewirkt. Als Geschäftsstellenleiter vom FC Grün-Weiß Piesteritz – Mitglied ist er hier seit über fünf Jahrzehnten – ist er mit verantwortlich für das Gastspiel vom Deutschen Serienmeister Bayern München im Volkspark. Beim 7:3-Erfolg haben die Weltstars in der ersten Halbzeit sogar Probleme. Torwart-Titan Oliver Kahn kassiert vor 7.300 Zuschauern vor der Pause zwei Gegentore. Der Schlussmann pariert lediglich einen Ball. „Den hat er aber Weltklasse gehalten“, nimmt Trainer Felix Magath seinen Star in Schutz.

Die andere Fußball-Welt

Für den FC Grün-Weiß bedeutet die Oberligazeit Schwerstarbeit hinter den Kulissen. „Das war eine ganz andere Welt“, so Raik. Eine besondere Herausforderung seien die Risikospiele gegen Lok Leipzig oder Zwickau sowie im Pokal gegen den 1. FC Magdeburg gewesen. Alles hat im Volkspark reibungslos funktioniert. Raik Stepputtis selbst hat beim FC alle Altersklassen durchlaufen. Sechs Spiele bestreitet er für das erste Männerteam in der Bezirksliga – das ist in der DDR die dritthöchste Spielklasse. „Ich sollte mal Achim Streich im Volkspark ausschalten“, erinnert sich der Kicker. Zum Duell mit dem Torjäger der DDR kommt es aber nicht, weil das Testspiel kurzfristig abgesagt wird.

Danach ist er 16 Jahre lang der Übungsleiter für die E-Jugend. „Beim Allianz-Cup haben wir mal einen Bundesligisten geschlagen“, so Raik, der Techniker bei der Arbeiterwohlfahrt ist.

Übrigens sind die Zwillinge nicht nur im Benefizteam aktiv, sondern freuen sich schon jetzt auf den gemeinsamen Start beim Erdbeerlauf.

Und auch mit 60 gibt es noch große Träume. „Eine Sporthalle in Wittenberg für 2.500 Zuschauer“, so Rene Stepputtis. Der Kommunalpolitiker – sein Bruder ist einst im Ortschaftsrat und Feuerwehrverein Apollensdorf aktiv – trifft ein hartes Urteil. „Wittenberg ist keine Sportstadt“, sagt er. Es fehle an der Infrastruktur. Aber auch Teams, die höherklassig spielen, werden vermisst. Gebraucht werden – aber das sagt keiner – noch mehr Stepputtis-Zwillinge.